Feuerwehreinsatz im Hafen von Odessa.

Foto: REUTERS/UKRAINIAN ARMED FORCES

Bei dem russischen Angriff wurde ein Schlepper beschädigt.

Foto: AP/Efrem Lukatsky/Odesa City Hall Press Office

Kiew/Moskau/Berlin – Bereits einen Tag nach der Einigung auf eine Wiederaufnahme der blockierten Getreide-Lieferungen ist der für die Ausfuhr wichtige ukrainische Hafen von Odessa nach ukrainischen Angaben von russischen Marschflugkörpern getroffen worden. Der Angriff sei "genau dort, wo das Getreide gelagert war" erfolgt, zitierte die ukrainische "Pravda" den Sprecher des Luftwaffenkommandos der Ukraine, Juri Ignat. Russland wies türkischen Angaben zufolge die Urheberschaft zurück.

"Das ist es, was diese Abkommen mit einem terroristischen Land wert sind", kritisierte Ignat. Die Situation war aber noch unübersichtlich. Dem ukrainischen Fernsehen zufolge entstand nur vergleichsweise geringer Sachschaden. Eine Pumpstation sei getroffen worden und ein kleiner Brand habe mehrere Gebäude beschädigt, nicht aber die Getreidelager, hieß es.

Serhij Bratschuk von der Region Odessa sagte, dass zwei Kalibr-Marschflugkörper die Hafen-Infrastruktur getroffen hätten, zwei weitere seien von der Luftabwehr abgeschossen worden. Damit habe Russlands Präsident Wladimir Putin der UNO und der Türkei "ins Gesicht gespuckt", hieß es mit Blick auf die Vermittler des Getreideabkommens.

Türkei: Russland untersucht

Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar nannte den Angriff "sehr bedauerlich" und rief alle beteiligten Parteien auf, ihre im Abkommen vereinbarte Zusammenarbeit fortzusetzen. "Die Russen haben uns mitgeteilt, dass sie absolut nichts mit diesem Angriff zu tun hätten, und dass sie diese Angelegenheit sehr genau und im Detail untersuchen", betonte Akar.

Auch UNO-Generalsekretär António Guterres, der am Freitag an der Unterzeichnung des Abkommens in Istanbul teilgenommen hatte, verurteilte den Beschuss. Am Freitag hätten sich alle Parteien auf globaler Ebene klar verpflichtet, den sicheren Export ukrainischen Getreides zu gewährleisten. "Die vollständige Umsetzung durch die Russische Föderation, die Ukraine und die Türkei ist zwingend erforderlich", betonte der Portugiese.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj stellte indes den Sinn des Getreideabkommens mit Russland infrage. "Dies beweist nur eins: Egal was Russland sagt oder verspricht, es wird Möglichkeiten finden, es nicht umzusetzen", sagt Selenskyj in einem auf Telegram verbreiteten Video. Via Facebook teilte Infrastrukturminister Olexander Kubrakow mit, dass die Ukraine ihre Vorbereitungen zur Wiederaufnahme des Getreideexports aus ihren Häfen fortsetze.

Gesicherte Transitrouten

Das von Ministern beider Kriegsparteien unterzeichnete Abkommen soll abgesicherte Transitrouten im Schwarzen Meer für die Getreidelieferungen schaffen. Die in wochenlangen Verhandlungen erreichten Regelungen sehen Korridore für die Getreideexporte aus drei ukrainischen Häfen im Raum Odessa vor. Die Kriegsparteien sagten zu, keine Schiffe auf diesen Routen anzugreifen. Russlands staatseigene Nachrichtenagentur Tass hatte am Freitag gemeldet, dass drei ukrainische Häfen – darunter Odessa – wieder geöffnet werden sollten.

Die Regelungen sollten unter anderem die Ausfuhr der geschätzten 20 bis 25 Millionen Tonnen Weizen ermöglichen, die durch den Krieg in ukrainischen Silos feststecken. Russland und die Ukraine gehören zu den weltweit größten Getreideproduzenten. Vor Beginn der russischen Invasion lieferten sie zusammen etwa 30 Prozent des weltweit gehandelten Weizens.

Internationale Verurteilung

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell verurteilte den Angriff auf den für den Getreideexport wichtigen Hafen als "besonders verwerflich". Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock wertete ihn als Beweis dafür, dass "die Unterschrift der russischen Führung derzeit wenig zählt".

Das Außenministerium in Wien äußerte sich ähnlich: "Solche Taktiken sind empörend und zeigen die weitere Missachtung Russlands der Millionen Menschen auf der ganzen Welt, die unter Ernährungsunsicherheit leiden", hieß es in einer Aussendung.

Brücke getroffen

Die ukrainische Armee setzte indes ihre Bemühungen zur Rückeroberung der russisch besetzten Gebiete im Süden des Landes fort. Eigenen Angaben beschoss sie eine für den russischen Nachschub wichtige Brücke in der Region Cherson mit Raketen. Ein Vertreter der ukrainischen Regionalverwaltung erklärte, es handle sich um einen wichtigen Schritt zur Rückeroberung von Cherson. Die von Russland eingesetzte Gegenverwaltung erklärt, die Darjiwskyj-Brücke über den Fluss Inhulez sei von sieben Raketen des westlichen Systems Himars getroffen worden, aber noch immer intakt.

Kiew berichtete von zahlreichen Raketenangriffen im Land. Im Gebiet Kirowohrad sollen bei einem Angriff drei Menschen getötet und neun weitere verletzt worden sein. Das russische Militär habe von Kriegsschiffen und Kampfbombern insgesamt 13 Raketen unter anderem auf den Militärflughafen Kanatowo und ein Objekt der ukrainischen Eisenbahngesellschaft abgefeuert, teilte der Leiter der Militäradministration, Andrij Rajkowitsch, im Nachrichtenkanal Telegram mit.

Auch aus anderen Teilen des Landes meldeten die ukrainischen Behörden ein Vielzahl von Explosionen. Das Gebiet Mykolajiw sei mit sechs Raketen angegriffen worden, hieß es. Im Gebiet Donezk wurde nach russischem Beschuss von neun Verletzten gesprochen. Das Weiße Haus bestätigte indes, dass im Donbass zwei US-Staatsbürger getötet wurden. Nähere Angaben wurden aus Respekt gegenüber den Angehörigen nicht gemacht. In der Ukraine kämpft Medienberichten eine unbekannte Anzahl an Freiwilligen gegen die russische Invasionsarmee. (APA, 23.7.2022)