Erwin Schrödinger und ein Schwarzes Loch: Die Stringtheorie will Quantenphysik und Einsteins Theorie der Gravitation verbinden.
Poster: Universität Wien

Den Aufbau der Materie zu klären ist eigentlich das Gebiet der Elementarteilchenphysik. Die Stringtheorie geht noch einen Schritt weiter und versucht, hinter die Welt der kleinsten Teilchen zu blicken. Diese Woche traf sich die internationale Forschungsgemeinde der Stringtheorie in Wien, zum ersten Mal seit zwei Jahren nicht online, sondern von Angesicht zu Angesicht. Mitorganisator Daniel Grumiller von der TU Wien erzählt vom Austausch mit anderen Wissenschaftsgebieten und davon, warum man sich interessante Beobachtungsdaten nicht so sehr von Teilchenbeschleunigern, sondern von der Kosmologie erhofft.

STANDARD: Herr Grumiller, woraus besteht eigentlich die Welt? Aus Teilchen oder aus etwas anderem?

Grumiller: In der Stringtheorie gelten als kleinste Bausteine Strings oder gespannte Saiten. Die verschiedenen Teilchen, die wir in diversen Experimenten messen, kann man sich als verschiedene Obertöne dieser Saiten vorstellen.

STANDARD: In Wien drängt sich das Bild einer Violinensaite auf ...

Grumiller: Es ist wirklich genau wie bei Violinensaiten, nur dass Strings wesentlich kleiner sind und eine wesentlich höhere Spannung haben. Aber ansonsten ist es dasselbe Konzept und ähnliche Mathematik. Der Grund, warum es nicht exakt die gleiche Mathematik ist, besteht darin, dass man bei Violinensaiten üblicherweise Quantenmechanik vernachlässigen kann. Die Quanteneigenschaften von Strings haben wesentliche Konsequenzen für die Gravitation und unser Verständnis der Quanteneffekte von Schwarzen Löchern.

STANDARD: Derzeit findet in Wien die Fachtagung "Strings" statt. Diese Konferenz gibt es seit 1989. Was hat man seither gelernt?

Grumiller: Es gab einige sehr überraschende Einsichten. Einer der Höhepunkte war, dass man Anfang der 90er-Jahre erkannt hat, dass fünf verschiedene Varianten der Stringtheorie, die es gab, alle nur Facetten von ein und derselben Theorie sind. Man hat sogenannte Dualitäten entdeckt, die die verschiedenen Stringtheorien miteinander verknüpfen. Das war die große Revolution. Aber es gibt unzählige mathematische Erkenntnisse, die ohne Stringtheorie wahrscheinlich nicht möglich oder zumindest nicht so rasch möglich gewesen wären. Es gibt viel Output vonseiten der Stringtheorie, der für die Mathematik relevant ist. Es ist kein Zufall, dass der einzige Physiker, der die Fields-Medaille (Auszeichnung für mathematische Erkenntnisse, Anm.) gewonnen hat, Ed Witten ist – ein Stringtheoretiker. Er war übrigens auch bei der Wiener Konferenz und hat einen Vortrag gehalten.

STANDARD: Der Austausch mit anderen Gebieten der Wissenschaft dreht sich also hauptsächlich um mathematische Konzepte. Gibt es auch Experimente an Teilchenbeschleunigern wie dem Large Hadron Collider (LHC) oder Beobachtungen des Webb-Teleskops, die für Sie relevant sind?

Grumiller: Natürlich gibt es Dinge, die der LHC finden könnte, die für die Stringtheorie relevant sind. Nur glaube ich nicht, dass es noch viele Leute gibt, die da besonders optimistisch sind. Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass interessante Daten aus der Kosmologie bestimmte Aspekte der Stringtheorie entweder unterstützen oder man sie ganz verwerfen muss. Die Kosmologie ist für die Stringtheorie interessant, weil es derzeit einige schwer oder gar nicht erklärbare Aspekte gibt, Stichwort Dunkle Materie und Dunkle Energie. Und da ist es denkbar, dass Stringtheorie helfen kann, diese Spannungen aufzulösen. Oder zumindest, dass diese Entdeckungen eine Richtung vorgeben, wie wir jetzt genau weiterforschen sollen.

STANDARD: Was erwarten Sie aus Sicht der Stringtheorie für die nächsten Jahre? Was ist das Interessanteste, das passieren könnte?

Grumiller: Da kann ich keine genaue Vorhersage machen. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass dann der nächste große Durchbruch nicht so sehr auf mikroskopischer Ebene geschehen wird, sondern auf der makroskopischen Ebene. Etwa, dass wir mehr über den Ursprung des Universums herausfinden. Und insbesondere: Warum gibt es gerade so viel Dunkle Energie? Kurz gesagt: Ich erwarte mir neue Erkenntnisse über Dunkle Energie. (Reinhard Kleindl, 23.7.2022)