Am Donnerstag zu Gast in Wien: Viktor Orbán.

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Man hätte es Pech mit dem Timing nennen können. Nur ein paar Tage nachdem Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) von Ungarn als einem wichtigen Nachbar und Partner getwittert und geschrieben hatte, dass er sich freue, Ungarns Premierminister Viktor Orbán demnächst in Wien zu begrüßen, machte die Nachricht die Runde, dass Orbán am Wochenende mit antisemitischen Chiffren und rassistischen Aussagen gespielt habe. Ungünstig, den Premier wenig später als Staatsgast in Wien zu empfangen, wo sich die ÖVP doch seit Jahren redlich um eine bessere Beziehung zu Israel bemüht und eigentlich stets proeuropäisch handeln möchte.

Man könnte aber auch sagen, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die nächste rassistische und antisemitisch konnotierte Aussage Orbáns daherkommt, und es daher stets politisch brisant ist, Orbán einzuladen. In erstaunlicher Regelmäßigkeit setzte er in der Vergangenheit damit bewusst politische Botschaften, will damit Wähler im Rechts-außen-Lager abholen und diese der neuen, stramm rechten Partei Unsere Heimat abspenstig machen – passieren tut einem Politprofi wie Orbán solch eine Aussage nicht.

Und so sah sich ÖVP-Chef Nehammer bereits gezwungen, auf seinen Gast zu reagieren, noch bevor dieser überhaupt am Donnerstag in Wien eingetroffen war. Natürlich sei das zu verurteilen, natürlich seien Vergleiche zwischen der Shoah und der aktuellen Krise um den Erdgasverbrauch immer inakzeptabel, so Nehammer. Das wiederholte er dann nochmals bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Orbán im Bundeskanzleramt kurz nach 13 Uhr. Besonders wegen Österreichs historischer Verantwortung sei man hier speziell bedacht darauf, dass Rassismus und Antisemitismus keinen Platz haben dürfen. Unter guten Freunden müsse diese Ehrlichkeit oberstes Gebot sein, so der Kanzler.

Nehammer und Orbán.
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Der gekonnte Rhetoriker Orbán wischte diese Bedenken aber wiederholt beiseite. Man müsse einfach verstehen, dass seine Abneigung gegen Zuwanderer "nicht auf biologische, sondern auf kulturelle Fragen" zurückzuführen sei. Er sei also nicht von Haus aus ein Rassist, sondern er möge nur einfach die Art und Weise gewisser Personen zu leben nicht, argumentierte er gewissermaßen. Aber er sei der einzige Spitzenpolitiker in der EU, der sich das direkt anzusprechen traue, so Orbán.

Keine Einheit ohne Ungarn

Anzusprechen gab es auch abseits der rassistischen und antisemitischen Anklänge Orbáns vieles. Etwa seine permanenten Störfeuer in EU-Fragen. Orbán aber machte klar, dass die EU nun einmal nicht in Brüssel sei, sondern in den 27 Nationalstaaten. Er lege auch in der Ukraine-Politik kein Veto ein, ohne ihn gebe es aber nun einmal keine Einigung, so seine etwas weit gefasste Definition eines Vetos. Die Sanktionen der 27 EU-Staaten trug Orbán bisher tatsächlich alle mit, allerdings mit größtmöglichem Wirbel und Aussagen, wonach ihm die Sanktionen so gar nicht schmecken. Ganz im Gegenteil, sie würden der EU mehr schaden als bringen, sagte er wiederholt – ohne dafür Belege anzuführen. Ins selbe Horn stieß er auch in Wien. Man fahre mit vier platten Reifen auf eine Wand zu, und er warne davor dagegenzufahren. Man müsse umdenken, so Orbán.

Auch hier gab sich Orbán wieder so, wie ihn in Ungarn viele schätzen. Mit heftigem Nicken stimmte er Nehammer zu, dass es die europäische Einheit brauche, man solle aber gefälligst akzeptieren, dass es eine europäische Einheit nur dann gibt, wenn auch die Ungarn an Bord sind.

Erst kürzlich schlug der ungarische Außenminister Péter Szijjártó als Bittsteller in Moskau auf. Er wollte Gas einkaufen, um die nationalen Interessen Ungarns zu wahren. In der EU machte sich Unverständnis breit. Das war in Ansätzen zumindest auch zu hören, als Kanzler Nehammer in diplomatischer Mission mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau zusammenkam. Einige russische Medien kommentierten den Besuch damals auch als Gasbettelei, wenngleich die diplomatische Anstrengung und die Wiederaufnahme von Getreideexporten damals im Mittelpunkt standen, wie Nehammer nicht müde wird zu betonen.

Handshake des ungarischen Außenministers Péter Szijjártó mit Russlands Außenminister Sergej Lawrow in Moskau.
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Freilich wären auch der schleichende Umbau zu einer illiberalen Demokratie sowie der demokratiegefährdende Umgang mit der Medienlandschaft in Ungarn anzusprechen gewesen. Davon war zwar nichts zu hören, zu spüren aber schon: Nur eine Frage an jede Seite war erlaubt – aus Zeitgründen, wie es hieß. Dass Orbán die wenigen Fragen dann für eine fast zehnminütige Grundsatzrede nützte, zeigt auch dessen Verständnis von kritischen Nachfragen von Journalisten.

Migrationsgipfel mit Serbien

Neben dem Krieg in der Ukraine ging es den beiden Regierungschefs aber vor allem um die Bekämpfung der irregulären Migration. Da fährt Ungarn seit Jahren einen extrem harten Kurs, errichtet Zäune an seinen Grenzen und sorgt mit der schlechten Behandlung von Geflüchteten regelmäßig für Schlagzeilen. Das geschieht freilich alles auch, um der angeblich drohenden "Durchmischung der Rassen" in Europa entgegenzuwirken, die Orbán bekanntlich als die größte Gefahr für Europa darstellt. Den Rassenbegriff verwendete er ihn Wien nicht. Sehr wohl aber warnte er vor "österreichischen Zuständen" in Migrations- und Integrationsfragen, vor denen er das ungarische Volk schützen will.

Auch deshalb sei er nach Wien gekommen, um mit Nehammer über einen härteren Kurs in der Migrationsfrage zu sprechen. Vor allem Ungarns südlichen Nachbarstaat Serbien gelte es dabei ins Boot zu holen. Nehammer akzeptierte diesen Wunsch offensichtlich und sprach sich für einen Dreiergipfel zu Migrationsfragen aus.

Beim Empfang gab es auch einige Demonstranten.
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Nicht übereingekommen sind Orbán und Nehammer in Atomfragen. Erst wenn Österreich den Bau ungarischer Wasserkraftwerke in Österreich erlaube, komme man vom Atomstrom weg. Das habe man zu akzeptieren. Auch die Orthodoxie müsse von der europäischen Sanktionspolitik weiter ausgenommen bleiben. Ohne Kirche kein Frieden, so Orbáns Credo. Nehammer stimmte insofern zu, als man die Glaubensfrage auf dem Westbalkan jedenfalls für etwaige Beitrittsgespräche mitdenken müsse. Ignorieren könne man sie nicht.

Empfangen wurde der Premierminister übrigens unter einigen Buhrufen und Pfiffen von Schaulustigen in Wien. Auch die "Omas gegen rechts" waren wieder da und hielten Plakate hoch. Ein Einzelner rief Orbán "Weiter so" zu. "Der Retter Europas", schrie der Mann, während einige wenige klatschten. (Fabian Sommavilla, 28.7.2022)