Waldbrände wie dieser in Portugal werden durch die Klimakrise stark zunehmen.

Foto: APA/AFP/PATRICIA DE MELO MOREIRA

Eigentlich wissen wir ja Bescheid: Seit Jahrzehnten sind die Ursachen der Klimakrise bekannt, mögliche Folgen der globalen Erwärmung ebenso. Dennoch waren selbst Fachleute überrascht, wie heftig die Auswirkungen bereits heute sind: Weltweit brennen Wälder, Getreide verdorrt auf den Feldern, tödliche Hitzewellen machen Städte schier unbewohnbar, Stürme verheeren ganze Landstriche, und immer öfters springen Krankheiten auf den Menschen über. Was wie eine Auflistung biblischer Plagen klingt, ist im Jahr 2022 Realität.

Kein Wunder also, dass Fachleute drastische Maßnahmen fordern, um die Klimakrise einzudämmen. Doch momentan scheint es nicht so, als ob sie Gehör fänden: Die Welt steuert auf eine Erwärmung jenseits der drei Grad zu. Die Folgen eines solchen Temperaturanstiegs wären wohl drastisch, doch wie schlimm es wirklich werden könnte, ist ungewiss.

Unglaubliche Verwüstungen löste das Hochwasser im deutschen Ahrtal im Sommer letzten Jahres aus. Solche Extremwetterereignisse treten als Folge der Klimaerwärmung häufiger auf.
Foto: imago images/Reichwein

Düstere Aussichten

In einem jetzt erschienenen Bericht in der Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" fordert ein internationales Forscherteam, dass Worst-Case-Szenarien besser erforscht werden sollten. "Wir wissen am wenigsten über die Szenarien, die am wichtigsten sind", sagt Luke Kemp von der Universität Cambridge, Hauptautor des Berichts. Wie die Wissenschafterinnen und Wissenschafter schreiben, würde eine Erwärmung über drei Grad zu wahrlich apokalyptischen Zuständen führen.

Dabei sollten nicht nur die direkten Auswirkungen einer höheren globalen Durchschnittstemperatur berücksichtigt werden, wie Dürren oder Extremwetterereignisse. Auch davon ausgelöste soziale Effekte könnten katastrophale Ausmaße annehmen, etwa Finanzkrisen oder kriegerische Auseinandersetzungen. Das Team um Kemp schlägt vor, die Worst-Case-Szenarien in vier Kategorien einzuteilen, den "apokalyptischen Reitern der Klimakrise".

Verschränkte Krisen

Der erste Reiter ist Hunger: Dürre, Brände und Hitzewellen könnten dazu führen, dass die Kornkammern der Welt versiegen. In der Folge ist die globale Lebensmittelversorgung gefährdet, was bereits zahlreiche ökonomische und soziale Krisen auslösen könnte. Der zweite Reiter heißt Extremwetter: Hagelstürme, Überschwemmungen und lang anhaltende Trockenheit könnten große Teile der Erdbevölkerung betreffen. Modellrechnungen der Fachleute zeigen, dass 2070 zwei Milliarden Menschen unter extremer Hitze leiden würden – bei einer Jahresdurchschnittstemperatur von 29 Grad Celsius.

Kalifornien leidet dank der Klimakrise verstärkt an Waldbränden. Dieses Kätzchen hatte Glück und überlebte die Feuersbrunst im Klamath-Nationalpark.
Foto: APA/AFP/DAVID MCNEW

Dabei wären vor allem dicht besiedelte Regionen betroffen, die politisch fragil sind. Leiden die Menschen Hunger und spielt das Wetter verrückt, könnte dort Gewalt ausbrechen. Der dritte Reiter ist demnach Krieg: Die Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass im schlimmsten Fall 2070 bestehende Konflikte weltweit verschärft werden. Die globale Sicherheit würde demnach sinken. Außerdem seien Klimakriege nicht auszuschließen, wenn etwa Supermächte für ihre Emissionsrechte kämpfen oder riskante Klimaexperimente, wie das Düngen der Ozeane oder das Versprühen klimawirksamer Aerosole, mit Waffengewalt durchsetzen.

Als letzten Risikofaktor identifizieren die Fachleute Infektionskrankheiten: Durch schrumpfende Lebensräume von Wildtieren würden immer häufiger Krankheitserreger auf den Menschen überspringen, mitsamt den Auswirkungen, die wir in den letzten beiden Jahren beobachten mussten. Die Warnung der Forschungsgruppe, extreme Auswirkungen einer unkontrollierten Klimakrise nicht zu unterschätzen, ist eindringlich: "Klimaveränderungen haben in jedem Massenaussterben eine Rolle gespielt, haben Imperien gestürzt und den Lauf der Geschichte beeinflusst. Auch die moderne Welt ist an ein spezielles Klima angepasst", sagt Kemp.

Passende Kommunikation?

Der Hoffnung, dass die Erde solchen Worst-Case-Szenarien entgehen kann, erteilt Bill McGuire eine klare Absage. Der emeritierte Professor für geophysikalische und Klimagefahren vom University College London geht davon aus, dass wir den "Point of no Return" bereits überschritten haben: Selbst rapide Emissionsreduktionen können nun katastrophale Auswirkungen nicht mehr verhindern, wie der Experte gegenüber dem "Guardian" sagt. Auch wenn sich viele Klimaforscherinnen und -forscher öffentlich optimistisch geben, würden sie abseits der Öffentlichkeit große Zukunftsängste äußern, so McGuire.

Auch die Schweiz bleibt von Dürren nicht verschont. Global bedroht Trockenheit die Lebensmittelversorgung.
Foto: APA/AFP/FABRICE COFFRINI

"Die Welt muss wissen, wie schlimm es wird, bevor wir irgendeine Hoffnung haben können, diese Krise zu bewältigen", zeigt sich McGuire überzeugt. Dennoch bleibt fraglich, inwiefern düstere Worst-Case-Szenarien im Kampf gegen die Klimakrise hilfreich sind. Flüchtlingskrisen, Ukraine-Krieg, Waldbrände – bei vielen lösen die diversen Schreckensmeldungen nur noch ein müdes Schulterzucken aus.

"Natürlich sollen sich Forschende auch mit den extremen Szenarien auseinandersetzen, aber für die öffentliche Debatte ist es wichtiger, sich auf die wahrscheinlichen Risiken zu konzentrieren", sagt Michael Brüggemann. Der Professor für Klimakommunikation an der Universität Hamburg fürchtet, dass apokalyptische Aussichten Menschen eher überfordern, als sie zum Handeln zu bringen. Stattdessen sollten wir diskutieren, was wir gegen die Klimakrise tun können, wie sie bereits jetzt existiert, fordert Brüggemann.

Bedrohliche Zukunftsszenarien können Menschen in Schreckstarre versetzen. Andererseits besteht das Risiko, dass Entscheidungsträger Konsequenzen der Klimakrise unterschätzen, wenn unwahrscheinliche, aber extreme Ereignisse ignoriert werden. Kemp: "Bleiben wir blind gegenüber Worst-Case-Szenarien, ist das bestenfalls naives Risikomanagement, im schlimmsten Fall aber unterlaufen uns tödliche Fehler." (Dorian Schiffer, 1.8.2022)