Der Papst zeigte sich bereits kurz nach seiner Landung reumütig.

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Später besuchte er einen Friedhof, auf dem auch indigene Kinder begraben sind.

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Zudem ließ er sich eine Liste mit Namen von Opfern zeigen.

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Am zweiten Tag seines Kanada-Besuchs hat sich Papst Franziskus erneut für den Missbrauch und die Misshandlungen von tausenden indigenen Kindern in kirchlichen Umerziehungsinternaten entschuldigt. Auf dem Gelände einer ehemaligen Einrichtung in Edmonton sagte der Pontifex vor den First Nations, Métis und Inuit, er fühle "tiefe Trauer, Entrüstung und Scham" über das historische Geschehen. Die Kirche habe auch die "Kolonialmentalität" früherer kanadischer Regierungen unterstützt, stellte Franziskus in seiner Entschuldigung fest.

Vor der Rede, aber nach der Landung des Kirchenoberhaupts in Alberta sprach Grand Chief George Arcand von einer "demütig machenden Erfahrung". Chief RoseAnne Archibald nannte den Besuch jedoch "einseitig" organisiert. Die Historikerin Tiffany Prete, Mitglied des Blood Tribe im Südwesten Albertas, stellt klar, was noch fehlt.

STANDARD: Der Papst hat sich bereits im April entschuldigt. Hat das nicht gereicht?

Prete: Viele Indigene waren enttäuscht, dass in der Entschuldigung jegliche Verantwortung gefehlt hat. Dadurch erschien sie nicht gerade ernst gemeint. Es gibt viele, die nun hofften, dass der Papst in einer zusätzlichen Entschuldigung auf kanadischem Boden die unterschiedlichen Arten des Missbrauchs anerkennt, die durch Angestellte der religiös betriebenen Schulen zugefügt wurden. Außerdem fehlt noch ein konkreter Plan, wie die römisch-katholische Kirche den Weg der Wiedergutmachung mit den Indigenen gehen will.

STANDARD: Sie fordern unter anderem die Freigabe von kirchlichen Aufzeichnungen im Zusammenhang mit den Schulen. Warum ist Ihnen das wichtig?

Prete: Es gibt Dokumente, die über die Indigenen Kanadas verfasst wurden, die bis an den Anfang des 18. Jahrhunderts zurückreichen. Und den Menschen wird der Zugang verwehrt. Dabei sind es Aufzeichnungen über sie selbst, ihre Eltern, Großeltern, Urgroßeltern und so weiter. Als Historikerin weiß ich, dass man viel aus diesen Dokumenten lernen kann, worüber nicht gesprochen wird. Der Zugang ist wichtig, weil es in diesen Unterlagen immerhin um uns geht.

STANDARD: Wann haben Sie zum ersten Mal vom Missbrauch in den Umerziehungsinternaten erfahren?

Prete: Es war immer offensichtlich, dass da etwas um mich herum passiert. Ich konnte es nur nicht festmachen. Als Kind habe ich Gesprächsfetzen aufgeschnappt. Mich hat es erschreckt, dass meine Familienmitglieder – auch meine Mutter – nicht daheim aufgewachsen sind, weil sie in Internate gebracht wurden. Ich habe bald gelernt, dass man aber besser nicht darüber sprach.

STANDARD: Wie haben Sie dann mehr Informationen dazu erhalten?

Prete: Mit meinen Cousinen und Cousins habe ich dann die Gesprächsfetzen unserer Angehörigen zusammengesetzt. Wir haben schnell verstanden, dass diese Schulen kein schöner Ort zum Aufwachsen waren und unsere Angehörigen auf viele Arten missbraucht wurden. Als Kind hat man wenige Möglichkeiten, sich darüber weiterzubilden, weil man ja keine Fragen stellen durfte.

Als Erwachsene habe ich das vergangene Jahrzehnt meines Lebens der Erforschung des kolonialen Erziehungssystems gewidmet, und es bricht mir das Herz zu erfahren, was meine Familie und Vorfahren durchgemacht haben. (Bianca Blei, 25.7.2022)