Viktor Orbán baute Ungarn in den vergangenen Jahren immer mehr zu einer illiberalen Demokratie um.

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Mit seiner Rede im rumänischen Kurort Bãile Tușnad erregte der ungarische Premier Viktor Orbán am vergangenen Samstag wieder einmal internationales Aufsehen und wütende Reaktionen – darunter auch vom Oberrabbiner Ungarns, Róbert Frölich. In einer langen Passage ließ sich der Rechtspopulist Orbán nämlich darüber aus, wie die außereuropäische Zuwanderung den Westen "gemischtrassig" machen würde, wogegen sich Völker wie die Ungarn wehrten. "Wir wollen nicht zu Gemischtrassigen werden", schärfte er seinen Fans ein.

Weil Orbán, der die gemeinsame EU-Politik immer wieder torpediert, auch über die Senkung des Gasverbrauchs scherzte, wo es "deutsches Know-how" gebe, fordert der Präsident der israelitischen Kultusgemeinde in Österreich, Oskar Deutsch, dass Kanzler Nehammer sein ungarisches Pendant beim Besuch am Donnerstag in Wien direkt darauf anspricht. Nehammer hat zugesagt, dies tun zu wollen. Überraschend kamen Orbáns Aussagen dennoch nicht. Der Politiker, der seit 2010 über Ungarn herrscht, operiert seit vielen Jahren mit Verschwörungstheorien und antisemitischen Codes, wie sie sonst oft nur Rechtsextremisten verwenden. Eine Auswahl:

  • Im Mai 2016 bezeichnete Orbán den US-Investor und Demokratie-Förderer George Soros in seinem regelmäßigen Radiointerview als Lenker einer "Hintergrundmacht". Der Begriff wird sonst nur von Verschwörungstheoretikern verwendet und steht als Chiffre für die "jüdische Weltverschwörung". Soros ist in Ungarn geboren und überlebte als Jugendlicher den Holocaust.
  • Im April 2017 verriet Orbán der damaligen Regierungszeitung Magyar Idök: "George Soros fördert, vor der Öffentlichkeit verborgen und unter Einbeziehung seiner ungarischen Organisationen, mit enormen Geldern die illegale Einwanderung." Die von ihm kontrollierten Medien schreiben seit Ende 2015 von einem geheimnisvollen "Soros-Plan" mit dieser Zielrichtung. Das Anti-Soros-Verschwörungsnarrativ wurde ursprünglich in Wladimir Putins Russland ausgeheckt. Im Juli 2017 und Frühjahr 2019 folgten antisemitisch konnotierte Anti-Soros-Plakatkampagnen im ganzen Land, die Soros als dämonischen Einflüsterer des damaligen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker erscheinen ließen.
  • Im September 2017 erklärte Orbán unwidersprochen vor Kirchenvertretern, dass aus Ländern, die schon zu Einwanderungsländern geworden sind, unaufhaltbar "Ländern mit einem Mischvolk" würden.
  • Im Februar 2018 sagte Orbán in seiner jährlichen "Rede zur Lage der Nation": "Wenn das alles so weitergeht, werden in den Großstädten Europas die Muslime klar in der Mehrheit sein. (…) Unsere Kultur, unsere Identität und unsere Nationen, wie wir sie kennen, werden, wenn das so weitergeht, aufhören zu existieren. Unsere schlimmsten Albträume werden wahr. Der Westen fällt, während es Europa nicht einmal bemerkt, dass es okkupiert wird." Die apokalyptische "Überfremdungserzählung" gehört zum ideologischen Inventar rechtsextremer Parteien und Bewegungen.
  • Im April 2018 behauptete Orbán in seiner Wahlkampfabschlussrede in Székesfehérvár: "Die Führer Europas wollen im Einklang mit einem milliardenschweren Spekulanten nicht die Grenzen verteidigen, sondern die Einwanderer hereinlassen." Offen und ohne Umschweife müsse man darüber sprechen, "was für eine Zukunft man in Brüssel, in der Uno und im alchimistischen Labor von George Soros für uns bestimmt hat."
  • Im Juni 2018 gab Orbán im Rundfunk bekannt: "In Europa geht ein Bevölkerungsaustausch vonstatten. Zum Teil geschieht das deshalb, damit Spekulanten wie George Soros am Zugrunderichten des Kontinents viel Geld verdienen können." Die Neue Rechte und Identitäre bezeichnen mit dem "großen Austausch" eine angebliche Verschwörung, mit deren Hilfe die weiße europäische Bevölkerung über Masseneinwanderung aus Afrika und Asien ersetzt werden soll. (Gregor Mayer aus Budapest, 28.7.2022)