Michael Rami verlor eine Wette und musste Maria Windhager einen Apfelstrudel spendieren.

Foto: DER STANDARD / Christian Fischer

Es begann mit einem Tweet von PR-Berater Rudi Fußi und endete mit einer Apfelstrudelwette zwischen zwei der besten Medienanwälte des Landes: Maria Windhager und Michael Rami. Bereits mehr als 200-mal saßen sie einander vor Gericht als Gegner gegenüber. Er häufig als damaliger Anwalt der FPÖ, sie als Medienanwältin des STANDARD.

Trotz aller Differenzen verbindet die beiden eine langjährige juristische Freundschaft. Als sie zanken, wer von ihnen in den vergangenen 20 Jahren mehr Verfahren verglichen hat, wird der Apfelstrudel serviert.

STANDARD: Warum, Frau Windhager, bekommen Sie heute einen Apfelstrudel bezahlt?

Windhager: Wegen einer Wette, die der Kollege verloren hat. Es geht um einen Tweet von Rudolf Fußi, in dem er die Intelligenz der Durchschnittsmitarbeiter der Wiener Polizei mit Polizeihunden verglichen hatte. Aus medienethischer Sicht sind Tiervergleiche ein No-Go, Fußi entschuldigte sich dafür. Rechtlich urteilte das Gericht, dass es eine zulässige politische Kritik war. Wir wetteten aber wegen einer formalen Voraussetzung für das Strafverfahren.

Rami: Üblicherweise können nur Menschen juristisch beleidigt werden, es gibt aber den Straftatbestand der Behördenbeleidigung. Noch ist nicht ausjudiziert, welche Art von Behörden genau diese Bestimmung schützt. Ich hatte gewettet, dass man die Wiener Polizei beleidigen kann, Maria glaubte, dass sich der Behördenleiter persönlich wehren müsste.

STANDARD: Fußi gewann das Strafverfahren, die Rechtsfrage wurde aber nur von einem Landesgericht beantwortet. Ist ein Paragraf zur Behördenbeleidigung noch zeitgemäß?

Rami: Ich würde meinen, eher ja. Würde ein Politiker sagen, die WKStA sei eine durch und durch korrupte Behörde, wäre diese ohne eine solche Vorschrift nicht geschützt.

Windhager: In Demokratien müssen Behörden selbstverständlich kritisiert werden können, dazu gibt es genug Rechtsprechung. Betroffene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können sich ohnehin direkt wehren. Daher erschien diese Bestimmung eigentlich antiquiert. Allerdings zeigt sich, dass der Schutz von Institutionen wieder an Bedeutung gewonnen hat.

STANDARD: Gewettet haben Sie auf Twitter. Hat sich die Rolle des Anwalts verändert?

Windhager: Twitter ist ein geniales Tool, weil vieles dort beginnt und ich als Medienanwältin sehr gut informiert sein muss, um schnell reagieren zu können. Ich habe ja Michael zu Twitter gebracht, du warst anfangs skeptisch.

Rami: Ich hatte zunächst empfunden, dass dort viel Müll produziert wird. Aber man kann schon gute Sachen machen. Gerade bei komplexen Themen kann man schnell reagieren und Rechtsfragen einfach erklären.

"Ich habe das Privileg, nur Fälle anzunehmen, hinter denen ich auch stehe", sagt Medienanwalt und Verfassungsrichter Michael Rami.
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STANDARD: Mich interessiert mehr die Frage nach der Verantwortung: Dürfen Anwälte öffentlich an den Pranger gestellt werden, wenn sie etwa Einschüchterungsklagen lancieren?

Windhager: Wenn gewissermaßen unlautere Mittel eingesetzt werden, wie bei den sogenannten Slapp-Klagen mit überzogenen Forderungen, müssen auch Anwältinnen und Anwälte Kritik einstecken können. Irgendwer muss dem Mandanten ja dazu geraten haben.

Rami: Es ist nicht gut, wenn Personen mit dem Prozess an sich unter Druck gesetzt werden sollen. Der Slapp-Begriff ist aber schwierig, weil es sehr leicht ist, eine Klage moralisch zu etikettieren. Im Grunde kann nur das Gericht über die Berechtigung des Anspruchs entscheiden. Ich habe das Privileg, nur Fälle anzunehmen, hinter denen ich auch stehe.

STANDARD: Als damaliger FPÖ-Anwalt haben Sie auch mehrmals den STANDARD geklagt, etwa im Namen Jörg Haiders. Waren das Slapps?

Windhager: Diese Fälle waren eine große Herausforderung, die auch Einschüchterungspotenzial hatten, weil Michael alles ausgeschöpft hat, was irgendwie ging. Immerhin hat er Journalisten nie strafrechtlich verfolgt. Damals habe ich dich schon für das eine oder andere Verfahren gehasst, etwa als du Exekutionsverfahren gegen Artikel im Online-Archiv des STANDARD geführt hast.

Rami: Richtiger Hass?

Windhager: Ja (lacht), aber durch diese Verfahren mit dir lernte ich das Medienrecht.

Rami: Wir haben es gemeinsam entwickelt. Es ist meine Aufgabe, meinen Job ordentlich zu machen. Natürlich lernt man auch dazu.

Nicht alle Verfahren, die Rami und Windhager als Parteienvertreter gegeneinander führten, waren lustig.
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Windhager: Das waren sehr wichtige Grundsatzfragen, die wir ausjudiziert haben. In Österreich war noch in den frühen 2000er-Jahren in Zusammenhang mit politischer Kritik eine nicht mehr haltbare Rechtsprechung verankert. Es hat nach dem Lingens-Urteil gute 20 Jahre gebraucht, bis das politische Werturteil in den Köpfen der RichterInnen verankert war. Ich denke da an Richterinnen und Richter, die den vermeintlichen "Gesinnungsjournalismus" im STANDARD anprangerten – da hat es mir fast die Ohren rausgefetzt.

STANDARD: Hat sich das geändert?

Windhager: Ja, jetzt ist eine ganz neue Generation an Richterinnen und Richtern am Werk. Sie kennen die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR).

STANDARD: Die Grundsatzfragen scheinen ausjudiziert. Ist Ihnen langweilig geworden?

Windhager: Das Klima ist rauer geworden. Heute geht es nicht mehr so oft um die feine Klinge der politischen Kritik, sondern um wüste Auseinandersetzungen. Und die Klagen nehmen wieder zu, auch gegen Journalistinnen und Journalisten persönlich.

Rami: Solche Prozesse sind ja in der Regel zum Scheitern verurteilt. Das Gericht klärt das.

Windhager: Das muss man sich leisten können. Wer hat schon rund 30.000 Euro in einer Worst-Case-Kassa?

STANDARD: Was ist die Lösung?

Windhager: Ich finde gut, dass zum Beispiel der Presseclub Concordia Geld – auch für freie Journalistinnen und Journalisten – zur Verfügung stellt. Dann kann man das in Ruhe ausstreiten.

Rami: Selbst der beste Rechtsschutz kommt für die Betroffenen oft zu spät, das kann man dem Gesetz nicht vorwerfen. Es ist schwer, hier Verbesserungen voranzubringen

STANDARD: Genügt unser Medienrecht für die aktuellen Herausforderungen?

Rami: Wir befinden uns mitten in einer technischen Revolution. Jeder kann weltweit seine Inhalte publizieren. Da ist es juristisch oft schwierig, die Täter auszuforschen.

Windhager: Wir haben uns gefreut, dass durch das Hass-im-Netz-Paket die Durchsetzungsmöglichkeiten gestärkt wurden. In der Praxis kann man sich diese Bestimmungen jedoch in die Haare schmieren, weil die Behörden einfach nichts ausforschen. Da sind wir sogar in meiner Kanzlei erfolgreicher.

Rami: Cybergrooming, Cyberstalking und Bullying erscheinen mir als eine wirkliche Herausforderung für das Medienrecht. Ich wäre sofort bereit, Opfern da zu helfen.

STANDARD: Mangelt es also einzig an der Rechtsdurchsetzung?

Windhager: Es beginnt schon damit, dass es hierzulande nur wenig spezialisierte Medienanwältinnen und Medienanwälte gibt. Das liegt daran, dass der Medienmarkt so klein ist. So gut die Bestimmungen sind, so schwierig sind sie in der Anwendung. Medienrecht lernt man erst in der Anwendung.

"In der Praxis kann man sich diese Bestimmungen in die Haare schmieren", sagt Maria Windhager zum Problem der Täterausforschung.
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Rami: Es gibt ja auch praktisch keinen Nachwuchs: Mit meinen 54 Jahren bin ich einer der jüngeren Medienanwälte.

Windhager: Ungelöst sind aber auch ein paar dogmatische Baustellen. Wenn jemand zum Beispiel gegen Artikel 8 der Menschenrechtskonvention verstößt und das der EGMR feststellt, wird das betroffene Verfahren in Österreich nicht erneuert, das Urteil bleibt also im Rechtsbestand.

Rami: Es gab Schritte in die richtige Richtung, aber man müsste nachschärfen. Medieninhaber sind meistens immer noch viel besser gestellt als jene, die ihre Persönlichkeitsrechte verletzt sehen.

Windhager: Ich sehe das Thema Plattformhaftung und die drohende Chatkontrolle als große Herausforderung.

STANDARD: Apropos Chats: Was haben Sie sich gedacht, als die etlichen Chats von Spitzenpolitikern in die Öffentlichkeit drangen?

Rami: Wenn Thomas Schmid beim Passamt sitzt und sich unwohl fühlt, ist das meiner Meinung nach privat und sollte nicht veröffentlicht werden. Anders wenn es um mögliche Korruption und Bestechung geht.

Windhager: Da bin ich bei dir. Ich finde Journalistinnen und Journalisten sollen alles wissen und alles bekommen, es braucht aber einen scharfen und sehr fairen Blick, was dann schlussendlich verwendet wird. Die Versuchung ist gerade bei diesen Chats groß, weil man ja publizistische "Wuchteln" in den Händen hält. Prinzipiell kann ich mich aber nicht genug dafür bedanken, dass wir die Nachrichten als Gesellschaft kennen.

STANDARD: Frau Windhager, Sie gelten als Grünen-affin. Würden Sie für die Partei in den Verfassungsgerichtshof (VfGH) gehen?

Windhager: Ein solches Angebot schlägt man nicht aus. Aber zum Glück gibt es keine realistische Variante, dass ich als Anwältin zum Zug käme. Dazu bin ich zu gerne Anwältin. Der VfGH würde mich einschränken.

Rami: Ich würde mich freuen, dann könnte ich mit Maria dort weiterstreiten. (Laurin Lorenz, 26.7.2022)