US-amerikanische Nato-Soldaten patrouillieren neben Straßenblockaden, die von Serben in Zubin Potok im Nordkosovo errichtet wurden.

Foto: AFP/ARMEND NIMANI

Sirenengeheul, Straßensperren und Gerüchte über angebliche Schusswechsel: Am Sonntagabend wurde in den sozialen Medien die Angst vor einer Eskalation zwischen Serbien und dem Kosovo stark debattiert. Im nördlichen Teil des Kosovo hatten Serben Straßensperren vor den Grenzen errichtet, Politiker in Serbien hatten zuvor erklärt, dass sie mit einer Neuregelung von Dokumentenvorgaben durch die kosovarischen Behörden nicht einverstanden seien.

Frage: Worum geht es?

Antwort: Ab dem 1. August hätten laut kosovarischer Regierung nicht mehr serbische Reisepässe für die Einreise in den Kosovo gegolten, sondern kosovarische Dokumente, die 90 Tage gültig sind. Die Neuregelung basiert auf dem Prinzip der Wechselseitigkeit. Denn Serbien hat ähnliche Anforderungen den Bürgerinnen und Bürgern des Kosovo auferlegt. Zudem sollen serbische Nummernschilder, die im Kosovo verwendet werden, von den kosovarischen Behörden überprüft werden. Serbische Nummernschilder an Autos von Bürgern des Kosovo sollten in den nächsten Wochen durch lokale ersetzt werden. Auch dies beruht auf dem Prinzip der Wechselseitigkeit. Die Kosovaren müssen, wenn sie nach Serbien fahren, seit Jahren die Nummernschilder der Republik Kosovo an der Grenze abmontieren und Ersatznummernschilder bezahlen und verwenden.

Frage: Wie kam es zur Eskalation?

Antwort: Die Destabilisierung wurde vor allem über soziale Medien, insbesondere Twitter, angeheizt. Der serbische Politiker Vladimir Đukanović von der Regierungspartei SNS schrieb etwa, dass Serbien gezwungen sei, den Balkan zu "entnazifizieren". Diese Äußerung löste heftige Reaktionen aus, weil genau diese Phrase der Vorwand war, den Russland benutzte, als es am 24. Februar in die Ukraine einmarschierte.

Đukanović sagte am Montag, er habe bloß einen "Witz" gemacht. Das russische Außenministerium hatte zudem erklärt, dass die Neuregelung der Ausweisdokumente "einen weiteren Schritt zur Vertreibung der serbischen Bevölkerung aus dem Kosovo" darstelle. Der ukrainische Politiker Olexij Gontscharenko schrieb darauf auf Twitter: "Wenn Serbien in den Kosovo einmarschiert, sollten wir die Kosovaren verteidigen. Serbien versucht, einen Angriffskrieg zu beginnen. Genau nach Putins Methode."

Frage: Welche Maßnahmen zur Deeskalation wurden ergriffen?

Antwort: Die kosovarischen Polizeibehörden und die Nato-Truppe KFOR reagierten mit verstärkter Präsenz auf den Straßen. Nahe der Brücke am Ibar in der nordkosovarischen Stadt Mitrovica waren am Sonntag mehr Angehörige von Polizei und KFOR – die insgesamt mit 3800 Soldaten stationiert sind – und den italienischen Carabinieri zu sehen. Die KFOR warnte in einer Aussendung, dass "die allgemeine Sicherheitslage in den nördlichen Gemeinden des Kosovo angespannt" sei. Man stellte klar, dass man "bereit ist einzugreifen, wenn die Stabilität bedroht ist". Die beiden Grenzübergänge im Norden des Kosovo Richtung Serbien wurden in der Folge auch von den kosovarischen Behörden gesperrt. Westliche Botschaften intervenierten, und die Regierung verschob die Einführung der neuen Regeln um einen Monat.

Frage: Weshalb kommt es immer wieder zu Streit zwischen Serbien und dem Kosovo?

Antwort: Der Kosovo hat sich im Jahr 2008 für unabhängig erklärt, doch Serbien hat die Unabhängigkeit nie anerkannt. Deshalb unterhält es Parallelstrukturen für die im Kosovo lebenden Serben. Die meisten leben im Norden des Landes. Die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo stützte sich darauf, dass Jugoslawien unter Slobodan Milošević zwischen 1989 und 1998 umfassende Menschenrechtsverletzungen gegenüber der eigenen Zivilbevölkerung begangen hat. Der Kosovo war ab der jugoslawischen Verfassung von 1974 eine autonome Provinz, die den sechs Republiken fast gleichgestellt war. Unter Milošević wurde die Autonomie aufgehoben, und Albaner und nicht regimetreue Serben waren massiven Repressionen ausgesetzt.

Frage: Wie wirkt der geopolitische Kontext auf die Situation?

Antwort: Die derzeitige serbische politische Elite hält an der Schaukelpolitik zwischen dem Westen sowie Russland und China fest. Deshalb unterstützt Serbien auch nicht die Sanktionen gegen den Kreml und dessen Verbündete wegen des Krieges gegen die Ukraine. Russland und China verhindern im UN-Sicherheitsrat die Anerkennung des Staates Kosovo durch die Vereinten Nationen. Im Westen gibt es die Sorge, dass Serbien sich noch stärker an Russland und China binden und Russland auf dem Balkan eine "zweite Front" der Destabilisierung eröffnen könnte.

Frage: Welche Lösungsversuche werden unternommen?

Antwort: Der von der EU moderierte Dialog zwischen Serbien und dem Kosovo liegt seit Jahren praktisch auf Eis. Serbien hat in den letzten Jahren zudem kaum Schritte unternommen, um Mitglied der EU zu werden. Die serbische Regierung instrumentalisiert und kontrolliert die Strukturen im Nordkosovo. Der klar prowestlich ausgerichtete Kosovo hat noch keine Schengenvisumsfreiheit und darf nicht über einen Beitritt verhandeln. Zudem haben die EU-Staaten Rumänien, Zypern, Griechenland, Slowakei und Spanien den Kosovo nicht anerkannt. (Adelheid Wölfl, 1.8.2022)