Das Mitte April in Wien beschlagnahmte Gemälde "Caritas Romana" gilt in der 2015 veröffentlichten Fachliteratur zuletzt als Gemeinschaftsarbeit: demnach soll Artemisia Gentileschi die Figur der Pero (re.) und Onofrio Palumbo jene des Cimone (li.) gemalt haben.

Foto: AP / Carabinieri TPC

Eine Pressekonferenz im süditalienischen Bari gehört gemeinhin nicht zu den Ereignissen, die Kunstmarktchronisten auf dem Radar haben. Das sollte sich am Dienstag vergangener Woche ändern. Anlass gab die Rückführung eines angeblich von Artemisia Gentileschi (1593–1654) geschaffenen Gemäldes, das zum Zwecke des Verkaufs "illegal" nach Österreich exportiert worden sei, so die offizielle Erzählung.

Caritas Romana titelt das Corpus Delicti, das die römische Legende von Pero schildert, die ihren inhaftierten Vater Cimone stillte und so vor dem drohenden Hungertod bewahrte. Das etwa 80 mal 100 cm große Bild war, wie berichtet, bereits Mitte April über eine Anordnung der italienischen Behörden vom Landeskriminalamt Wien im Dorotheum beschlagnahmt worden.

Der von Staatsanwalt Roberto Rossi verlautbarte Verdacht: Die 2019 vom Kulturministerium erteilte Ausfuhrgenehmigung sei durch falsche Angaben der Antragsteller zustande gekommen. Rossi und die Carabinieri einer Sondereinheit wittern gezielte Täuschungsabsicht.

An den Pranger

Ermittelt werde demnach gegen zwei Verdächtige, die man unter voller Namensnennung vor Medienvertretern quasi anprangerte. Ein Vorgehen, das sonst allenfalls bei Schwerverbrechern üblich ist, die zur internationalen Fahndung ausgeschrieben sind – nicht aber bei Privatpersonen, die des ihnen angelasteten Betrugs noch nicht überführt wurden, der gegebenenfalls auch niemanden geschädigt hätte. Sieht man vom Bestand des kulturellen Erbes Italiens und dem Standesstolz seiner ambitionierten Hüter ab.

2018 fand in Conversano, 30 km von Bari entfernt, eine Ausstellung zu einer ehemals gräflichen Privatsammlung statt. Das Cover des begleitenden Kataloges zierte "Caritas Romana", laut der Kuratorin ein Werk von Artemisia Gentileschi.
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International akkordierte die Justizbehörde der Europäischen Union Eurojust die Kommunikation zu dieser Causa. Da wie dort wurden jedoch Behauptungen erhoben, die sich bei näherer Betrachtung als überschießend erweisen und auch eine gewisse Ahnungslosigkeit über die Praktiken der Kunstgeschichtsforschung vermuten lassen.

Zu- und Abschreibungen

Denn anders, als man vermuten würde, ist das Schaffen vieler Künstlerinnen und Künstler, insbesondere solcher aus dem gegenständlichen Zeitraum nur fallweise erforscht. Häufig fehlen Signaturen oder Dokumente, die eine zweifelsfreie Zuschreibung ermöglichen. Die Forschung behilft sich dann mit stilistischen Zuordnungen oder Indizien, die zu einem bestimmten Künstlernamen führen.

Oftmals erschwert der einst übliche Werkstattbetrieb namhafter Kunstproduzenten, die neben der Ausbildung ihrer Schüler auch Gehilfen beschäftigten, die Identifikation der einzelnen, alles entscheidenden "Handschrift". Zu- und Abschreibungen sind deshalb ein wesentlicher Bestandteil der Kunstforschung – über Generationen hinweg.

Das Gemälde "Abraham und die drei Engel" wurde im Mai im Dorotheum angeboten: als eine Artemisia Gentileschi und Onofrio Palumbo zugeschriebene Gemeinschaftsarbeit (1640er-Jahre). Mit einem Schätzwert von 250.000 bis 300.000 Euro blieb das Bild unverkauft.
Foto: Dorotheum

Hinzu kommt, dass Werke in Privatbesitz der Forschung nur phasenweise oder gar nie zugänglich waren: etwa auch bei Artemisia Gentileschi, deren Schaffen weit in das 20. Jahrhundert in Vergessenheit geraten war. Die Zäsur bescherte erst die 2020 anberaumte Retrospektive in der National Gallery in London, in deren Vorfeld einige zuvor unbekannte Gemälde auf den Markt kamen.

2020er-Retrospektive als "Booster"

Die Anzahl der ihr zugeschriebenen Werke stieg rasant. Eine Entwicklung, die dazu führte, dass die Sicht auf die Künstlerin und das Gespür für ihre Qualität verwässert worden sei, wie Letizia Treves, Kuratorin der National Gallery, bereits 2018 konstatierte.

Im gleichen Jahr bescherte Gentileschis Lucretia dem Dorotheum ein unerwartetes Spitzenergebnis: 1,88 Millionen Euro (inkl. Aufgeld), der Schätzwert hatte sich lediglich auf 400.000 bis 700.000 Euro belaufen. Das Bild kam aus italienischem Privatbesitz und war nie zuvor öffentlich ausgestellt worden. In der 2015 und 2016 publizierten Fachliteratur lief es als "zugeschrieben".

Eine Annahme, die damals von einem gewissen Riccardo Lattuada bestätigt wurde, der den italienischen Behörden jetzt Inkompetenz vorwirft, wie The Art Newspaper berichtet.

Der italienische Kunsthistoriker ist einer jener Experten, die das Dorotheum bei Werken aus dem Umfeld Artemisia Gentileschis regelmäßig kontaktiert, wie diverse Katalogeinträge belegen. Nicht so im Falle der Caritas Romana, wie Lattuada auf STANDARD-Anfrage betont.

Aktueller Forschungsstand

Die für Ausfuhrverfahren zuständigen Stellen seien dramatisch unterbesetzt und das Personal nicht ausreichend ausgebildet, kritisiert er. Für das gegenständliche Bild verweist er auf die publizierte Fachliteratur. 2015 bezeichnet es der Kunsthistoriker Nicola Spinosa demnach als Gemeinschaftsarbeit: Die Figur der Pero stamme von Artemisia Gentileschi, die des Cimone von Onofrio Palumbo.

Das Gemälde "Judith mit der Dienerin und dem Haupt des Holofernes" galt in der Literatur aus den 1990er-Jahren noch als Kopie. Im Vorfeld der Versteigerung im Dorotheum im Juni 2021 schrieb der italienische Kunsthistoriker Riccardo Lattuada das Bild Artemisia Gentileschi zu. Es wechselte für 344.900 Euro etwas unter den Erwartungen (300.000-400.000) den Besitzer.
Foto: Dorotheum

Es sind jene Angaben, die laut Dorotheum in der 2019 erteilten und 2020 vom italienischen Kulturministerium wieder aufgehobenen Ausfuhrbewilligung aufscheinen. Was genau die Ermittler zu der Annahme veranlasst, es handle sich um ein ausschließlich Artemisia Gentileschi zuordenbares Werk?

2018 fand in der Kleinstadt Conversano die Ausstellung einer ehemals gräflichen Privatsammlung statt. Kuratiert wurde diese von Viviana Farina, einer Kunsthistorikerin der Akademie in Neapel, die von der alleinigen Autorenschaft Artemisia Gentileschis überzeugt ist. Caritas Romana zierte sogar das Cover des begleitenden Katalogs.

Überzogene Wertangaben

Fazit: Die Forschung scheint sich in diesem Fall noch nicht auf eine endgültige Zuschreibung geeinigt zu haben.

Inwieweit die italienische Justiz derlei berücksichtigt, wird sich weisen. Je nach Ausgang des Verfahrens könnte das Gemälde laut The Art Newspaper vom Staat beschlagnahmt und einem lokalen Museum gespendet werden. Würden die Verdächtigten entlastet, bekämen sie zwar das Bild zurück, jedoch keine Ausfuhrgenehmigung mehr.

Der von der Staatsanwaltschaft kolportierte Wert "von zumindest zwei Millionen Euro" wirkt im Abgleich mit internationalen Auktionsergebnissen überdimensioniert: Vergleichbare Motive wechselten bisher für weniger als 500.000 Euro den Besitzer. (Olga Kronsteiner, 30.7.2022)