Der Nutri-Score suggeriert eine Einteilung in gesunde und ungesunde Lebensmittel. Fachleute kritisieren die Ernährungsampel.

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Man findet ihn auf der Tiefkühlpizza, auf Milchprodukten oder auch auf den Lieblingskeksen: den Nutri-Score. Entwickelt wurde er 2017 in Frankreich und ist eine Art Farbkennzeichnung für Lebensmittel. Auch in Österreich ist er auf immer mehr Lebensmitteln zu finden. Eingeführt wurde er zwar offiziell nie, doch er darf auf Produkten, die aus einem Land kommen, indem er bereits zugelassen wurde, angeführt werden. Somit fragen sich auch in österreichischen Supermärkten immer häufiger Kundinnen und Kunden, was die Ampel-ähnliche Kennzeichnung genau bedeutet. Denn: "Kaum eine Konsumentin oder ein Konsument weiß, was es eigentlich mit dem Nutri-Score auf sich hat", erklärt Ernährungswissenschafter Manuel Schätzer.

Der Nutri-Score ist eine fünfstufige Bewertungsskala für den Nährwert von Lebensmitteln, man findet ihn auf der Verpackungsvorderseite. Die Skala besteht aus den fünf Buchstaben A, B, C, D, E in Kombination mit einer Farbabstufung von Dunkelgrün über Gelb bis Rot. Er gibt eine Gesamtbewertung des gekennzeichneten Lebensmittels ab, die auf einem Berechnungsalgorithmus basiert. Berechnungsgrundlage sind jeweils 100 Gramm des bewerteten Produkts. Für positiv klassifizierte Inhaltsstoffe wie Eiweiß, Ballaststoffe, Obst, Gemüse oder Nüsse gibt es Minuspunkte, für negativ klassifizierte Nährstoffe wie Fette, Zucker oder Salz gibt es Pluspunkte. Diese werden gegeneinander aufgerechnet, je niedriger die Punktezahl ist, desto besser fällt die Bewertung durch den Nutri-Score aus.

Einteilung in gesunde und ungesunde Lebensmittel

Jedoch scheint die genaue Bewertung der Produkte sehr intransparent zu sein. Schätzer kritisiert etwa, dass "der Nutri-Score keinerlei Hinweise auf Inhaltsstoffe gibt oder wie sehr ein Lebensmittel verarbeitet worden ist." Auch Süßstoffe werden nicht in die Bewertung mit einbezogen. "Darum wird ein Lightprodukt schnell mit einem grünen B gekennzeichnet", womit dem Kunden suggeriert werde, dass es ein gesundes Produkt sei.

Auch bei Getränken ist die Bewertung nicht ganz nachvollziehbar: "Für Getränke wird ein anderer Zuckergehalt verwendet als für feste Lebensmittel", sagt Schätzer. Gleichzeitig würden flüssige Milchprodukte abhängig von ihrem Milchanteil entweder zu den Getränken oder zu Milchprodukten gezählt und dadurch jeweils anders bewertet. Das sei für den Konsumenten nicht mehr nachvollziehbar.

Genau da setzt auch der Ernährungswissenschafter und Buchautor Uwe Knop an. Für ihn gibt es bei Lebensmitteln keine Einteilung in gesund oder ungesund. "Der Nutri-Score gaukelt mir aber vor, dass ein Produkt mit einem grünen A oder B ein vermeintlich gesundes Lebensmittel ist." Dabei werde weder auf die Verarbeitung der Produkte noch auf deren Herkunft geachtet.

Fertigprodukte schneiden besser ab als hochwertige Öle

Weil der Nutri-Score anhand einer einheitlichen Größe von 100 Gramm bzw. 100 Milliliter pro Lebensmittel bewerte, komme es auch vor, dass Tiefkühlpizza mit einem grünen A versehen wird. Schätzer betont aber: "Niemand wird von der Tiefkühlpizza nur 100 Gramm essen, sondern im Normalfall die ganzen 400 Gramm." Also die vierfache Menge an Salz, Fett und Zucker des angegeben Nutri-Score-Wertes. "Würde der Nutri-Score eine durchschnittliche Portionsgröße bewerten, bekäme die Tiefkühlpizza sicher kein grünes A."

Wie kritisch diese Einteilung in Ampelfarben ist, wird noch deutlicher, wenn man sich im Gegensatz dazu ein Produkt wie natives Bioolivenöl ansieht. Auch dieses wird auf der Basis von 100 Milliliter bewertet. Aufgrund des hohen Fettgehaltes wird es vom Nutri-Score in die Kategorie C eingeteilt. Hier kommt aber genau das Gegenteil zur Tiefkühlpizza zum Tragen: Kaum jemand wird 100 Milliliter Olivenöl pro Portion zu sich nehmen, und auch die wertvollen ungesättigten Fettsäuren werden vom Nutri-Score nicht erfasst. "Somit wird dem Verbraucher suggeriert, dass die Fertigpizza das gesündere Lebensmittel und die bessere Wahl sei als das Olivenöl", sagt Schätzer.

Tricks der Lebensmittelindustrie

Um einen besseren Nutri-Score zu erzielen, hält die Lebensmittelindustrie auch schon ein paar Tricks bereit. Schätzer weiß: "Manche Hersteller tauschen einfach Zucker gegen Apfelsaftkonzentrat aus oder mischen Ackerbohnenmehl in ihr Weißbrot." Und schon rutscht das Lebensmittel etwa von einem gelben C auf ein grünes B. "Ob dadurch eine gesündere Ernährungsweise gefördert wird, muss stark hinterfragt werden."

Es gibt auch bereits einige Studien darüber, ob sich das Einkaufsverhalten durch eine Kennzeichnung wie den Nutri-Score verändere. "Es hat sich herausgestellt, dass sich die Komposition des Warenkorbs vom Nährstoffprofil her gerade mal um 2,5 Prozent verbessert. Das bewegt sich auf einem wissenschaftlich nicht messbaren Niveau", weiß der Experte. Und er fügt noch hinzu: "Lebensmittel sind viel mehr als nur die Nährwertkennzeichnung. Beim Nutri-Score werden viele wichtige Dinge nicht beachtet, etwa wie sehr ein Produkt verarbeitet wurde, wie lang die Zusatzstoffliste sei, wie viele sekundäre Pflanzenstoffe es enthält und vieles mehr." Und all das stellt ihn als Bewertungsinstrument dafür, ob ein Produkt grundsätzlich gesund sei oder nicht, sehr infrage. (Jasmin Altrock, 6.8.2022)