Die Ausschreitungen begannen am Montag in der Provinzhauptstadt Goma und breiten sich seither aus.

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Die gewalttätigen Proteste, die Anfang der Woche im Osten der Demokratischen Republik Kongo ausbrachen und bereits mindestens 19 Tote – darunter auch drei Blauhelme – gefordert haben, breiten sich weiter aus. Die gegen die UN-Mission im Kongo (Monusco) gerichteten Ausschreitungen begannen am Montag in Goma, der Hauptstadt der ostkongolesischen Nord-Kivu-Provinz, und griffen am Dienstag auf die Provinzstädte Butembo und Beni über. Am Mittwoch kam es auch in Uvira in der Provinz Süd-Kivu zu Zusammenstößen, dabei wurden vier Demonstrierende getötet. Sie kamen ums Leben, als eine Kugel eine Stromleitung traf, die dann auf die Menge fiel.

Auch aus anderen Orten der beiden Provinzen wurden Unruhen gemeldet. Die Protestierenden fordern den Abzug der Blauhelme, denen sie Versagen bei der Befriedung des Kongo vorwerfen. "Bye, bye Monusco", steht auf Schildern der Demonstrierenden.

Zum bislang blutigsten Zusammenstoß kam es am Dienstag in der Provinzstadt Butemba. Mehr als 500 Menschen marschierten dort zum Quartier der Blauhelme und durchbrachen eine von kongolesischen Sicherheitskräften errichtete Sperre. Daraufhin soll es zu Schusswechseln zwischen den Protestierenden und Blauhelmen gekommen sein: Zwei indische Grenzpolizisten und ein marokkanischer Soldat wurden getötet. Nach Angaben des Bürgermeisters der Stadt kamen auf der Seite der Protestierenden sieben Menschen ums Leben. Die UN warf den Demonstrierenden vor, kongolesischen Polizisten die Waffen entrissen und mit diesen das Feuer auf die Blauhelme eröffnet zu haben.

Tote und Verletzte

Die Welle der Ausschreitungen begann am Montag in der Provinzhauptstadt Goma: Dort stürmten die Protestierenden das lokale Minusma-Hauptquartier, plünderten ein Lagerhaus und setzten Wachtürme in Brand. Aus dem UN-Lager wurden Tische, Stühle und Computer gestohlen. Die Blauhelme gaben Warnschüsse ab, sollen aber auch gezielt geschossen haben: Ein Reuters-Journalist will gesehen haben, wie UN-Soldaten zwei Demonstranten erschossen. Insgesamt kamen am Montag in Goma fünf Zivilisten um, mehr als 50 mussten mit Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Die Polizei habe auch zahlreiche Protestierende festgenommen, hieß es: Ihre Zahl wurde nicht genannt.

UN-Generalsekretär António Guterres verurteilte die Ausschreitungen scharf. Der Generalsekretär betrachte "jeden direkten Angriff auf UN-Friedenssoldaten" als "Kriegsverbrechen", sagte dessen Sprecher Farhan Haq in New York. Guterres appelliere an die kongolesischen Behörden, Ermittlungen aufzunehmen und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen.

Vorwürfe gegen Blauhelme

Zu den Protesten hatte sowohl die Bürgerrechtsorganisation Lusa als auch die Jugendorganisation der Regierungspartei "Union für Demokratie und sozialen Fortschritt" (UPDS) aufgerufen. Den schon seit 23 Jahren im Kongo stationierten Blauhelmen wird vorgeworfen, ihrer Aufgabe, die Bevölkerung zu schützen, nicht gerecht zu werden. Zu ähnlichen Protesten war es im Ostkongo schon in der Vergangenheit immer wieder gekommen – allerdings verliefen sie weniger gewalttätig.

Die Lage im Ostkongo, über den die Regierung vor einem Jahr den Notstand ausgerufen hatte, verschlechterte sich seit Anfang dieses Jahres weiter. Im Jänner gruppierte sich die Rebellentruppe M 23 wieder neu, die als aufgelöst galt: Ihre Kämpfer nahmen die an der Grenze zu Uganda gelegen Stadt Bunagana ein und rückten bis wenige Kilometer vor Goma vor. Vor zehn Jahren hatte M 23 weite Teile der Nord-Kivu-Provinz einschließlich Gomas eingenommen, bevor Monusco in einem regelrechten militärischen Feldzug die Rebellentruppe besiegte. Sie löste sich wenig später auf.

Ihr erneuter Auftritt sorgt bei der Bevölkerung im Ostkongo für Nervosität. M 23 gehören vor allem Tutsi an, die bereits vor Jahrzehnten aus Ruanda in den Kongo geflohen waren. Seit zigtausende ruandische Hutu nach dem Völkermord in ihrer Heimat in den Ostkongo geflohen kamen, fühlen sich die kongolesischen Tutsi dort nicht mehr sicher. Die Regierung in Kinshasa wirft Ruanda vor, M 23 mit Waffen und Soldaten zu unterstützen, um seinen Einfluss auf den Ostkongo zu sichern. Neben den 120 Milizen und Rebellentruppen, die sich dort tummeln, wird dem Zugriff der Nachbarstaaten auf die kongolesischen Bodenschätze die Verantwortung für das seit Jahrzehnten anhaltende Chaos zugeschrieben. (Johannes Dieterich, 27.7.2022)