Zu sehen in Salzburg: Bill Violas großartige Video-Sound-Installation "The Raft" aus dem Jahr 2004.

Foto: Bill Viola Studio / Kira Perov

Geisterhaft treten drei Gestalten aus der Dunkelheit hervor. Vorsichtig kommt eine Mutter mit ihren Töchtern in Schwarz-Weiß auf einen zu. An einer unsichtbaren Grenze angekommen, tritt zuerst die Mutter durch einen zarten Wasserfall und erscheint plötzlich in Farbe als fleischgewordene Person. Die ältere Tochter folgt, im nächsten Moment die jüngere.

Kurz verweilen sie, schauen sich um, ihre Kleidung klebt triefend an ihrer Haut. Dann steigt die Mutter wieder zurück hinter den flüssigen Vorhang, in der gleichen Reihenfolge, wie sie gekommen sind, verschwinden die drei wieder. Noch bevor sie geht, richtet die Jüngste ihren Blick direkt auf den Betrachter. Dieser steht vor den Toren einer Unterwelt, des eigenen Unterbewusstseins oder des Jenseits selbst. Man bleibt wie angewurzelt stehen.

Ein Wasserfall bildet die flüssige Grenze in Bill Violas Videoarbeit "Three Women".
Foto: Bill Viola Studio / Kira Perov

Die Videoarbeit Three Women des US-amerikanischen Künstlers Bill Viola kann als mystische und poetische Metapher für das Leben gelesen werden – und auch für das unbegreifliche Phänomen Zeit. Was folgt auf das Leben, ist Geburt immer Anfang, Tod immer Ende? Viola hebelt in seinen Werken nicht nur Zeit per se aus ihren Fugen, sondern hinterfragt Linearitäten. Kann unser Dasein auch zyklisch verstanden werden?

Sakrale Stimmung

Dass Violas umfassendes Werk erst jetzt erstmals mit einer großen musealen Einzelausstellung in Österreich gewürdigt wird, erstaunt. Immerhin zählt er zu den renommiertesten Videokünstlern der Gegenwart und schafft seit 40 Jahren Videoarbeiten, Soundkompositionen und Installationen in avancierten Techniken. In enger Zusammenarbeit mit dem Studio des in Kalifornien lebenden Künstlers ist dem Museum der Moderne Salzburg am Mönchsberg eine beeindruckende und wirklich tolle Personale gelungen.

Dunkle Wände mit wenig Beleuchtung formen ein großzügiges Labyrinth, das zehn Arbeiten Violas genügend Raum bietet. Generell entsteht durch die inhaltliche Transzendenz und Spiritualität der Werke fast eine sakrale Stimmung, die immer wieder an die Fragilität des Seins anspielt.

Verlust des Zeitgefühls

Museumsdirektor Thorsten Sadowsky, der mit Christina Penetsdorfer kuratiert hat, weist auf das zeitgemäße Werk des 1951 geborenen Künstlers hin, das in seiner Ernsthaftigkeit fast besser in die heutige Zeit passe als in die späten Neunziger- oder frühen Nullerjahre. Die überwältigenden Bildwelten, die Violas Videos darbieten, stülpen sich über das Publikum, ihre ästhetische Atmosphäre umspült es förmlich. An manchen Stellen weiß man gar nicht, wie einem geschieht, jegliches Zeitgefühl geht verloren.

Diese Fluidität spiegelt sich auch im zentralen Motiv von Viola wider: Wasser. Wie auch bei Three Women markiert das Element eine unbekannte Sphäre, eine reinigende Taufe oder auch eine drohende Gefahr. So bei einer seiner bekanntesten Video-Sound-Installationen: In The Raft wird eine Menschenansammlung scheinbar zufällig gruppierter Menschen von einer brutalen Wassermasse, die von beiden Seiten auf sie zuströmt, überrascht. Die Brutalität reißt sie zu Boden, wirbelt sie durcheinander, lässt sie aufschreien.

In Bill Violas "The Raft" wird eine Menschenmasse vom Wasser überrascht.
Public Delivery

Dieses Zeitlupenspektakel ist aus mehreren Aspekten höchst spannend: Nach der abebbenden Flut ist die sich zuvor durch ihre Heterogenität (Geschlecht, Alter, Hautfarbe, soziale Stellung) auszeichnende Gruppe plötzlich ein homogenes Gefüge: Das Wasser vereint sie und spült in großem Pathos alle Ungleichheiten weg. Die Weltgemeinschaft im Kleinen wird vom Naturphänomen überwältigt und muss durch Zusammenhalt jegliche Unterschiede überkommen. Violas humanistische Botschaft lautet: "No one is lost."

Weiters wird bei der 2004 entstandenen Produktion der Hang Violas zu kunsthistorischen Bezügen deutlich. Bei The Raft verweist er auf das berühmte Gemälde Das Floß der Medusa von Théodore Géricault, dass einen dramatischen Schiffbruch darstellt. Bei der Dreieckskomposition in Three Women kann die Faszination für die Malerei der Renaissance herausgelesen werden. Und drei "Wasserporträts" können als berührende (und digitale) Interpretation von Tableaux vivants gelesen werden: Träumende Menschen treiben friedlich im Wasser, so als ob sie jeden Moment erwachen könnten – oder nie wieder.

Raum und Wahrnehmung

Die spannendste Arbeit ist zugleich auch die älteste in der Ausstellung. The Reflecting Pool entstand 1977/79 und ist fast skulptural im Raum angebracht. Es hängt nämlich mittig eine Leinwand von der Decke, die so von beiden Seiten betrachtet werden kann. Zwar wird dort nur jeweils die spiegelverkehrte Version des Gegenübers projiziert – es fängt den Gedanken des siebenminütigen Videos aber exzellent ein. Ein Mann – in diesem Fall handelt es sich um Viola selbst – steht am Rand eines Wasserbeckens inmitten wilder Natur. Er springt hoch, kommt aber nie im Wasser an. Die Zeit wird für ihn angehalten, vergeht aber in der Umwelt, unter der Wasseroberfläche sowie der Reflexion weiter. Die Montage spielt mit Wahrnehmung von Raum, Zeit und unserer ganzen Existenz. Große Verneigung! (Katharina Rustler, 26.7.2022)