24. September 2008: Christiane Soeder gewinnt bei der Weltmeisterschaft in Varese für Österreich die Silbermedaille im Zeitfahren.

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Noch nie konnte ein Österreicher die Frankreich-Rundfahrt gewinnen – und es wird auch so schnell nicht passieren. Einer Österreicherin jedoch gelang das Kunststück – zu einer Zeit, als es eigentlich gar keine offizielle Tour de France für Frauen gab. Christiane Soeder entschied 2008 die Große Schleife für sich, als der Tour-Veranstalter, die Amaury Sports Organisation (ASO), den Frauenradsport für irrelevant befand und das Rennen nicht unter seinem Dach und Namen haben wollte. Erst 2022 ist die ASO geläutert und schickt erneut die besten Rennradfahrerinnen der Welt auf einen Trip durch Frankreich – wie schon zwischen 1984 und 1989, also vor mehr als 30 Jahren.

Der Start erfolgte gestern vor dem Eiffelturm. Finalisiert wird nach acht Etappen und insgesamt 1029 Kilometern mit einer Bergankunft in den Vogesen am 31. Juli. Aus Österreich mit von der Partie im 132 Frauen starken Feld sind Kathrin Schweinberger (25, Ceratizit-WNT) und ihre Zwillingsschwester Christina (25, Plantur-Pura).

Wenige Tage vor dem Start der ersten offiziellen Tour de France Femmes erreicht DER STANDARD Christiane Soeder-Richter an der niederländischen Nordseeküste. Hier verbringt die gebürtige Remscheiderin einen großen Teil des Sommers. Heute sind es nicht mehr die Konkurrentinnen auf dem Rennrad, die der mittlerweile 47-Jährigen das Tempo vorgeben, sondern ihre beide Söhne – zehn und acht Jahre alt. Sie werden auch darüber mitbestimmen, wie viele Etappen der Tour de France Femmes die ehemalige Trägerin des Gelben Trikots im Fernsehen verfolgen kann, aber "das Finale schaue ich definitiv".

Heiße 2000er

Zurück ins Jahr 2008. Christiane Soeder, im Jahr davor in Stuttgart Dritte der Zeitfahr-WM, ist auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Sie gewinnt die "Grande Boucle", wie das siebentägige Etappenrennen durch Frankreich damals genannt werden muss, weil die ASO die Verwendung des Namens "Tour" untersagt hatte. Sie wird Vierte im olympischen Straßenrennen von Peking. Und sie holt im Zeitfahren der WM in Varese, Italien, die Silbermedaille. An einer breiten Öffentlichkeit geht das spurlos vorbei. Es ist der Sommer eines gewissen Bernhard Kohl, der erst auf das Podium und ins Bergtrikot der Tour de France fährt – und im folgenden Oktober des Dopings überführt wird.

Soeder-Richter hat noch oft den Helm auf.
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Aber um Aufmerksamkeit und Geld hat Soeder-Richter ihre Kollegen nie beneidet, sagt sie: "Auch andere Sportarten sind oft im Hintergrund. Wenn man den Sport nicht super gerne macht, hat man da ohnehin nichts verloren." Was sie mehr gestört habe, sei das überhitzte Klima des Verdachts gewesen, das in den Nullerjahren jede Radsportlerin, jeden Radsportler begleitete: "Ich bin mal ins Taxi eingestiegen und wurde gleich gefragt, wo denn meine Dopingmittel sind, weil ich gerade ins Trainingslager fahren wollte. Das war sehr belastend."

Das Thema Doping ist es auch, das die gebürtige Deutsche erst mit Zögern in den Radsport bringt. Denn am Anfang stehen die Leichtathletik und der Duathlon, wo Soeder-Richter mehrmals deutsche Meisterin wird, zudem Vizeeuropameisterin und WM-Dritte. Doch dann ist da der Traum von Olympia. Und damit das Rad erste Wahl. "Als ich in den Frauenradsport gekommen bin, wusste ich nicht, wie das so abläuft", sagt Soeder-Richter mit Blick auf die damaligen Dopingstrukturen der Teams. Mittel wurden natürlich auch ihr angeboten. "Es war wichtig zu sehen, welche Kreise wie ticken. Ich war ja schon etwas älter und konnte das besser abschätzen."

Eingebürgert

Die Liebe führt Soeder Anfang der 2000er-Jahre nach Wien. Ein Trainer des österreichischen Radsportverbands überredet sie, bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen für Österreich zu starten. Die Einbürgerung geht schnell. Zu diesem Zeitpunkt ist die Athletin bereits fertige Medizinerin. Finanziell kommt sie halbwegs über die Runden mit dem Geld, das sie in ihrem Team verdient. Einen Mindestlohn gibt es auf der World Tour der Frauen aber erst seit 2020 – in Höhe von 15.000 Euro. Aktuell sind es 27.000, erst im nächsten Jahr gleicht sich der Betrag an den der Männer (40.000 Euro) an.

"Es war damals allen klar, dass das ein schönes Hobby ist. Wenn du damit etwas dazuverdienst, ist das nett, wenn nicht, ist das auch nicht so tragisch." Die zunehmende Professionalisierung und Aufmerksamkeit freuen Soeder-Richter zwar. Doch hatte auch der "ursprünglichere" Sport von früher seine Vorteile: Damals hätten die meisten Fahrerinnen eine Ausbildung absolviert und so für die Zeit nach der Karriere vorgebaut.

Wienerwald statt Alpenpass

Soeder-Richters eigene Karriere endet schleichend. 2009 ist sie in Topform, aber zu früh in der Saison. Im Herbst holt sie statt WM-Gold nur Platz fünf. Eine große Enttäuschung. Danach fährt sie nur mehr kleine Rennen in Österreich – und die "nicht mehr mit vollem Herzen".

Was folgt, sind der Einstieg ins Berufsleben, die Kinder, Bücher über Dopingprävention und Frauenradsport, ein Jahr in Australien. Verheiratet ist Soeder-Richter mit Bernhard Richter, Arzt und früher erfolgreicher Läufer auf der der Mittel- und Langstrecke. Sie selbst unterstützt beruflich Menschen beim Stressmanagement, Priorität haben aber die Söhne. Am Rad sitzt sie noch beinahe täglich, vor allem auf dem Mountainbike im Wienerwald. Und wer gewinnt heuer in den französischen Bergen? Soeder-Richter lehnt sich nicht allzu weit hinaus: "Eine Holländerin."

Die große Favoritin kommt tatsächlich aus den Niederlanden, heißt Annemiek van Vleuten. Die Utrechterin wünscht sich den Tour-Sieg fast so wie Gold im olympischen Straßenrennen. Das schnappte ihr im Vorjahr die Niederösterreicherin Anna Kiesenhofer weg. (Michael Windisch, 25.7.2022)