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Es gibt auf der Welt immer mehr Menschen, die immer reicher werden und deshalb immer mehr Fleisch essen. Für die einen ist klar: Darum muss die Landwirtschaft ihre Produktion massiv ausweiten. Die anderen fordern das Gegenteil: Weil Agrarbetriebe ihre Produktion in der Vergangenheit massiv gesteigert haben, leidet die Umwelt enorm, deshalb brauchen wir weniger Erträge und dafür mehr Natur, mehr Bio, Platz für Tiere.

In den vergangenen Jahrzehnten ist vor allem Ersteres passiert, es wurden Landschaften plattgemacht, die Felder immer größer, es wurde mehr gespritzt und gedüngt, und damit verschwanden Hecken, blühende Wiesen, Vielfalt und mit ihnen Insekten und Vögel. Was, wenn beide recht haben? Begeben wir uns auf die Suche nach einem Zwischenweg.

Unsere Ernährung ist neben der fossilen Energie die große Herausforderung, um Klimakrise und Artensterben zu lösen.
Foto: imago images/Westend61

Beide haben recht? Ja, denn die Art und Weise, wie Landwirtschaft heutzutage betrieben wird, ist nicht zukunftsfähig. Sie stößt zu Recht an gesellschaftliche Akzeptanzprobleme, ist auf dem Weg, hunderttausende Arten auf der Welt zu vernichten, und könnte durch ihre Methan-, Lachgas- und CO2-Emissionen alleine dazu führen, dass der Klimawandel katastrophal wird.

Richtig ist aber auch: Die Fläche, die der Welt zu Verfügung steht, ist begrenzt. Wir brauchen aber mehr tierische Lebensmittel, weil es immer mehr Menschen auf der Welt gibt und weil gleichzeitig der Wohlstand steigt und damit auch die Nachfrage nach Fleisch, Käse, Eiern und Milch. Ein Mittelweg, der die Welternährung mit Rücksicht auf die Natur sichert?

Das ist auch deshalb zentral, weil eine Landwirtschaft mit der heutigen Produktivität für die Ernährung der Welt im Jahr 2050 dann so viel mehr Äcker und Wiesen braucht wie zweimal die Fläche Indiens. Das zeigt eine Studie des World Resources Institute. Dafür könnten etwa Wälder gerodet, Moore trockengelegt oder Grünland zu Acker werden: Das würde massiv Treibhausgase ausstoßen und noch mehr Lebensraum und Arten auslöschen.

Mehr Ertrag pro Fläche

Das ist keine Option und heißt, wir müssen auf derselben Fläche mehr Ertrag erwirtschaften und gleichzeitig mehr auf die Natur achtgeben. Das klingt sehr fordernd und ist es auch und verlangt, dass Gewissheiten hinterfragt werden. Die Antwort vieler NGOs, der Politik und Konsumenten auf diese Probleme – bio – stoßt dabei nämlich massiv an ihre Grenzen.

Die Bio-Landwirtschaft schont lokal die Natur, es gibt auf Bio-Feldern mehr Insekten und Vögel, Böden sind lebendiger, und die Betriebe haben oft großes Bewusstsein für Ökologie und für die Landschaft. Auch die Konsumenten – wie ich einer bin – haben oft Bewusstsein für die großen Umweltprobleme und essen zum Beispiel weniger Fleisch, was essenziell ist.

Der kleine Bio-Vorteil

Das große Problem bei Bio ist aber: Die Vorteile, die die Natur vom Bio-Landbau hat, sind im Verhältnis zum Verlust an Erträgen relativ gering. Auf Bio-Flächen kommt etwa ein Drittel mehr Arten vor als auf konventionell bewirtschafteten Flächen – das klingt nach viel, ist es aber nicht. Es gibt Maßnahmen, die das Artenvorkommen vervielfachen – etwa Blühstreifen neben einem Acker. Unabhängig davon, ob nebenbei bio gewirtschaftet wird.

Gleichzeitig schafft die Bio-Landwirtschaft auf derselben Fläche in Österreich im Schnitt 34 Prozent weniger Ertrag als konventionelle Landwirtschaft. Bei Soja sind die Unterschiede sehr gering, hier sind es nur neun Prozent Verlust. Bei Roggen sind es 38 Prozent und bei Kartoffeln sind es sogar 49 Prozent (im Schnitt zwischen 2003 und 2015, Quelle hier). Auf globaler Ebene sind die Verluste niedriger – im Schnitt 20 Prozent – aber trotzdem hoch.

Schmerzhafte Ertragsverluste

20 Prozent weniger ohne Einsatz von künstlichen Pflanzenschutzmitteln und Dünger: Das ist durchaus beachtenswert und spricht für das Wissen vieler Bio-Bauern. Wenn die Nachfrage nach Lebensmitteln bis 2050 aber um die Hälfte und nach tierischen Lebensmitteln bis 2050 sogar um 70 Prozent steigt, dann schmerzen diese Ertragsverluste doppelt und dreifach.

Denn zur Erinnerung: Wir wollen möglichst wenig zusätzliche Fläche für die Landwirtschaft verwenden, um Klimakrise und Artensterben zu bekämpfen. Diese Prognosen für die nächsten 30 Jahre kommen übrigens nicht von mir, sondern sind die von vielen Forschern akzeptierten Szenarien der beiden Organisationen OECD und FAO. Das muss nicht genau so eintreten, es ist aber relativ wahrscheinlich, dass sie nicht ganz daneben liegen.

Explosion der Weltbevölkerung

Ein Reflex, der dann oft kommt, ist: Es gibt einfach zu viele Menschen auf der Welt. Das finde ich schon vom Prinzip her bedenklich – wer ist zu viel, ich, Sie? – und es spielt künftig auch nicht mehr wirklich eine Rolle. Denn im Schnitt bekommt eine Frau auf der Welt heute schon nur mehr 2,4 Kinder. Das ist also schon fast der Wert, bei dem die Weltbevölkerung über die Zeit gleich bleibt: Das ist bei 2,1 Kindern pro Frau der Fall.

Warum steigt die Nachfrage nach Lebensmitteln dann trotzdem so stark? Einerseits liegt das daran, dass noch einiges an Bevölkerungswachstum "nachschiebt". Was heißt das? Wenn die Geburtenrate auf 2,1 fällt, steigt die Weltbevölkerung trotzdem noch Jahrzehnte weiter. Denn während es heute etwa wenig Menschen über 60 gibt, werden es künftig viele mehr sein. Es gibt dann also beispielsweise gleich viele Kinder wie heute, aber mehr Ältere. (Mehr hier.)

Gleichzeitig gibt es einen sehr gut belegten Zusammenhang: Bis zu einem Einkommen von 36.000 Dollar pro Jahr steigt der Fleischkonsum mit dem Wohlstand. Weil der Großteil der Welt noch unter dieser Grenze liegt, der Wohlstand aber steigt, steigt auch der Konsum von tierischen Lebensmitteln. Es ist Menschen in Bangladesch, China, Indien oder Indonesien nur schwer argumentierbar, dass sie nicht auch Milch trinken und Steak essen dürfen. (Studie)

Weniger Fleisch? Ja!

Aber können wir in reichen Ländern durch weniger Fleischkonsum nicht gegensteuern? Doch, und das müssen wir auch. Da sind sich eigentlich alle Wissenschafter einig. Der Konsum von tierischen Lebensmitteln – vor allem von Milch, Käse und Rindfleisch – muss stark sinken. Das spart Treibhausgase und Platz. Denn um eine Kalorie Rindfleisch herzustellen, fließen 16 Kalorien in die Ernährung des Rindes. Bei einem Huhn sind es drei, noch effizienter ist es, das Angebaute wie etwa Karfiol gleich selbst zu essen. Auch Fleischersatz kann dabei helfen.

Aber wenn wir weniger Fleisch in Österreich essen, können wir dann nicht noch viel mehr Bio-Landwirtschaft haben? Jetzt kommen wir zu einem entscheidenden Punkt. Betrachtet man Österreich als Insel, ist das stimmig. Indem wir weniger Fleisch essen und Essen wegwerfen, könnten wir uns im Prinzip eine weniger produktive Landwirtschaft leisten, also etwa mehr Bio-Flächen. Die würden zwar weniger Lebensmittel produzieren, aber weil sie oft Gemüse statt Fleisch liefern, lässt sich auf der gleichen Fläche viel mehr Essen produzieren.

Bruch mit einem Tabu

Nur ist Österreich keine Insel. Österreich exportiert Nahrungsmittel im Wert von zwölf Milliarden Euro im Jahr. Ein Stück Wurst aus Österreich, das im Ausland gegessen wird, muss dort nicht produziert werden. Denkt man das global, ist es so: Wenn die Nachfrage nach Lebensmitteln bis zur Mitte des Jahrhunderts um die Hälfte steigt, kann die Produktion hierzulande beitragen, dass anderswo nicht zusätzliche Flächen gebraucht werden.

Dann würde in Österreich deutlich weniger Milch, Wurst und Käse gegessen werden, aber nicht unbedingt weniger davon produziert werden. Lebensmittel zu exportieren ist derzeit in Österreich und Deutschland noch eher verpönt. Es gibt aber eigentlich keinen Grund dafür. Denn der Transport von Lebensmitteln hat nur minimalen Anteil an der Klimawirkung unserer Ernährung. Viel wichtiger: Die Tiere selbst, der Dünger, die Landnutzung an sich.

Gegen die Intuition

Es scheint kontraintuitiv, aber eine nachhaltige Agrarzukunft in Österreich könnte dann so aussehen, dass deutlich weniger Tiere gegessen werden, weiter aber viel Landwirtschaft hier betrieben wird – nur dann mit niedrigeren Umweltschäden als heute. Das würde global dazu beitragen, dass die Versorgung mit Lebensmitteln gesichert wird und der Flächenbedarf der Landwirtschaft nicht allzu stark steigt. Letzteres wäre, wie gesagt, ökologisch katastrophal.

Bleibt "nur" mehr die Frage, wie wir die Landwirtschaft nachhaltiger gestalten können? Zur Erinnerung: Bio bringt hierzulande auf derselben Fläche um ein Drittel weniger Ertrag und bietet dafür ein Drittel mehr Arten Lebensraum als konventionelle Betriebe. Bio ist übrigens nicht klimafreundlich: Es wird zwar kein klimaschädlicher Kunstdünger verwendet, aber weil mehr Fläche verbraucht wird und Landnutzung dem Klima schadet, gleicht sich das aus.

Ein buntes Mosaik

Jemand, der sich genau mit dieser Frage beschäftigt, ist Teja Tscharntke. Er forscht an der Universität in Göttingen und ist der von anderen Wissenschaftern meistzitierte Ökologe im deutschsprachigen Raum. Auf seinen Studien und Artikeln und einem Interview basieren zum Teil die Argumente dieses Textes. Was schlägt er also vor?

Die Agrarlandschaft muss wieder kleinteiliger und vielfältiger werden. "Über ein 20 Hektar großes Getreidefeld fliegt keine Biene mehr", sagt er. Große Felder sparen den Betrieben Zeit und Geld. Die Erträge pro Hektar erhöhen sie wenig, die Kosten für die Umwelt sind dafür aber enorm. Wären Felder wieder nur mehr ein, zwei oder drei Hektar groß, sagt Tscharntke, wäre viel gewonnen. Für die Mehrkosten könnten aktuelle Förderungen umverteilt werden.

Dann ist laut Tscharntke wichtig, dass nicht immer das gleiche, sondern verschiedenste Pflanzen angebaut werden. "Diese Mosaikstruktur der Landschaften und die Heterogenität in den Bedingungen ist einer der besten Vorhersagefaktoren für Artenvielfalt." Werden aus den Feldrändern Blühstreifen, also extra für Insekten angelegte Blumenwiesen, können sie diese Flächen quasi als Insekten-Autobahn nutzen. Diese Mobilität macht den Genpool diverser.

Blick auf die Landschaft

Wichtig sei, sagt Tscharntke, nicht auf ein einziges Feld zu schauen und dort zum Beispiel die Bienen zu zählen. Der Blick auf die Landschaften sei zentral. Das sei der Maßstab, der für die Artenvielfalt wichtig sei. In etwa 20 Prozent an seminatürlichen Flächen brauche es, damit eine Agrarlandschaft ökologisch funktioniere. Das kann ein kleiner Teich sein, ein Gehölze, Hecken, eine Blumenwiese, eine Brachfläche, die sich idealerweise von selbst begrünt, oder Obstbäume.

Genau diese Elemente sind aber oft auch unproduktive Störfaktoren für Betriebe. Darum ist es für den Ökologen notwendig, die Förderungen für Bauern – ob Bio oder konventionell – daran zu koppeln, diese Mindestanforderungen zu erfüllen. Derzeit wird ja ein Gutteil des Geldes an Landwirte ausbezahlt, nur weil sie Fläche bewirtschaften. Wie, ist nicht so wichtig.

Bruch mit Glaubenssätzen

Die Landwirtschaft der Zukunft achtet also nicht mehr so sehr auf den Gegensatz von Bio und konventionell. Sie ist bunter, was die Landschaften schöner und für Tiere und Pflanzen lebenswert macht. Fördergeld, um das zu finanzieren, gibt es ja genug – es muss nur anders verteilt werden. Mehr Hecken, Blühflächen und Gehölz kostet zwar auch Erträge, aber bringt viel mehr als der bloße Verzicht auf Kunstdünger und Spritzmittel wie im Bio-Landbau.

Durch neue Präzisionstechnologie machen Betriebe mit weniger Chemie mehr Ertrag. Auch die Genschere Crispr/Cas hat das Potenzial, die Erträge stark zu steigern. Dafür müssen wir unseren Zugang zu Gentechnik endlich entlang wissenschaftlicher Fakten ausrichten. Durch eine stärkere pflanzliche Ernährung, Laborfleisch und Fleischersatz sinkt der Fleischkonsum in reichen Ländern. Produktive, nachhaltige österreichische Bauern exportieren in die Welt.

Klingt nach einer Utopie? Jedenfalls müssen wir dafür mit einigen Glaubenssätzen brechen. Sowohl aufseiten der Betriebe, ihrer Lobbys und politischen Vertreter als auch aufseiten der Naturschützer und NGOs. Am besten fangen wir damit lieber heute an als morgen.

Im nächsten Beitrag der Serie geht es darum, wie ländliche Gemeinden ihren Ortskern wieder stärken können. Melden Sie sich für den kostenlosen Newsletter an, um ihn nicht zu verpassen. (Andreas Sator, 1.8.2022)