Der Hohe Repräsentant Christian Schmidt will diese Woche auf Druck Kroatiens die Verfassung des Landesteils Föderation ändern.

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Nichts könne die Bürgerinnen und Bürger von Bosnien und Herzegowina so einen wie die Gegnerschaft zu dem Wahlgesetz, das der Hohe Repräsentant Christian Schmidt einführen will. "Versammeln wir uns und protestieren vor dem Amt des Hohen Repräsentanten, bis der Hohe Repräsentant sein Dokument aufgibt": So lautete der Facebook-Post des bosnischen Rom Dervo Sejdić, der erfolgreich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geklagt hatte, weil er in Bosnien-Herzegowina diskriminiert wird und so nicht für die Mitgliedschaft in der Präsidentschaft kandidieren darf. Grund dafür: Er hat sich weder als Bosniake noch als Serbe noch als Kroate deklariert.

In Bosnien-Herzeogwina sind alle Bürger und Bürgerinnen, alle Bosnier und Bosnierinnen, die die ethnische Selbstdeklaration ablehnen, durch die Verfassung diskriminiert. Es gibt deshalb fünf Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die längst umgesetzt werden müssten, um die Diskriminierungen aufzuheben. Doch die internationale Gemeinschaft und die EU haben sich in den vergangenen Jahren und Monaten für ein ganz anderes Thema eingesetzt.

Sitze im Haus der Völker für die HDZ

Der Hohe Repräsentant Christian Schmidt will diese Woche die Verfassung des Landesteils Föderation verändern, wie dies die nationalistisch-kroatische HDZ in Bosnien-Herzegowina und Lobbyisten, Diplomaten und Politiker aus dem Nachbarstaat Kroatien seit Jahren verlangen. Er will eine Dreiprozenthürde für die Entsendung von Vertretern aus einem der zehn Kantone einführen. Dort, wo eine der drei konstituierenden Gruppen weniger als drei Prozent hat, soll kein Vertreter mehr entsandt werden. Dadurch kann sich de facto die HDZ mehr Sitze im Haus der Völker sichern.

Rechtlich notwendig ist diese Änderung der Verfassung der Föderation – im Gegensatz zur Umsetzung der Urteile des EGMR – aber nicht. Sie ist sogar rechtlich umstritten. Der Grazer Verfassungsrechtler und Experte für die bosnische Verfassung, Josef Marko, sagt etwa, dass so eine Änderung der Föderationsverfassung sogar die Kompetenzen eines Hohen Repräsentanten überschreite.

Bosnien ist nicht Belgien

Der Verfassungsrechtler Jens Wölk von der Universität Trient weist darauf hin, dass in einem multinationalen Staat konstituierende Gruppen überall symbolisch wichtig seien. "Es kann nicht sein, dass das auf eine Region begrenzt wird. Sie müssen überall vertreten sein, wenn auch nicht unbedingt paritätisch", so Wölk zum STANDARD. "So sind die Rätoromanen in der Schweiz auch in der gesamten staatlichen Struktur vertreten. Wenn man keinen Nationalstaat, sondern einen multinationalen Staat hat, dann muss das in der Vertretung aller Gruppen zum Ausdruck kommen und in einer Überrepräsentation kleiner Gruppen", erklärt Wölk. "Bosnien-Herzegowina ist eben nicht Belgien, wo es eine Trennung der Siedlungsgebiete gibt."

Doch Schmidt steht offenbar unter schwerem Druck einiger Vertreter der USA, allen voran des Sondergesandten für den westlichen Balkan, Gabriel Escobar. In den USA haben sich schon vor vielen Monaten jene Stimmen rund um Derek Chollet durchgesetzt, die der Meinung sind, dass man einen "Deal zwischen Bosniaken und Kroaten" machen müsse, um die Föderation zu deblockieren. Deshalb unterstützen diese Diplomaten Nationalisten und denken, dass dadurch eine neue Kooperation analog zum Washingtoner Abkommen von 1994 funktionieren würde.

Einmischung von Kroatien

Kroatien mischt sich ohnehin massiv in die Innenpolitik in Bosnien-Herzegowina ein und wird dabei von internationalen und europäischen Politikern unterstützt. Ähnlich agiert Bulgarien gegenüber Nordmazedonien. Die kleinen pluralistischen und multikulturellen Staaten Bosnien-Herzegowina und Nordmazedonien können sich kaum gegen diese Dominanz wehren, weil sowohl Bulgarien als auch Kroatien Teil der EU sind und alle Kanäle nutzen, um sich durchzusetzen.

Die HDZ in Bosnien-Herzegowina übt zudem seit Jahren eine Erpressungs- und Blockadepolitik aus, um zu erreichen, dass das Wahlgesetz geändert wird. Dies ist der HDZ nun offensichtlich gelungen. Offensichtlich wollen sich westliche Kräfte durch das Appeasement gegenüber der HDZ das Versprechen eines künftigen Wohlverhaltens erkaufen. So hat man in diplomatischen Kreisen seit Monaten die Sorge, dass die HDZ in der Herzegowina ihre Blockade- und Erpressungspolitik nach den Wahlen am 2. Oktober noch verschärfen könnte, wenn man nicht auf deren Wünsche eingeht.

Verfassungsänderung verschickt aus Zagreb

Für Irritation sorgt zudem, dass Medien wie die Plattform klix.ba berichteten, dass die Vorschläge zur Änderung des Wahlgesetzes und der Verfassung der Föderation, die Schmidt durchsetzen will, vom kroatischen Außenminister Gordan Grlić Radman kamen. Grlić Radman soll demnach den Text Anfang Juli an das Amt des Hohen Repräsentanten geschickt haben. Der kroatische Ministerpräsident Andrej Plenković sagte über das Dokument, es sei nur der erste Schritt. Doch ohne die Unterstützung der USA wäre Kroatien nicht erfolgreich gewesen.

Entscheidend war für die Amerikaner offenbar der Nato-Gipfel am 7. Juli. Man wollte sich vergewissern, dass Kroatien stärker an die Interessen Washingtons angebunden wird, und ist auf kroatische Forderungen bezüglich Bosnien-Herzegowina eingegangen. In der ohnehin heiklen Lage in Bosnien-Herzegowina, das von innen von Kreml-Freunden bedroht ist, ist zudem unklar, ob Russland im November der Verlängerung der Eufor-Friedensmission Althea im UN-Sicherheitsrat zustimmen wird. Falls es wegen eines russischen Vetos zu keiner Verlängerung kommt, müssten die Truppen – zurzeit etwa 800 – ziemlich schnell abziehen.

Alternative zur Eufor

Die internationale Gemeinschaft arbeitet an einer Alternative zur EU-Mission Althea, die zurzeit von dem Österreicher Anton Wessely kommandiert wird. Im Nato-Hauptquartier in Brüssel folgt man der Interpretation von Rechtsexperten, wonach die Friedensmission in Bosnien-Herzegowina aus dem Annex 1-A des Friedensabkommens von Dayton abgeleitet werden kann. Demnach ist es gar nicht notwendig, dass der UN-Sicherheitsrat zustimmt, wenn etwa die Nato eine eigene Militärmission nach Bosnien-Herzegowina entsendet. Die Rechtsexperten verweisen darauf, dass nämlich im Artikel I(1)(b) des Abkommens eine rechtliche Basis für die Präsenz der Nato verankert ist.

Allerdings will – Diplomaten zufolge – die Türkei nur dann einer Nato-Mission zustimmen, wenn nur Nato-Staaten – also nicht Österreich, das traditionell Truppen entsendet – daran teilnehmen. In der EU gibt es an dieser türkischen Haltung viel Kritik, so wolle Zypern etwa nicht, dass die Türkei an der Militärmission in Bosnien-Herzegowina teilnimmt. Zurzeit entsendet die Türkei Truppen nach Bosnien-Herzegowina.

Reibungslose Erneuerung

Die Nato selbst erklärt auf Anfrage des STANDARD: "Die Nato leistet weiterhin Unterstützung für die EU-geführte Operation in Bosnien und Herzegowina. Unsere Zusammenarbeit mit der Europäischen Union bleibt von grundlegender Bedeutung, und wir werden die Mission der EU weiterhin unterstützen. Eine reibungslose Erneuerung des Eufor-Mandats beim UN-Sicherheitsrat im November ist für die Sicherheit in Bosnien und Herzegowina und die regionale Stabilität von entscheidender Bedeutung."

Deutschland hat jüngst erstmals wieder Truppen nach Bosnien-Herzegowina entsandt. Auch Großbritannien hat Interesse angemeldet. Gegen die Entsendung aus diesen beiden Staaten ist der bosnische Pro-Kreml-Politiker Milorad Dodik. Vor einigen Wochen sagte er: "Dasselbe Deutschland, das uns 1941 eine Armee hierhergeschickt hat, um zusammen mit den Ustaschas eine Million Menschen zu töten, will jetzt Truppen schicken. Sie sind nicht willkommen."

Ungarn wird aktiver

Mit erhöhter Aufmerksamkeit werden indessen die Ambitionen Ungarns betrachtet, das offenbar in Zukunft den Eufor-Kommandanten stellen möchte. Ungarn versucht in verschiedensten Institutionen – etwa über den EU-Kommissar Oliver Varhélyi – seine Interessen auf dem Westbalkan auszudehnen und kooperiert eng mit den illiberalen Nationalisten vor Ort. Ungarn verfolgt dabei langfristige Ziele.

Mit ebenfalls höchster Aufmerksamkeit werden Ambitionen aus Kroatien betrachtet, einige von Kroatien bezahlte Berater ins Nato-Quartier nach Sarajevo zu entsenden. Diese hätten dann dadurch direkten Zugang zum bosnischen Verteidigungsministerium. Anfragen des STANDARD zu diesem Thema an das kroatische Verteidigungsministerium und an die Nato blieben unbeantwortet.

Kroatien war im Bosnien-Krieg involviert

Kroatien war in den militärischen Konflikt in Bosnien-Herzegowina aktiv involviert. Dem Friedensabkommen von Dayton zufolge müsste Kroatien deshalb die Souveränität von Bosnien-Herzegowina voll unterstützen und dürfte sich nicht einmischen.

In einem Urteil des Jugoslawien-Tribunals gegen sechs Kroaten aus dem Jahr 2017 wurde etwa bestätigt, dass es eine "gemeinschaftliche kriminelle Unternehmung" gab, bei der es darum ging, die Muslime in der Herzegowina zu verfolgen. Laut dem Urteil waren an dieser kriminellen Unternehmung auch der damalige kroatische Präsident Franjo Tuđman, Verteidigungsminister Gojko Šušak und General Janko Bobetko beteiligt. (Adelheid Wölfl, 25.7.2022)