Professor Derek Abbott von der Uni Adelaide will den "Somerton Man" identifiziert haben.

Foto: EPA / Mark Brake

Im Mai 2021 war der Leichnam des unbekannten Toten für DNA-Analysen exhumiert worden.

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Adelaide – Nachforschungen im Umfeld von russischen Geheimagenten, Spurensuche in Bibliotheken und persischen Werken, Klärungsversuche zu Kleidung und möglichen Verwandten und zu Besitzern eines Autos: All das haben die australischen Behörden und private Freunde morbider Rätsel in den vergangenen Jahrzehnten ausführlich betrieben. Doch nichts konnte die Frage aufklären, wer jener Tote war, der 1948 an eine Strandmauer am Somerton Beach in Glenelg, nahe Adelaide, angelehnt gefunden wurde. Nun aber könnte das oft etwas unheimlich anmutende Mysterium gelöst sein. Weil das recht unspektakuläre Ergebnis einer DNA-Analyse aber so gar nicht zu den vielen Theorien passt, die in diesem Zusammenhang aufgestellt wurden, werden wohl weiterhin Fragen offen bleiben.

Der etwa 1,80 Meter große weiße Mann war am 1. Dezember 1948 tot am Strand entdeckt worden. Bei der genaueren Befassung mit dem Fall taten sich schnell Ungereimtheiten auf. So deutete die Obduktion auf einen Tod durch Vergiftung mit Schlafmitteln oder eine Überdosis Psychopharmaka hin. Allerdings ließen sich zwar die dazu passenden organischen Schäden, nicht aber tatsächliche Spuren von Gift feststellen. Die laut damaligen Medienberichten den US-amerikanischen Wintertrends für Herrenmode entsprechende warme Kleidung passte nicht zum beginnenden australischen Sommer, das Gesicht des Mannes erkannten Befragte in der Gegend ebenso wenig, wie Behörden aus der ganzen englischsprachigen Welt seine Fingerabdrücke zuordnen konnten.

Kleidung ohne Etikett

Für zusätzliche Fragen sorgten weitere ungewöhnliche Umstände: Die Etiketten der Kleidung, die der Mann getragen hatte, waren allesamt herausgeschnitten, was Nachforschungen bei Schneidereien und Kleidungshandlungen erschwerte. Zwar wurde zwei Monate darauf am Bahnhof in Adelaide ein Koffer gefunden, der sehr ähnliche Kleidung mit ebenfalls herausgeschnittenen Etiketten enthielt und einen Hinweis auf den Namen Keane. Allerdings führte auch diese Spur zu keinem konkreten Ergebnis, weshalb spekuliert wurde, der Name könnte dem Mann untergejubelt worden sein, um Ermittler zu verwirren.

Darüber hinaus sorgte ein Stückchen Papier für zahlreiche Fragen, das vier Monate nach dem Leichenfund in einer kleinen Zusatztasche entdeckt wurde, die in die Hosentasche des Mannes eingenäht war. Das aus einem Buch herausgerissene Blättchen wurde von den Worten "Tamam Shud" geziert, was im Persischen "Ende" oder "vorbei" bedeutet. Mit einiger Mühe gelang es den Behörden, das Buch zu finden, aus dem das Blatt Papier herausgerissen worden war: Ein Arzt aus der Gegend meldete sich nach Medienberichten über den Fall bei den Behörden. Er hatte in seinem Auto, dessen Tür offen gewesen war, das Buch "Rubaiyat" des persischen Dichters Omar Chayyam gefunden. Offenbar hatte es jemand in den Wagen geworfen. Unterschiedliche Quellen sind sich allerdings nicht einig darüber, ob das Werk in der Tatnacht oder schon zwei Wochen vorher gefunden worden sei.

In dem Buch jedenfalls fehlte genau jenes Stück Papier, das beim Toten gefunden worden war. Auf der letzten Seite des Werkes waren zudem handschriftlich Buchstaben notiert, die allerdings keinen konkreten Sinn ergaben und deshalb für eine verschlüsselte Botschaft gehalten wurden. Ob es sich wirklich um eine solche handelt, ist nicht sicher – entschlüsselt ist sie jedenfalls bis heute nicht.

Mysteriöse persische Lyrik

Ebenfalls war dort außerdem eine Telefonnummer notiert. Diese gehörte einer Frau, die nicht einmal einen halben Kilometer vom Fundort der Leiche entfernt in Glenelg wohnte – und auf Nachfrage tatsächlich angab, einmal das "Rubayat" besessen zu haben. Sie habe das Buch aber einem Freund namens Alfred Boxall geschenkt. Doch führte auch diese Spur ins Leere: Boxall wurde nach einiger Zeit gefunden. Das Buch, das ihm die Frau geschenkt hatte, besaß er noch – und es war auch noch vollständig. Rund um die Frau – die laut Angaben ihrer Tochter Russisch gesprochen haben soll, ohne erklären zu können, wo sie die Sprache gelernt hatte – gab es immer wieder Gerüchte, die auch in Richtung des russischen Geheimdiensts wiesen. Konkrete Belege dafür gab es aber nie.

Nun sorgt offenbar eine DNA-Analyse für Klarheit – und ihr Ergebnis ist, wie schon angedeutet, weniger spektakulär, als die bisherige Spekulationen vermuten ließen. Der Tote ist demnach ein gewisser Carl Webb, berichtet die BBC. Auf ihn kam ein Professor der Forensik an der Uni von Adelaide, Derek Abbott, nachdem er Haare aus einer Totenmaske des Mannes hatte untersuchen lassen. Die Untersuchung seiner Haare und ein Abgleich mit vorhandenen – öffentlich zugänglichen – Ahnendatenbanken führten ihn schließlich zu Webb. Es wird vermutet, dass der Mann nach Adelaide gereist war, um seine Frau zu finden, die sich von ihm getrennt hatte und in den Süden Australien gezogen war. Die Frau selbst oder ihre Verwandten sind allerdings offenbar noch nicht gefunden worden.

Die Polizei hat den Fall nicht kommentiert. Sie führt allerdings dieser Tage eine eigene DNA-Untersuchung durch, für die der Leichnam des "Somerton Man" im Mai 2021 exhumiert wurde. (mesc, 28.7.2022)