Verwaiste Schlösser in Wien oder Triathleten, die aus dem Wasser kommen und dann zu Fuß weitermüssen. Der Grund dafür ist tausende Male der gleiche: Fahrraddiebe.

Foto: Heribert Corn

Eigentlich hatte Markus B. sich auf einen netten Abend in einem Lokal im siebten Bezirk in Wien gefreut. Am Ende blieb nicht einmal das aufgezwickte Schloss vom draußen abgestellten Mountainbike zurück. Das Rad hatte 1.500 Euro gekostet. Die Polizei, bei der er den Diebstahl zur Anzeige brachte, machte ihm keine großen Hoffnungen, dass er sein Rad zurückbekommen würde.

Tatort Ottakring

Auch Anna K. glaubt nicht, dass sie ihr KTM-Rad um 800 Euro je wieder sieht: Ihr wurde im Mai ihr Drahtesel aus dem Radraum ihres Wohnhauses in Wien-Ottakring gestohlen, in dem es nicht einmal eine Halterung zum Anhängen der Räder gibt. Es war das bereits zweite Fahrrad, das Anna K. in den letzten vier Jahren auf diese Art abhandenkam. "Ich hab wirklich überlegt, ob ich mir noch einmal ein neues Fahrrad kaufen soll", erzählt sie im Gespräch mit dem STANDARD. Noch dazu, weil gleich daneben ihrem Rad zwei billigere Exemplare unversperrt standen – und von den Täterinnen oder Tätern verschmäht wurden.

Markus B. und Anna K. sind nicht allein: 18.295 Raddiebstähle wurden 2021 laut Zahlen des Bundeskriminalamts zur Anzeige gebracht. Allerdings betont man dort, dass die relativ niedrigen Zahlen aus den beiden Corona-Jahren kaum repräsentativ sind. Heuer werden die Zahlen steigen, bisher waren es österreichweit rund 11.000. Auch bei den Diebstählen macht sich der Hype ums Rad bemerkbar. Hotspot ist Wien, viel gefladert wird aber auch in Graz und Salzburg. Und die Aufklärungsquote liegt Jahr für Jahr bei mageren acht bis zehn Prozent.

Aufs Rad verzichten

Alleine schon die Angst davor, dass das Rad gestohlen werden könnte, schränkt viele in ihrer Mobilität ein. Markus B. nimmt sein – mittlerweile neu gekauftes – Rad nicht mehr mit, wenn er abends essen geht. Im Freien unbeaufsichtigt bleibt es nur bei ganz kurzen Besorgungen.

Um wenigstens etwas entspannter mit dem Rad unterwegs sein zu können, versehen immer mehr Menschen ihre höherpreisigen Räder mit GPS-Trackern. Das schreckt Langfinger zwar nicht ab. Es erhöht aber immerhin die Chancen, dass man das Rad wieder zurück bekommt – oder zumindest in Echtzeit mitverfolgen kann, wohin seine Reise geht.

Das Innsbrucker Start-up Pow Unity hat einen solchen GPS-Tracker entwickelt, der in E-Bikes verbaut wird. Er ist so groß wie ein Feuerzeug und kommt mit einer 2G-SIM-Karte daher, mit der das Rad geortet werden kann, wenn kein GPS-Signal vorhanden ist. Außerdem verfügt es über eine Pufferbatterie, die auch dann noch Strom liefert, wenn der Akku des Rades ausgebaut wurde.

Mittels eigener Handy-App werden Nutzerinnen informiert, wenn das abgestellte Fahrrad über mehrere Sekunden hinweg bewegt wird. Kostenpunkt für den "Pow Unity Bike Trax": rund 200 Euro. Das klingt teuer – angesichts der Preise von E-Bikes sei das aber vertretbar, argumentiert Stefan Sinnegger, einer der Unternehmensgründer aus Innsbruck.

"Mein Rad ist auf der Autobahn"

"Vier- bis fünfmal pro Woche" würden sich Kunden melden, bei denen ein Diebstahl durch die Technologie vereitelt wurde, " und es melden sich ja auch nicht alle", sagt Sinnegger. Im Ernstfall lässt sich in Echtzeit tracken, wo sich der gestohlene fahrbare Untersatz gerade befindet. Der Standort kann auch mit der Polizei geteilt werden, die den Hinweisen laut Sinnegger auch tatsächlich nachgeht. Früher sei so ein Raddiebstahl für die Polizei detektivische Kleinarbeit mit wenig Erfolgsaussicht gewesen: "Aber jetzt kann man mit einem konkreten Anhaltspunkt zur Polizei gehen: Mein Rad ist gerade auf der Autobahn unterwegs." Das geht so fix, dass das E-Bike meist gefunden wird, bevor es im Ausland ist. Kunden hätten ihr Fahrrad aber auch schon einmal über 1.200 Kilometer von einem Campingplatz in Italien bis an die rumänische Grenze verfolgt – und letztendlich zurückbekommen.

Auch beim Bundeskriminalamt berichtet man, dass Bestohlene immer häufiger den konkreten Aufenthaltsort kennen. Mit Tracking-Technologie beschäftige man sich auch bei der Polizei, erklärt Herbert Landauf vom Bundeskriminalamt. Darüber reden möchte er aber nicht so gerne, um Dieben keine Hinweise zu geben.

Elektronischer Aufpasser

Auch das Wiener Start-up Airbell hat sich von der Angst vor Langfingern inspirieren lassen und eine Fahrradklingel entwickelt, in der der AirTag von Apple versteckt werden kann. Seit Anfang des Jahres ist das Produkt auf dem Markt, mittlerweile ist die Klingel auch in Asien erhältlich, demnächst sogar in den USA. Die Airbell kommt auf 25 Euro, den Airtag muss man sich zusätzlich kaufen.

Die Unternehmensgründer Christopher Steinweber und Valentin Ruhry berichten von zahlreichen vereitelten Diebstählen, etwa in Hamburg, wo ein E-Bike innerhalb von 30 Minuten wiedergefunden wurde. Die Zeit läuft nach dem Diebstahl: "Profis entfernen vom Rad alles, was personalisiert ist, bevor sie es verladen", also auch die Fahrradglocke. Daher eigne sich die smarte Klingel eher für Gelegenheitsdiebstähle, bei denen ein Dieb mit dem Rad weiterfährt.

Diese dürften eher in der Minderheit sein: Laut Herbert Landauf vom Bundeskriminalamt sind die meisten Raddiebstähle professionell organisiert. Teilweise würden Täterinnen und Täter – oft aus Osteuropa – vorab online genau auskundschaften, wo es große Radsportveranstaltungen gibt – und diese gezielt ansteuern, weil es viele teure Fahrgeräte zu holen gibt.

Keine Wildwestmethoden

Gestohlen wird bei Triathlons sogar direkt aus der Wechselzone – also jenem Bereich, in dem die Sportlerinnen und Sportler aus dem Wasser kommen, um sich auf ihre Räder zu schwingen, die dann im besten Fall auch noch dastehen sollten. Auch die Radräume von Hotels werden aufgebrochen, die Räder laut Landauf in Kastenwägen abtransportiert.

Häufig würden die Räder im Ausland landen, wo sie auf Online-Plattformen, aber auch in Fahrradgeschäften angeboten werden – und auf die Bestohlene in Ausnahmefällen und nach langer Recherche per Zufall stoßen.

Auch wenn man sein Rad mittlerweile theoretisch bis ans Ende der Welt verfolgen kann, sollte man von Wildwestmethoden und allzu viel Eigeninitiative absehen und stattdessen die Polizei einschalten. Um sich Scherereien zu ersparen, ist ratsam, sich die Rahmennummer und andere Erkennungsmerkmale schon beim Radkauf zu notieren.

Universalschlüssel Akkuflex

Abgestellt sollte ein Rad zudem bevorzugt an hellen, belebten Orten werden. Auch ein gutes Schloss ist wichtig – laut Stefan Sinnegger von Pow Unity aber vor allem, um Gelegenheitsdiebe abzuschrecken. Profis kommen mit der Akkuflex und knacken jedes Schloss in weniger als einer Minute, "sogar in belebten Straßen".

Der eingangs erwähnte Markus B. ist mittlerweile mit einem Rennrad statt seines Mountainbikes in der Stadt unterwegs. Und Anna K. hat sich letztendlich wieder für ein Markenrad und eine Diebstahlversicherung entschieden. Die Anschaffung eines GPS-Trackers überlegt sie sich noch. (Franziska Zoidl, 28.7.2022)