Gerade bei Einsätzen auf Demos kam es in den vergangenen Jahren mehrfach zu Vorwürfen von unzulässiger Polizeigewalt.

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"Konsequente und unabhängige Ermittlung bei Misshandlungsvorwürfen gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte" solle es geben. Dies im Rahmen einer eigenen Behörde "in multiprofessioneller Zusammensetzung, die sowohl von Amts wegen ermittelt als auch als Beschwerdestelle für Betroffene fungiert". Das jedenfalls versprach das Koalitionsübereinkommen der türkis-grünen Bundesregierung bei Ihrem Antritt im Jänner 2020.

Zweieinhalb Jahre später gibt es eine solche unabhängige Ermittlungs- und Beschwerdestelle zur Untersuchung von Polizeigewalt, die Fachleute, die Volksanwaltschaft und Menschenrechts-NGOs seit langen Jahren fordern, nach wie vor nicht. "Es braucht da noch einen politischen Diskussionsprozess", heißt es auf STANDARD-Anfrage aus dem Innenministerium dazu. Entwürfe einer Projektgruppe, die seit Mitte 2020 damit befasst sei, würden zwar bereits vorliegen. Einige Punkte seien aber noch offen. Auch die Corona-Pandemie habe dabei zu Verzögerungen geführt.

Ermittlungsstelle soll Innenministerium unterstellt sein

Fix dürfte allerdings sein, dass die neue Beschwerde- und Ermittlungsstelle beim Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK) angesiedelt wird. Darauf sollen sich ÖVP und Grüne bereits bei den Koalitionsverhandlungen geeinigt haben. Und genau daran gibt es Kritik von Expertinnen und Experten. Denn das BAK ist dem Innenministerium unterstellt. "Die Unabhängigkeit einer solchen Stelle ist zentral", sagt Teresa Exenberger, Juristin bei Amnesty International Österreich, zum STANDARD. Aus Sicht der NGO bedeutet das: "Die ermittelnde Stelle darf in keiner hierarchischen oder institutionellen Verbindung zur Polizei stehen."

Eine Ansiedelung der Stelle beim BAK hält man bei Amnesty deshalb für äußerst problematisch. "Dadurch würde sie unter der Weisungsbefugnis des Innenministers stehen und somit nicht das Kriterium der Unabhängigkeit erfüllen", sagt Exenberger. Hintergrund: In den vergangenen Jahren kamen in Österreich immer wieder Fälle von unverhältnismäßiger Polizeigewalt beziehungsweise von Kompetenzüberschreitungen von Polizeibeamtinnen und -beamten an die Öffentlichkeit. Bislang wird bei entsprechenden Verdachtslagen intern ermittelt – aktuell etwa gerade in Bezug auf einen Pfeffersprayeinsatz der Wiener Polizei im Rahmen der Pride im Juni.

Korpsgeist und Ermittlungen gegen sich selbst

Das Problem dabei: Polizistinnen und Polizisten ermitteln in diesem Fall gegen ihre eigene Kollegenschaft – oder anders gesagt: Die Polizei ermittelt gegen sich selbst. Das führt nur in den seltensten Fällen zu Verurteilungen oder anderen weitreichenden Konsequenzen für gewalttätige Polizeibeamte. Der interne Korpsgeist würde das allzu oft verhindern, weil Polizeiangehörige sich gegenseitig deckten, wie Juristinnen, NGOs und andere Fachleute seit vielen Jahren monieren.

Die unabhängige Ermittlungs- und Beschwerdestelle sollte dieser Tendenz mittels größtmöglicher Unabhängigkeit bei den Ermittlungen entgegenwirken. Genau diese Unabhängigkeit ist aber fragwürdig, wenn die Ermittlungs- und Beschwerdestelle nun erst recht wieder beim Innenministerium angesiedelt werden soll, wie Amnesty kritisiert.

Studie: Misshandlungsvorwürfe führen fast nie zu Anklage von Polizisten

Dass Misshandlungsvorwürfe gegen Polizeibeamtinnen und Beamte in Österreich in der Vergangenheit fast nie zu einer Anklage führten, belegte unter anderem auch eine Studie des Austrian Center for Law Enforcement Sciences (Ales) der Universität Wien. Dieses untersuchte zwischen 2012 und 2015 insgesamt 772 Akten der Staatsanwaltschaften Wien und Salzburg, in denen 1.518 Misshandlungsvorwürfe gegen Exekutivbeamte dokumentiert wurden. In Salzburg wurden alle 233 Verfahren eingestellt. In Wien kam es in nur sieben Fällen zu einem Strafantrag, in keinem einzigen zu einer Verurteilung. Zudem kam es laut der Studie in zehn Prozent der Fälle zu einer Gegenanzeige der Polizei mit dem Vorwurf der Verleumdung gegen die Person, die den Misshandlungsvorwurf angezeigt hatte. (Martin Tschiderer, 25.7. 2022)