In den letzten Jahren, auch dank der Pandemie, legte der Markt für private VR-Brillen deutlich zu. Allen voran das Meta-Quest-System – vormals bekannt unter der Marke Oculus – unter dem Dach des nunmehr umgetauften Facebook-Konzerns. Die Kombination aus vergleichsweise niedrigem Preis, der Möglichkeit, ohne Anbindung an einen starken PC zu spielen und die Brille optional trotzdem mit selbigem zu koppeln, brachte so viele Menschen wie noch nie in die virtuelle Realität.

Letzten Schätzungen der Marktforscher von IDC zufolge hat Meta rund 15 Millionen Stück der aktuellen Quest 2 verkauft. Zudem soll allein im letzten Jahr der VR-Markt um 97 Prozent und im ersten Quartal 2022 um 242 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gewachsen sein. Die Quest 2 ist damit nicht nur die bisher erfolgreichste VR-Brille überhaupt im internationalen Geschäft, sondern hat sich nach Angaben von Meta besser verkauft als alle Brillen von Meta bzw. Oculus bisher zusammen.

Nun schickt sich mit Pico ein chinesischer Hersteller an, dem Platzhirschen Marktanteile abzugraben. Die vor einigen Monaten bereits am Heimatmarkt gestartete Pico Neo 3 Link ist nun auch in unseren Breitengraden gelandet. Auch hier handelt es sich um ein Zwei-in-eins-Gerät, das für 450 Euro einerseits Standalone-Vergnügen bieten, aber auch als VR-Lösung für den PC fungieren soll. DER STANDARD hat mutig der Sommerhitze getrotzt und den Quest-Konkurrenten unter die Lupe genommen.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Mehr Lieferumfang und Komfort

Die Brille kommt in einer beachtlich großen Verpackung daher, die jene der Quest 2 ein gutes Stück übertrumpft. Ein Blick hinein zeigt aber, dass es dabei nicht um Protzerei geht, denn der Lieferumfang kann sich sehen lassen. Neben einem Ladegerät, das mit maximal 18 Watt arbeitet, und USB-A-auf-USB-C-Ladekabel beherbergt die Verpackung auch noch eine Abstandhalterung für Brillenträgerinnen und -träger sowie einen Nasenschutz. Dazu kommt ein weiteres, proprietäres Kabel, das der Brille ein Bild- und Tonsignal eines Displayport-Ausgangs mittels ihres zweitens USB-C-Anschlusses zuführen kann. Dieses lässt sich per Adapter auch an Laptops mit Mini-Displayport anstecken. Bei der Brille selbst kann dieses zusätzlich mit einer kleinen Schraube fixiert werden, um versehentliche Trennung zu verhindern.

Während die Quest 2 standardmäßig über eine simple und nicht sonderlich bequeme Kopfhalterung aus kleinen Gurten mit Klettverschlüssen verfügt, nutzt die Neo 3 Link eine steife Lösung mit Polsterung und Gegengewicht am Hinterkopf, inklusive Drehregler für die Größeneinstellung sowie einem elastischen Silikonkopfband. Damit lässt sich die Brille nicht nur einfacher anlegen und einstellen, sondern auch komfortabler über längere Zeit tragen. Positiv fällt hier auch auf, dass das Polstermaterial durchlässiger ist und es zudem eine Belüftungsöffnung gibt. Selbst beim Spielen bei knapp 30 Grad in der Wohnung liefen die Linsen trotz beachtlicher Wärmeentwicklung nicht an.

PicoXR

Aber: Während man bei der Quest 2 eine andere Halterung nachrüsten kann, ist jene der Pico-Brille fest verbaut. Das hat auch damit zu tun, dass diese den Akku beherbergt, der bei der Quest 2 hinter dem Display sitzt. Bei beiden Brillen wechselbar ist die Gesichtspolsterung.

Das VR-Headset präsentiert sich mit einer weißen Front, die im unteren Bereich der Abdeckung einen schwarzen Streifen aufweist. Die Verarbeitung wirkt rundum solide. Rund 640 Gramm wiegt die Brille und fällt damit etwas leichter aus als die Quest 2.

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Gleiche Plattform

Unter der Haube sitzt praktisch die gleiche Hardware wie beim Marktführer. Zum Einsatz kommt der Qualcomm-Snapdragon-XR2-Chip in Tandem mit 6 GB RAM. Der interne Speicherplatz fasst 256 GB. Inhalte werden auf einem 5,5-Zoll-LC-Display abgebildet, das eine Auflösung von 3.664 x 1.920 Pixel (1.832 x 1.920 Pixel pro Auge) mitbringt, wobei zwei Fresnel-Linsen für die perspektivische Wahrnehmung mit einem 90-Grad-Sichtfeld sorgen (98 Grad vertikal). Der Augenabstand lässt sich in drei Schritten einstellen. Standardmäßig liegt die Bildwiederholrate bei 90 Hertz, sie lässt sich aber – zuungunsten der Akkulaufzeit sowie möglichen Performanceproblemen bei aufwendigeren Games – auf 120 Hertz hochschalten. Bei der Darstellungsqualität ist kein Unterschied zur Quest zu erkennen.

In Sachen Konnektivität bietet das Gerät Wifi 6 (802.11ax) und Bluetooth 5.1. Wer eigene Kopfhörer anschließen will, statt den integrierten Raumklang zu verwenden, kann dafür auch eine 3,5-mm-Audioklinke verwenden.

Gesteuert wird mit zwei batteriebetriebenen Controllern (zwei AA-Batterien) deren Anordnung von Tasten und Joystick ebenfalls den Quest-Pendants entspricht. Die Brille erkennt sie über vier Infrarot-Tracking-Kameras. Integrierte Neigungs- und Bewegungssensoren sorgen dafür, dass die Ausrichtung der beiden Steuereinheiten stets korrekt erkannt wird, solange sie sich im Sichtbereich der Kameras befinden. Doppeltes Tappen auf die rechte Seite des Headsets schaltet auf die "Außenansicht" um, über die man ein bröseliges Schwarz-Weiß-Bild der Umgebung bekommt, das aber gut genug ist, um sich zurechtzufinden, ohne die Brille abnehmen zu müssen.

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Der Ablauf der Einrichtung läuft genau gleich ab. Man entscheidet sich entweder für einen "Schutzkreis" um sich herum, in dem man stehend spielen kann, oder zeichnet selbst die Grenzen des Spielfelds auf den Boden, wenn man mehr Bewegungsfreiheit haben möchte. In beiden Fällen wird man beim Spielen visuell gewarnt, wenn man sich der Spielzonenbegrenzung nähert.

Anschließend verbindet man die Brille mit einem WLAN und findet sich in seiner Startumgebung wieder. Hier gibt es verschiedene, teils anpassbare Varianten, reichend von einer kleinen Raumstation bis hin zu einem Loft in bergigen Anhöhen. Wer mit der Quest vertraut ist, wird sich schnell zurechtfinden. Bis auf kleine grafische Anpassungen sehen die Menüs exakt gleich aus und funktionieren auch so. Offensichtlich nutzen Meta und Pico hier schlicht ein vorgefertigtes System von Qualcomm. Als Betriebssystem läuft eine angepasste Ausgabe von Android 10.

Kein Facebook-Zwang, aber...

Für Kontroversen mit der Quest 2 sorgte Meta beim Release, weil Nutzer dazu gezwungen waren, für die Nutzung ihren Facebook-Account zu koppeln oder sich einen anzulegen. In Deutschland rief das die Markthüter auf den Plan, was letztlich dazu führte, dass die Brille nicht mehr verkauft werden durfte. Schon vor einiger Zeit hat der Konzern jedoch angekündigt, den Facebook-Zwang aufzuheben, was schließlich mit einem Update im August offiziell geschehen soll. Ab dann werden User ein separates Meta-Konto verwenden müssen, das nicht mehr an das soziale Netzwerk angebunden ist, aber freilich immer noch zum gleichen Konzern gehört.

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Ein solches Problem hat man mit der Pico Neo 3 Link nicht, denn der Hersteller betreibt kein soziales Netzwerk. Es gibt allerdings einen kleinen Plottwist. Denn 2021 wurde die Firma – wohl als Aufrüstung für Metaverse-Zukunftsszenarien – von Bytedance übernommen, das wiederum der Mutterkonzern der Plattform Tiktok ist. Aktuell spielt Tiktok bei der Brille keine Rolle, jedenfalls nicht beim in Europa ausgelieferten Modell.

Wer neue Apps und Spiele installieren will, tut das über den Pico Store. Anders als der Oculus Store der Quest ist er leider nur in VR zugänglich, nicht aber über einen Desktop-Browser oder als Smartphone-App. Auch die Auswahl ist momentan noch kleiner. Zwar finden sich einige bekanntere Games im Sortiment, manche Kracher – beispielsweise "Beat Saber" – fehlen jedoch. Dafür unterstützt Pico einfaches Nachinstallieren von Apps, die man außerhalb des Stores als APK-Installationspaket auftreibt.

Gaming mit und ohne PC

Beim Spielen von Games im Standalone-Modus zeigt die Neo 3 Link die gleiche Performance wie ihr großer Konkurrent, was angesichts der identen Hardware kein Wunder ist. Das Tracking klappt gut, die Performance ist ordentlich und neigt nur bei aufwendigen Games mit hochgedrehten Einstellungen zu gelegentlichen Rucklern. Viele Spiele betrifft das aber nicht. Diverse Rhythmus-Games wie "Ragnarock" oder "OhShape", Rätselabenteuer wie "Fisherman’s Tale" oder Shooter wie "Superhot VR" überfordern den Chip auch bei hochsommerlichen Zimmertemperaturen nicht. Sehr ordentlichen, räumlichen Sound liefern die beiden integrierten Lautsprecher. In Multiplayer-Games kann man zudem über das integrierte Mikrofon einfach mit anderen Spielern kommunizieren.

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Sehr einfach macht es Pico, wenn es darum geht, die Brille drahtlos oder per Kabel als VR-Lösung am PC zu nutzen. Dazu nutzt man die Pico-Link-Software, die man auch als Gratisdownload im Steam-Katalog findet und kinderleichte Einrichtung erlaubt. In einem dreistündigen Test mit "Half-Life: Alyx" zeigten sich bei der WLAN-Übertragung wahrnehmbare Verzögerungen, die das Spielerlebnis mitunter trübten, sowie eine Unterbrechung. Das lag aber wohl am WLAN-Setup, das aufseiten des Rechners schon zuvor zu Problemen geneigt hatte. Bei der Nutzung des Kabels, das komfortable fünf Meter lang ist, traten diese Schwierigkeiten nicht auf, obwohl das System mit einer Geforce-GTX-1070-Grafikkarte nur knapp über den Minimalanforderungen für die VR-Verwendung der Pico-Brille liegt.

Größerer Akku als Bonus

Einen relevanten Unterschied gibt es in puncto Hardware dann doch. Wo der Akku der Quest 2 eine Nennkapazität von 3.640 mAh mitbringt, sind es dank der Platzierung in der Halterung bei der Neo 3 Link 5.300 mAh. Das äußert sich auch in entsprechend längerer Akkulaufzeit. Im Standalone-Betrieb gibt die Brille von Meta üblicherweise nach spätestens zwei Stunden auf. Der Herausforderer schafft bis zu eine Stunde mehr. Nicht nur in den Herstellerangaben, sondern auch in der Praxis.

Bei der drahtlosen Nutzung am PC, bei der die Brille ausschließlich für Controller und Anzeige sowie optional Soundwiedergabe zuständig ist, erscheinen sogar rund zehn Stunden realistisch, abhängig von den Einstellungen.

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Fazit

Zum Preis der Meta Quest 2 mit 256-GB-Speicher bietet Pico mit der Neo Link 3 eine in Sachen Hardware fast idente Alternative mit gleicher Kapazität, aber wesentlich mehr Zubehör. Man erspart sich den Zukauf einer ordentlichen, bequemen Halterung und eines speziellen USB-C-Kabels für die Verwendung mit einem PC, opfert aber die Möglichkeit, die Halterung selbst austauschen zu können. Dafür erhält man aber auch eine um gut ein Drittel verlängerte Akkulaufzeit. Auch die vorinstallierte Gesichtspolsterung der Brille weiß besser zu gefallen, detto auch die Belüftungsöffnung. Loben muss man auch die simpel gestaltete Lösung für die Anbindung an Desktoprechner oder Laptop.

Mit der Brille entkommt man auch dem – allerdings bald hinfälligen – Facebook-Zwang der Quest 2. Die Abkehr vom Meta-Konzern erkauft man sich allerdings mit einem Account bei einer Firma, die dem Tiktok-Mutterkonzern gehört. Derzeit gibt es zwischen der Brille und dem videobasierten Social Network allerdings keine Anknüpfungspunkte. Grundlegend ermöglicht Pico auch die recht einfache Installation von Android-APK-Installationspaketen für Apps und Spiele, die nicht im hauseigenen Store sind. Denn wenn ein Defizit auffällt, dann ist es die klar geringere Auswahl im Shop des Herstellers sowie die Tatsache, dass es für diesen kein Browser- oder App-Interface gibt.

Letztlich muss man festhalten, dass es aktuell bei leistbaren Zwei-in-eins-VR-Headsets im Prinzip keine anderen guten Optionen gibt als die Quest 2 und die nun hinzugestoßene Neo 3 Link. Wer mit dem kleineren Store-Angebot leben kann, kommt in Sachen Preis/Leistung kaum am Produkt von Pico vorbei. (Georg Pichler, 24.7.2022)