Lass die Affen aus dem Zoo. Mauro Peter als Tamino in der neuen Salzburger "Zauberflöte".

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Nach der erregt erwarteten Currentzis-Castellucci-Kombi mit Bartók/Orff und dem Asmik-Grigorian-Triple mit Puccini ist bei den Salzburger Festspielen mit Lydia Steiers Überarbeitung ihrer Zauberflöten-Inszenierung von 2018 erst einmal durchatmen und business as usual angesagt. Nach Hoffmannsthals Jedermann ist Mozarts Singspiel ja ebenfalls ein Signature-Stück des Festivals: 18 Mal wurde die Zauberflöte seit 1928 hier neu inszeniert und rund 230 Mal gezeigt.

Lydia Steiers Neudeutung kam vor vier Sommern eher durchwachsen an, und zwar nicht wegen eines Mangels, sondern aufgrund einer Überfülle von Ideen. Die US-Amerikanerin pferchte das Sammelsurium von Emanuel Schikaneders Themenwelten in einen großbürgerlichen Wiener Haushalt kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Ein Großvater, der seinen drei Enkeln das Märchen von der Zauberflöte vorliest, bildete den Handlungsrahmen; die drei Knaben mutierten flugs zu jenen der Oper und wurden zu zentralen Akteuren.

Sarastro war damals, so liest man in den Kritiken nach, ein Zirkusdirektor, der eine Kompagnie von Gauklern befehligte; zudem bebilderten reichlich alte Comicstrips das Geschehen. Die Comics sind nun Geschichte, und der Zirkus hat seine Zelte abgebrochen. Letzteres ist gut so – steht der Zirkus doch für die Lust am Animalischen, für Körperlichkeit und Sexyness, für das Grelle, für Risiko und Grenzwanderung. Also ziemlich genau für das Gegenteil der steifen, statischen, uniformen, der Askese und der Ratio huldigenden Welt des Oberpriesters.

Knall harter Sklavenhalter

Da passt ein anderer Interpretationszweig der 2018er Inszenierung deutlich besser: Die Bilder zu den Gräueln des Ersten Weltkriegs. Sarastro ist laut Libretto ja nicht nur oberster Moralapostel sondern auch ein knallharter Sklavenhalter, der von seinen Untergebenen Kadavergehorsam verlangt. In ihrer Überarbeitung macht Steier den Konnex zum Ersten Weltkrieg nach der Pause zum dominierenden Deutungsschlüssel. Sarastros Priester werden unter der Aufsicht ihres Chefs als Soldaten rekrutiert. Die "tödlichen Gefahren", die bei den Prüfungen lauern, werden nun auf dem Schlachtfeld Realität. Bald bevölkern Verwundete und Tote die Bühne.

Verblüffenderweise tut dieser Einbruch der grausamen Realität der Gesamtunternehmung gut. Die Enge und Vorgestrigkeit der großbürgerlichen Szene im 1. Aufzug hatten nicht nur etwas Erstickendes, sie erinnerten in ihrer malerischen Machart auch an ein ausstattungslastiges Musical – wie wenn die Vereinigten Bühnen Wien Mary Poppins neu auf die Bühne gebracht hätten. Nur dass das Kindermädchen hier der (kreuzfade) Opa (Roland Koch) ist. Da wackeln Gummitruthähne auf Kinderköpfen, da bevölkern riesige Plüschtiere die Szenerie. Die Übersiedlung der Produktion von den unendlichen Weiten des Großen Festspielhauses in das schmale, langgezogene Haus für Mozart trägt auch zu einer gewissen Gedrängtheit des szenischen Geschehens bei (Bühne: Katharina Schlipf).

Frauenfeindliches Libretto

Der Frauenfeindlichkeit der Librettos setzt Steier in Form einer Großgruppe von schwarz verschleierten, stickenden oder Tee trinkenden Frauen ein Mahnmal. Der Sklavenaufseher Monostatos (überdreht und schauspielerhaft schreisingend: Peter Tantsits) wird – obacht, schwarzer Humor! – zum weißhaarigen Kohlelieferanten des Hauses und Papageno (Michael Nagl) zum Metzger – der aber immerhin gerne vögelt. Sein Sahnetörtchen mit Kirsche drauf: Maria Nazarovas Papagena (Kostüme: Ursula Kudrna).

Gesungen wird fast durch die Bank wundervoll, und zwar agil, federnd, geschmeidig und glänzend. Solcherart verhilft etwa der kraftvolle Mauro Peter dem oft zweidimensional gezeigten Prinzen Tamino zu Beseeltheit, Nagl dem Papageno zu entspannter Lebensnähe. Schlank wie ein schwebender Leuchtpunkt: Regula Mühlemanns Pamina. Tareq Nazmi bleibt als Sarastro kontrolliert und blass, Brenda Rae hat als Königin der Nacht Verve, die Spitzentöne bleiben aber matt. Agil, stimmstark und charmant die drei Knaben (Wiener Sängerknaben) als Angelpunkt des szenischen Geschehens. Wie ein glänzendes Kollier: die drei Damen (Ilse Eerens, Sophie Rennert, Noa Beinart).

In Summe bieten Joana Mallwitz und die Wiener Philharmoniker eine Zauberflöte, die nah dran ist an einem polierten Hochglanz-Mozart für die Luxusvitrine – wenn da nicht diese Beredtheit und die Beseeltheit wären und auch der schlanke Swing. Klar: Das Salzburger Festspielpublikum ist auch eine andere Zielklientel als seinerzeit das eines Wiener Vorstadttheaters. Zum Ende ein Jubel wie damals. (Stefan Ender, 31.7.2022)