Über die Neutralität darf in Österreich nicht diskutiert werden. Das hat nicht nur vor kurzem Kanzler Karl Nehammer dekretiert, das entspricht auch der öffentlichen Meinung im Land. Doch wer glaubt, das sei schon immer so gewesen, wird im Buch Österreich und der Kalte Krieg von Günter Bischof und Peter Ruggenthaler eines Besseren belehrt.

Leykam

Der neue Band der beiden Zeithistoriker erzählt auf anschauliche und leicht verständliche Weise die Geschichte der österreichischen Außenpolitik seit 1945. Das umfasst zahlreiche unterschiedliche Themen mit einem roten Faden: In jedem Jahrzehnt gab es ein internes und externes Tauziehen um die Neutralität.

Sowjetische Bedingung

Im Mittelpunkt stand meist die Frage, wie stark sich Österreich an den Westen binden darf, ohne die Sowjetunion allzu sehr zu verärgern. Das begann bereits 1955 beim Staatsvertrag, für den die Neutralität eine sowjetische Bedingung war, und wurde durch die Aufnahme unzähliger ungarischer Flüchtlinge nach der Niederschlagung der ungarischen Revolution 1956 auf die erste harte Probe gestellt. Ein russisches Veto verhinderte den Beitritt zur EU-Vorgängerorganisation EWG, bremste aber die Integration in die westeuropäische Marktwirtschaft nur wenig. Das Bild, das hier entsteht, wirkt sehr aktuell: Österreich betrieb Neutralität auf Sparflamme und lotete stets die Grenzen dessen aus, was Moskau noch tolerieren konnte. Politisch, kulturell, sogar militärisch war das Land eng an die westliche Führungsmacht USA angelehnt. Gleichzeitig nutzten der Staat, Großunternehmen und kleine Kaufleute die Nähe zum Ostblock und unterliefen dabei westliche Sanktionen und gelegentlich auch die moralische Solidarität.

EU-Beitritt

Diese Spannung löste sich mit dem Beitritt zur Europäischen Union 1995 nicht auf, in gewisser Weise hat sie sich verschärft. Der Balanceakt zwischen Ost und West, den Bischof und Ruggenthaler beschreiben, ist selbst durch den russischen Überfall auf die Ukraine nicht beendet. (Eric Frey, 1.8.2022)