Sogar die Grünen wollen, dass das bayerische AKW Isar 2 länger Strom produziert – obwohl viele von ihnen grundsätzlich vor Atomkraft warnen.

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Am 31. Dezember 2022 ist Schluss. Dann gehen in Deutschland die letzten drei noch laufenden Atomkraftwerke vom Netz.

So zumindest lautete bisher der Plan. Alles ist festgeschrieben in einem Gesetz aus dem Jahr 2011. Damals regierte Schwarz-Gelb unter Kanzlerin Angela Merkel. Und die neue Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP bekräftigt in ihrem Koalitionsvertrag: "Am deutschen Atomausstieg halten wir fest."

Erste Überlegungen, die deutschen Meiler doch noch länger am Netz zu lassen, wurden jedoch bald nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar laut. Zunächst griffen Unionspolitiker wie Fraktionschef Friedrich Merz und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) diese Idee auf.

Mit FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner erwärmte sich wenig später das erste Regierungsmitglied für eine solche Option. Doch sie schien unrealistisch zu bleiben, denn der grüne Koalitionspartner legte sich quer. Wie keine andere Partei haben sich die deutschen Grünen den Kampf gegen Atomkraft auf die Fahnen geschrieben. Er gehört sozusagen zur DNA der Partei.

Doch nun deutet sich eine bemerkenswerte Wende an. Eine grundsätzliche Verlängerung der Laufzeiten sei zwar undenkbar, meinte zunächst Grünen-Chefin Ricarda Lang. Doch sie betonte auch, dass die Grünen "nichts kategorisch ausschließen" würden.

Option "Streckbetrieb"

Wenig später brachten Grüne in Bayern und die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, Katrin Göring-Eckardt (Grüne), einen sogenannten "Streckbetrieb" ins Gespräch. Sie sagte: "Wenn es dazu kommt, dass wir eine wirkliche Notsituation haben, dass Krankenhäuser nicht mehr arbeiten können, wenn eine solche Notsituation eintritt, dann müssen wir darüber reden, was mit den Brennstäben ist."

Ein Streckbetrieb ist nicht das Gleiche wie eine Laufzeitverlängerung. Es würde zunächst die Leistung von Atommeilern reduziert werden, damit diese dann auf einen längeren Zeitraum – also auch über den 31. Dezember 2022 hinaus – weiterlaufen können. In diesem Fall wären keine neuen Brennstäbe nötig. Diese müssten nämlich, um in Summe mehr Strom zu erzeugen, erst einmal bestellt werden. Und das dauert nach Informationen des deutschen Wirtschaftsministeriums mindestens zwölf Monate.

Dieses Bild aus dem Jahr 2019 zeigt das Abschaltfest am AKW Philippsburg. Nun wurde die Debatte um eine Verlängerung der Atomenergie erneut entfacht.
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Das ist das Ergebnis eines ersten Stresstests, den das Ressort von Robert Habeck (Grüne) durchgeführt hat. Nun heißt es dort: "Aber dennoch, wir rechnen jetzt noch mal und entscheiden dann auf der Basis von klaren Fakten."

Die Grünen verweisen auch auf das "Sonderproblem Bayern". Der Freistaat ist besonders abhängig von russischem Gas, beim Ausbau der Windkraft stand die regierende CSU lange auf der Bremse.

Dieser Tage hat der rot-grüne Stadtrat von München den Weg für einen längeren Betrieb des Kraftwerks Isar 2 freigemacht. An diesem ist die Stadt München zu 25 Prozent beteiligt. "Die Verlängerung des Betriebs von AKWs, wenn auch nur für wenige Monate, widerspricht unseren politischen Zielen als Grüne. Doch wir stehen auch in der Verantwortung, die Energieversorgung für alle sicherzustellen", erklärte Dominik Krause, Grünen-Fraktionschef im Stadtrat.

Sechs Prozent Strom

Isar 2, bei Landshut, rund 80 Kilometer von München entfernt, ist eines der drei noch laufenden Atomkraftwerke. Die anderen beiden sind Emsland (Niedersachsen) und Neckarwestheim (Baden-Württemberg). An der Nettostromerzeugung in Deutschland sind sie nach Angaben des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme im laufenden Jahr mit bisher 17,8 Terawattstunden (TWh) zu 6,4 Prozent beteiligt.

Zum Vergleich: Mit Erdgas wurden bisher zehn Prozent des Stroms (28,0 TWh) erzeugt. Mit 30,8 Prozent (86,0 TWh) sind Braun- und Steinkohle dabei. Der Großteil des Stroms kommt von erneuerbaren Energien: Wind (26,4 Prozent, 73,5 TWh), Sonne (13,0 Prozent, 36,3 TWh) und andere nachhaltige Energieträger machen einen Anteil von 51,7 Prozent (144,1 TWh) aus. (Birgit Baumann aus Berlin, 27.7.2022)