Flucht ins Metaverse. Doch das digitale Paradies bekommt Risse.

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Lange Zeit war Facebook oder Meta, wie es seit Oktober letzten Jahres heißt, unverwundbar. Die Firma Cambridge Analytica zog im US-Wahlkampf rund 87 Millionen Datensätze über einen dubiosen Persönlichkeitstest von Facebook ab und verwendete sie für gezielte politische Werbung – manche würden Beeinflussung sagen. Facebook war in gewisser Weise Mittäter, da man die Datenauswertung durch Dritte wissentlich tolerierte. Facebook gab Lippenbekenntnisse ab und überstand den Skandal beinahe unbeschadet.

Skandale prallen einfach ab

2019 wurde das Management überrascht, als eine BBC-Doku erschien, die zeigte, wie Instagram zu einer Plattform für Sklavenhändler wurde. Erst als Apple drohte, sämtliche Meta-Dienste zu blockieren, ergriff man im Hauptquartier in Menlo Park Maßnahmen und verbannte die Menschenhändler von der Plattform. Konsequenzen? Keine.

Facebook machte weniger später zu Beginn der Covid-Krise keine gute Figur: Schnell entwickelte sich das soziale Medium zu einer Drehscheibe für Verschwörungserzählungen und Falschinformationen, die teilweise sogar automatisiert verbreitet wurden. Erst nach massiver Kritik begann man bekannte Mythen erst zu markieren, später zu löschen. Die Folgen? Viele Fragen, aber kaum Kratzer im Facebook-Panzer.

Als am 6. Jänner 2021 ein wütender Mob versuchte, das Kapitol zu stürmen, war es Facebook, das den Staatsfeinden die Koordination ermöglichte, indem es viel zu langsam und bürokratisch gegen Gewaltaufrufe vorging, wie selbst die eigenen Mitarbeiter kritisierten. Das Unternehmen sah sich erneut unangenehmen Fragen ausgesetzt, die Rolle des sozialen Netzwerks beim Putschversuch verschwand aber schnell wieder aus dem Fokus der Öffentlichkeit.

Der Panzer bekommt Risse

All das schien Meta nichts anzuhaben. Der Tech-Gigant war unbesiegbar, die Skandale prallten oft am Schild der "Meinungsfreiheit" oder der gespielten Unschuld ab. Nicht einmal die Börse reagierte, und die minimalen Dellen im Aktienkurs spürte man in Kalifornien wenn überhaupt nur in der Portokasse.

Wer kann also Meta etwas anhaben? Die Antwort ist einfach: die Nutzer von Facebook, die Foto-Poster von Instagram und die Nachrichtenschreiber in Whatsapp. Denn die stimmen gerade mit den Füßen ab und haben dem Unternehmen wenn schon nicht den Todesstoß versetzt, so es doch zumindest schwer verwundet. Eine gewisse Panik macht sich breit, das waidwunde Biest schlägt auf einmal wild um sich, und plötzlich ist Facebook nicht mehr too big to fail.

Anleger und Mitarbeiter werden nervös

Die Geschichte beginnt im Frühjahr 2022: Facebook veröffentlich wie üblich den Quartalsbericht – und plötzlich ist in Menlo Park nichts mehr, wie es früher war. 200 Milliarden US-Dollar an Firmenwert werden an der Börse vernichtet, weil der Kurs in den Keller sinkt. Der Grund: Facebook verliert erstmals in seiner Geschichte aktive Nutzer.

Die Zahlen selbst sind keineswegs erschreckend, und von einem "Absturz" zu reden wäre eine maßlose Übertreibung. Facebooks Nutzerzahlen sanken von 1,93 auf 1,929 Milliarden. Das reichte aber, um Anleger, Investoren und Werbekunden in Panik zu versetzen. Dabei macht Facebook immer noch 40 Milliarden Dollar Gewinn – pro Jahr. Dennoch: Jeder der verlorenen Nutzer bedeutete in Börsenwert umgerechnet einen Verlust von 200 Dollar.

Um diese Überreaktion zu verstehen, muss man tiefer hineinblicken in ein Unternehmen, das seit Jahrzehnten nur den Weg nach oben kannte, und das mit dem Metaverse den Anspruch stellte, ein digitales Paralleluniversum für alle zu schaffen. Was war geschehen? Welche Entwicklungen haben die Meta-Manager verpasst?

Meta macht immer noch 40 Milliarden Dollar Gewinn.
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Tiktok holt das größte Stück vom Kuchen

Zum größten externen Faktor gehört zweifelsohne Tiktok. Die Konkurrenz aus China hat Facebook auf dem falschen Fuß erwischt, die Jungen waren plötzlich weg. Schnell führte man mit den Reels eine ähnliche Videofunktion ein. Erst kürzlich kündigte Facebook-Manager Tom Alison in einem internen Memo an, dass Facebook mehr wie Tiktok werden müsse. Damit werden Posts stärker vom "Discovery Machine" genannten Algorithmus gesteuert sein. Jahre nachdem man die beiden Apps trennte, werden Messenger und Facebook jetzt wieder vereint– weil es das neue große Vorbild Tiktok auch so macht.

Doch friktionsfrei gehen solche Änderungen nicht vonstatten: Orientiert man sich an der jüngeren Konkurrenz, droht man die älteren User und ihre Vorliebe für Posts ihrer Freunde zu verlieren. Die Idee: zwei unterschiedliche Feeds – einen, der Tiktok imitiert, und einen, der mehr Content aus dem eigenen Umfeld zeigt. Gleichzeitig ist die Aufregung über das Redesign von Instagram groß, und die User sind unzufrieden. Erraten: Es sieht jetzt aus wie Tiktok.

Der zweite äußere Faktor: Apple und die neuen Privatsphäreneinstellungen in iOS. Seitdem dort die Nutzer gezielt Berechtigungen für Apps erteilen und Facebook so vom Datensammeln aussperren können, verlor Facebook Milliarden an Werbeeinnahmen.

Mark Zuckerberg reagierte zuletzt genervt auf Fragen seiner Mitarbeiter.
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Zuckerberg ist genervt

Auch intern ging man auf Ursachenforschung, und die fiel ernüchternd aus. Die Moral der Mitarbeiter dürfte sich in einem Allzeittief befinden. In einer internen Umfrage gaben nur 39 Prozent der Mitarbeiter an, dass sie optimistisch in die Zukunft des Unternehmens blicken. Nur 42 Prozent gaben an, dem Management zu vertrauen.

Meta, auch das muss gesagt werden, nimmt solche Umfragen unter Mitarbeitenden sehr ernst und ermutigt sie auch, ihre Meinung zu sagen und Kritik zu üben. Doch damit scheint Chef Mark Zuckerberg immer schlechter umgehen zu können. In den wöchentlichen internen Meetings mit seinen Untergebenen wirkte der Facebook-Gründer immer gereizter und verärgerter.

Laut "The Verge" soll sich in einem internen Meeting Folgendes zugetragen haben: In einem zuvor aufgezeichneten Video fragt ein Mitarbeiter namens Gary, ob es auch 2023 noch Meta-Days – also bezahlte freie Tage, die aufgrund der Pandemie eingeführt wurden – geben wird. Zitat: "Zuckerberg schaut sichtbar verzweifelt drein. 'Ähm, also', begann er zu stammeln. Zuvor hatte er den Mitarbeitenden noch erklärt, dass Meta auf den größten Abschwung in der Firmengeschichte zusteuert, während Tiktok ihnen das Essen vom Teller stiehlt – und Gary fragt nach freien Tagen? 'Angesichts meines Tons in den restlichen Fragen und Antworten können Sie sich wahrscheinlich vorstellen, wie meine Reaktion darauf ist', sagte Zuckerberg. Die Meta Days wurden abgesagt."

Minderleister in der Firma

Wenig später meldete sich Zuckerberg erneut mit einer Erkenntnis zu Wort: "Realistisch betrachtet gibt es einige Leute in der Firma, die nicht hier sein sollten." Er werde die Erwartungen an seine Mitarbeiter und deren Ziele steigern, so Zuckerberg. Minderleister sollten aussortiert werden, indem er den Druck erhöhen werde, so der CEO. "Ich denke, einige von Ihnen könnten einfach sagen, dass dieser Ort nichts für sie ist. Und diese selbst getroffene Wahl ist für mich in Ordnung."

Sofort wurde diese Ankündigung in die Tat umgesetzt. Abteilungsleiter hätten bis fünf Uhr kommenden Montag Zeit gehabt, alle Namen jener Mitarbeiter zu übermitteln, "die Hilfe brauchen", und jene hinauszubegleiten, die nicht "in die Spur kommen". Das soll laut dem Bericht nur zu weiteren internen Spannungen geführt haben. Verunsicherte Mitarbeiter griffen daraufhin zum Galgenhumor: Intern kursieren Memes mit dem berühmten Fotos Zuckerbergs auf einem Surfbrett mit einer US-Flagge in der Hand. "Schau, wie er faulenzt", schrieb ein Mitarbeiter darunter.

So stellt sich Zuckerberg die neue digitale Welt vor: Chillen im Metaverse.
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Metaverse: Das digitale Paradies wackelt

Meta kämpft also an mehreren Fronten, intern wie extern. Aber das größte Schlachtfeld dürfte sich Zuckerberg selbst mit seinem Metaverse geschaffen haben. Die Vision: Wir alle leben dank VR-Brillen in einem virtuellen Raum, treffen uns dort mit Freunden, halten unsere Meetings ab, besuchen Konzerte und gehen unserer virtuellen Freizeit nach. Ganz ohne die Gefahren und die Mühsal der echten Welt.

Doch Zuckerbergs digitales Paradies kommt nicht in die Gänge. Weibliche Testpersonen wurden schon in der Frühphase des Projekts belästigt und virtuell begrapscht. Meta musste einen digitalen Mindestabstand zwischen den Avataren der Nutzer einführen.

Das nächste Problem: Das gesamte Feld der VR-Technologie ist noch nicht in der breiten Masse angekommen, und daran ist Meta selbst nicht unschuldig. Erst vor wenigen Tagen kündigte das Unternehmen an, dass die Preise für die eigenen VR-Brillen um 100 Dollar angehoben werden. Somit kostet das 256 Gigabyte-Modell der Meta Quest 2 bald 500 Dollar – ganz schön teuer für ein Gerät, das als goldenes Eintrittsticket in Zuckerbergs digitale Vision dient.

Zu allem Überfluss hat Zuckerberg nun Apple zum direkten Konkurrenten von Meta erklärt. Man stehe in einem "tiefen philosophischen Wettbewerb um die Zukunft des Metaverse", erklärte er seinen Mitarbeitern, nachdem das Gerücht die Runde machte, Apple würde noch heuer eine eigene Augmented-Reality-Brille vorstellen.

Mark Zuckerberg sucht sich immer neue Gegner, während er bereits an mehreren Fronten kämpft.
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Langer, harter Kampf

Gleichzeitig stimmte Zuckerberg die Mitarbeiter auf einen langen harten Kampf ein, der sicher noch 18 bis 24 Monate dauern werde. Man stehe vor der Entscheidung, Mittel für zukünftige Projekte zu kürzen oder geringere Rentabilität in Kauf zu nehmen. "Für mich ist es schmerzhafter, die Fortschritte, die wir auf lange Sicht machen, zu verlangsamen, als kurzfristig eine schwierige Zeit zu haben", so Zuckerberg.

Damit hat sich der Meta-Chef festgelegt: Die Aussichten auf eine rosige Zukunft im Metaverse sind für sein Unternehmen so groß, dass es dafür weniger ertragreiche Jahre geben wird. Doch im Unternehmen ist man unzufrieden: Viele Facebook-Mitarbeiter wurden mit Aktien bezahlt. Harte Jahre bedeuten für sie einen realen Einkommensverlust.

Es scheint ein tiefer Riss zwischen Zuckerberg und seinen Mitarbeitern entstanden zu sein. Die Kommentatoren von "The Verge" fassen es so zusammen: "Die Aufgabe wird monumental, wahrscheinlich die größte in der gesamten Firmengeschichte. Zuckerberg ist dazu bereit. Ob es der Rest von Meta auch ist, bleibt unklar." (Peter Zellinger, 28.7.2022)