Viktor Orbán wird am Donnerstag Wien besuchen.

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Es war in einer Rede voll brisanter Wortspenden nur ein Halbsatz, vielleicht ging er deshalb zunächst unter. "Da ist zum Beispiel der neueste Vorschlag der EU-Kommission, der besagt, dass jeder seinen Gasverbrauch verpflichtend um 15 Prozent senken soll. Ich sehe nicht, wie sie erzwingen wollen, obwohl es dafür deutsches Know-how gibt. Von früher, meine ich."

Deutsches Know-how in Zusammenhang mit Gas, zweifelsfrei hat Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán am Samstag damit auf die Gaskammern im nationalsozialistischen Reich angespielt. Doch diese Geschmacklosigkeit drang erst zwei Tage später so richtig an die Öffentlichkeit. Unter anderem hatte die liberale ungarische Europa-Abgeordnete Katalin Cseh am Montag via Twitter darauf aufmerksam gemacht: "Ja, das ist ein Witz über Gas und Nazideutschland."

Grundsätzlich tritt Orbán jeden Sommer in Băile Tușnad im historischen Siebenbürgen auf, das heute zu Rumänien gehört. Der Kurort liegt im kompakten Siedlungsgebiet der ethnischen Ungarn. Orbáns Rede bildet dabei stets den Höhepunkt der Sommerakademie seiner Fidesz-Partei, die seit mehr als drei Jahrzehnten dort stattfindet.

"Genderwahnsinn"

Und auch heuer war Orbán einmal mehr auf Krawall gebürstet: Das EU-Sanktionsregime gegen Russland etwa verglich er mit einem Auto, das vier leere Reifen hat, und sagte dazu, dass die Ukraine den Krieg niemals gewinnen könne. Zudem habe der klassische Westen seiner Meinung nach durch Migration und "Genderwahnsinn" seine christlich-nationalen Wurzeln verloren.

"Es gibt nämlich jene Welt, in der sich die europäischen Völker mit den Ankömmlingen von außerhalb Europas vermischen. Das ist eine gemischtrassige Welt." Dem gegenüber gebe es das Karpatenbecken, wo sich Völker wie Ungarn, Rumänen, Slowaken und andere miteinander vermischten. "Wir sind bereit, uns miteinander zu vermischen, aber wir wollen nicht zu Gemischtrassigen werden", so Orbán.

Vertraute tritt zurück

Auch diese Aussagen lassen an die Nazis und deren Rassenideologie denken. Kaum verwunderlich, dass der Verband der jüdischen Gemeinden in Ungarn am Montag "ernste Bedenken" äußerte. Zudem trat laut Nachrichtenportal Telex.hu Zsuzsa Hegedüs zurück, Orbáns Beauftragte für gesellschaftlichen Anschluss.

Am Dienstag meldete sich auch das Internationale Auschwitz-Komitee zu Wort. "Entsetzt und alarmiert" zeigte man sich über Orbáns Aussagen, die Holocaust-Überlebende "an dunkle Zeiten ihrer eigenen Ausgrenzung und Verfolgung" erinnern würden, so Komitee-Vizepräsident Christoph Heubner.

Noch keine Stellungnahme von Nehammer

Heubner hofft auf Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), der Orbán am Donnerstag in Wien empfangen wird: Ersterer soll Letzterem mitteilen, "wie seine rassistischen Ausflüge in die Vergangenheit und in die Zukunft Europas innerhalb der Europäischen Union bewertet werden". Heubner wies auch darauf hin, dass Nehammer "als erster seiner europäischen Kollegen" die Möglichkeit habe, mit Orbán über dessen Rede zu sprechen. Nehammer hat dazu bislang noch keine Stellung genommen. (Kim Son Hoang, 26.7.2022)