Wer tritt das Erbe von Voyager 1 und 2 an?
Bild: AP/Nasa

Wenn man sich heute mit Lichtgeschwindigkeit von der Erde aus auf den Weg machen könnte, wäre die Raumsonde Voyager 1 schon in knapp 22 Stunden erreicht. Von solchen Reisen sind wir – abgesehen von der Science-Fiction-geprägten Vorstellungskraft – freilich noch weit entfernt. Die Sonde selbst hat für den bisherigen Flug fast 45 Jahre benötigt. aktuell beträgt ihre Reisegeschwindigkeit geschätzte 60.000 Kilometer pro Stunde, das ist etwa 17-mal schneller als ein rasender Kampfjet.

Doch gerade weil Voyager 1 in den 1970er-Jahren abhob, stellt sich die Frage, ob es nicht längst neue, schnellere und leistungsfähigere Raumgefährte braucht, um die Grenzen unseres eigenen Sonnensystems besser zu erforschen. Die beiden Voyager-Sonden sind nicht die einzigen, die das Sonnensystem verlassen haben und allesamt von der US-Raumfahrtbehörde Nasa losgeschickt wurden: Zuvor starteten Pioneer 10 und 11, der Kontakt zu ihnen ist in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren abgebrochen. Und im Jahr 2006 flog die Sonde New Horizons ins All, lieferte eindrucksvolle Bilder und Informationen von Pluto und strebt noch weiter in die Ferne.

iPhone statt Drehscheibentelefon

Dennoch fehlte eine Nachfolgemission, die die Fragen, die Voyager unbeantwortet ließ, untersuchen würde. Obwohl Interesse daran bestünde, habe sich bisher "noch niemand hingesetzt, die Zahlen durchgerechnet und die Planung durchgeführt", sagt der Physiker Ralph McNutt von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore (USA). Er hat das mit einem 45-köpfigen Team in den vergangenen Jahren nachgeholt und ein Projekt entwickelt, das die Messlatte höher legen könnte.

Die Interstellar Probe, kurz IP, wäre "Voyager auf Steroiden", sagt Projektleiter McNutt. Sie könnte etwa doppelt so schnell wie Voyager 1 und 2 reisen, Daten wesentlich schneller übertragen und mit zusätzlichen Werkzeugen glänzen. "Das ist so, als würde man ein Telefon mit Wählscheibe aus dem Jahr 1935 mit einem iPhone 13 vergleichen", sagt der Physiker – doch ob man das Unterfangen bewilligt, wird sich erst weisen.

Sonnensphäre in Kipferlform

Die gestandenen Vorbilder Voyager 1 und 2 sind noch immer in Betrieb, werden jedoch innerhalb der kommenden zehn Jahre den Kontakt zur Erde verlieren. Derzeit hat Voyager 1 offenbar "Schluckauf" und sendet merkwürdige Standortdaten, die nicht zur Ausrichtung passen. Allerdings konnten im Rahmen der Mission wertvolle Daten gesammelt werden, die die Forschungsgemeinschaft in Staunen versetzten – und für Diskussionsmaterial sorgen.

So sind sich Expertinnen und Experten nicht einmal einig, ob die Voyager-Sonden den interstellaren Raum überhaupt schon erreicht haben – oder sich doch noch im Einflussbereich der Sonne befinden. Dieser Einflussbereich wird auch Heliosphäre genannt und geht noch weit über die Umlaufbahnen der Planeten hinaus. Es gibt aber auch unterschiedliche Vermutungen darüber, wie die Heliosphäre aussieht – sie könnte eine Kometen-, Kugel- oder Kipferlform haben. Die Voyager-Daten lassen keine abschließende Aussage zu.

Die Heliosphäre wird oft als längliche, kometenförmige Zone dargestellt. Voyager 1 und 2 lieferten wichtige Informationen über ihre Charakteristika – doch stellen sich einige Fachleute die Frage, ob auf Grundlage der bisherigen Daten nicht auch andere Formen infrage kämen.
Bild: NASA Jet Propulsion Laboratory / Reuters

Konkurrenz aus China

Doch wenn es weitere Sonden in den Grenzbereichen gäbe, könnten solche Fragen beantwortet werden. Dafür müssten McNutt und sein Team mit dem Interstellar-Probe-Konzept erfolgreich sein. Umgerechnet knapp 3,1 Milliarden Euro haben sie dafür veranschlagt, bei der Bewilligung müsste das Projekt mit Missionen ähnlich dem Solar Orbiter und der Parker Solar Probe konkurrieren, Letztere kostete etwa 1,5 Milliarden Euro.

Wie es mit der Interstellar Probe weitergeht, wird eine Jury der US-amerikanischen Nationalakademien für Wissenschaften, Technik und Medizin maßgeblich mitbestimmen. Sie gibt 2024 eine Einschätzung zum Projekt ab, die die Entscheidung der Nasa für oder gegen das Unterfangen beeinflusst. Vielleicht hilft dabei auch die internationale Konkurrenz: China bereitet eine Mission namens "Interstellar Express" vor, die planmäßig schon 2024 starten soll und deren zwei bis drei Sonden – wie der Name schon sagt – auch für die Analyse des interstellaren Raums geschaffen sind.

Die Interstellar Probe hingegen würde erst 2036 abheben. So ließe sich die Anziehungskraft des Jupiters nutzen, um die Sonde in die Gefilde jenseits des Sonnensystems zu schleudern. Dadurch könnte IP schon innerhalb von 16 Jahren die Grenze der Heliosphäre erreichen – doppelt so schnell wie Voyager.

Von Wernher von Braun zum Weltraumexperten

Mit Glück wäre es Projektleiter McNutt vergönnt, sowohl den Lift-off als auch die Grenzüberschreitung mitzuerleben: Er war schon als junger Doktorand am Massachusetts Institute of Technology (MIT) an den Voyager-Missionen beteiligt. Eine Schwierigkeit stellt aber auch die lange Laufzeit dar – immerhin müssten mindestens drei Generationen an Fachleuten sich über 50 Jahre um die Mission kümmern. Kollegen sehen in McNutt aber einen erfahrenen Enthusiasten, der dem Projekt den nötigen Rückhalt geben könnte.

Der Projektleiter träumte schon als Kind von den Sternen und ließ sich vom Science-Fiction-Autor Robert Heinlein, der mit "Stranger in a Strange Land" bekannt wurde, inspirieren. Als Schüler lauschte er einem Vortrag des deutschen Raketenwissenschafters Wernher von Braun, der im Nationalsozialismus als Ingenieur eine tragende Rolle spielte und später für das Mondprogramm der Nasa arbeitete. Der junge Ralph McNutt fragte von Braun, ob die Raumfahrtbehörde bis 1990 Menschen zum Mars schicken wollte. Nachdem von Braun trocken verneinte, war McNutt äußerst irritiert, erinnert er sich: "Ich dachte so etwas wie: 'Was zum Teufel ist los mit dir?'"

Einfluss auf irdische Evolution

Auf dem Mars ist noch immer kein Mensch gelandet, doch auch dank der Voyager-Missionen, an denen McNutt beteiligt war, ließen sich erstaunliche Erkenntnisse erbringen. So fand man heraus, dass 75 Prozent der kosmischen Strahlung aus dem interstellaren Raum in den äußeren Schichten der Heliosphäre herausgefiltert werden. Der Schutz ist allerdings nicht konstant. Er hängt etwa von interstellaren Wolken aus Gas und Staub ab, die die Sonnenwinde von außen beeinflussen und die Schutzfunktion beeinträchtigen können.

Deshalb kommt es phasenweise zu erhöhter Strahlung. Diese beeinflusst wiederum die DNA der Lebewesen auf der Erde und sorgt für mehr Mutationen. Dies dürfte sich also unmittelbar auf die Evolution ausgewirkt haben. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass vor zwei bis drei Millionen Jahren die Strahlung erhöht war – zu einer Zeit, in der auch die Entwicklung von Menschenarten geprägt wurde. In diesen Zeitraum fallen etwa die ältesten bisher gefundenen Werkzeuge, die von unseren Urahnen genutzt wurden.

Neuer Staubdetektor

Um solch einflussreiche Wolken zu untersuchen, würde die Interstellar Probe auch eine Art Staubdetektor mitbringen – und damit Messungen ermöglichen, zu denen die Voyager-Mission nicht in der Lage ist. Daneben wären auch verbesserte Geräte dabei, die ähnlich wie Voyager Magnetfelder, Plasmaströme und kosmische Strahlung messen.

Die Hoffnungen sind groß. Auch jene von McNutt, das Projekt IP selbst auf Schiene – oder an den Weltraumbahnhof – zu bringen. Ob es in dieser Form die Zukunft der interstellaren Forschung mitbestimmt, wird sich aber frühestens in zwei Jahren klären. (Julia Sica, 31.7.2022)