Voraussichtlich müssen mehrere Verfahren zur Causa Ischgl neu verhandelt werden.

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Endgültig entschieden ist noch nichts, ein aktueller Beschluss des Oberlandesgerichts Wien (OLG) zur Causa Ischgl sorgt aber dennoch für Aufsehen: Das Landesgericht Wien hatte den Anspruch eines deutschen Urlaubers, der sich mutmaßlich in Ischgl mit dem Coronavirus infizierte und daraufhin die Republik Österreich klagte, Ende vergangenen Jahres abgewiesen. Jetzt hat das OLG die Entscheidung aufgehoben: Das Urteil des Landesgerichts sei mit "Feststellungsmängeln" behaftet. Das Gericht hätte mehr Beweise einholen und den Sachverhalt genauer beschreiben müssen. Das Verfahren muss nun wiederholt werden.

Zwei Argumente

Vergangenen Herbst hatten zahlreiche Urlauber Klagen auf Amtshaftung gegen die Republik eingebracht und Schadenersatz gefordert. Sie hätten sich aufgrund eines "Behördenversagens" in Tirol mit dem Coronavirus angesteckt. Verantwortlich sei die Republik, die für Amtsträger haftet, die zu lasch agiert hätten.

Die Klägerinnen und Kläger stützten sich dabei im Wesentlichen auf zwei Argumente: Zum einen schütze das Epidemiegesetz, auf dessen Grundlage die Behörden Corona-Maßnahmen erlassen haben, auch einzelne Personen. Da die Behörden aus Sicht der Kläger zu spät reagierten, hätten sie die Corona-Infektionen schuldhaft verursacht. Zum anderen argumentierten mehrere Urlauberinnen und Urlauber damit, dass sie das Land Tirol im Vorfeld ihrer Anreise falsch über die Situation in Ischgl informiert hätte.

Dem ersten Argument hat das Oberlandesgericht nun eine Absage erteilt und damit die Entscheidung des Erstgerichts teilweise bestätigt. Das Epidemiegesetz komme als Anspruchsgrundlage nicht infrage, weil es nur die Allgemeinheit, nicht aber bestimmte, einzelne Personen schütze. Die zweite Anspruchsgrundlage hält das OLG aber für möglich: Denkbar wäre – zumindest theoretisch – ein Anspruch aufgrund falscher Informationen des Landes Tirol.

Haftung für falsche Informationen?

Das Amt der Tiroler Landesregierung hatte am 5. März 2020 verlautbart, dass sich mehrere Isländer "nach ersten Erhebungen" auf der Rückreise im Flugzeug angesteckt hätten. "Aus medizinischer Sicht" sei wenig wahrscheinlich, dass sie sich schon in Tirol infiziert hätten.

Laut dem deutschen Touristen hätten die Behörden zu diesem Zeitpunkt aber bereits gewusst, dass bei zwei Isländern Symptome schon vor deren Abreise aufgetreten seien. Hätte das Land Tirol richtig informiert, wäre er sofort aus Ischgl abgereist. Schließlich habe er auf die behördlichen Infos vertraut.

Ob das tatsächlich der Fall war, haben die zuständigen Richterinnen am Landesgericht Wien aber nicht näher erhoben. Im neuen Verfahren müssen sie daher herausfinden, ob der Mann die Informationen des Landes überhaupt kannte.

Sollte das tatsächlich der Fall gewesen sein, wäre ein Anspruch gegen die Republik möglich. Denn laut dem OLG muss der Staat über drohende Gefahren richtig und vollständig informieren. Ähnlich sieht das Peter Bußjäger: "Dass unrichtige staatliche Informationen zur Gefahrenabwehr grundsätzlich Amtshaftungsansprüche auslösen können, ist in der Tat ständige Rechtsprechung", schreibt der Verfassungsprofessor auf Twitter. Denkbar wäre aber auch ein Mitverschulden des Mannes.

Zahlreiche weitere Verfahren

Der Verbraucherschutzverein (VSV) hat eigenen Angaben zufolge über 100 Amtshaftungsklagen in der Causa Ischgl eingebracht. Laut einem Sprecher des OLG sind bisher rund 25 derartiger Klagen abgewiesen worden. Gegen sämtliche dieser Entscheidungen wurden Rechtsmittel ans OLG eingelegt. Bei Klagen, die sich ebenfalls auf die Mitteilung des Amtes der Tiroler Landesregierung beziehen, sei nun ebenfalls mit einer Urteilsaufhebung und neuen Verhandlungen zu rechnen. (Jakob Pflügl, 25.7.2022)