Für Betroffene sind rechtliche Verfahren gegen Hass im Netz häufig eine zusätzliche emotionale Belastung.

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Haben die Behörden versagt? Nach dem Tod der oberösterreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr stellt sich diese Frage in sozialen Medien laufend. Kellermayr hatte sich im Netz immer wieder kritisch zum Umgang mit der Pandemie geäußert. Das hatte sie zum Hasssubjekt einschlägiger Gruppierungen aus der Covid-Maßnahmengegner-Szene gemacht. Diese bedrohten sie so heftig, dass Kellermayr zuletzt ihre Praxis schließen musste. Versuche, gegen den Hass im Netz vorzugehen, blieben erfolglos. Bisher wurde keiner der Verfasser der Nachrichten rechtlich geahndet – und das, obwohl Kellermayr immer wieder versuchte, Hilfe zu bekommen. Warum eigentlich?

Eindeutige Gesetzeslage

Die Rechtslage ist im konkreten Fall eindeutig: Viele Nachrichten, denen Kellermayr ausgesetzt war – darunter Morddrohungen –, sind "selbstverständlich strafbar", heißt es dazu aus dem Justizministerium. Ähnlich sieht es Tanja Fachathaler von der Grundrechts-NGO Epicenter Works: "Es mangelt nicht an Strafbeständen", sagt sie. "Die Behörden hätten längst tätig werden müssen", hätten Kellermayr aber "alleingelassen". Auch die Zara-Beratungsstelle gegen Hass im Netz sieht die Problematik in der Durchsetzung des bestehenden Rechts.

Mystifiziertes "Darknet"

So hatten die Behörden zwar in einem Fall Ermittlungen eingeleitet, waren aber letztlich zu keinem Ergebnis gekommen. Zumindest bis sich eine Hackerin aus Deutschland meldete, die das Umfeld eines Hassposters in kürzester Zeit feststellen konnte. Die Polizei verteidigte sich daraufhin damit, dass der Fund der Netzaktivistin "weder inhaltlich noch technisch nachvollziehbar" sei und sie auch nicht "im Darknet" recherchieren dürfe.

Relativ bald entpuppte sich das als peinlicher Fauxpas: Selbstverständlich können Ermittlungsbehörden auch diesen Teil des Internets durchforsten. Er unterscheidet sich vom Rest des Internets lediglich dadurch, dass der nicht von Suchmaschinen indexiert wird. DER STANDARD konnte die Recherchen der Netzaktivistin auch ohne eine derartige Suche nachvollziehen. Ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Wels gegen unbekannte Täter läuft derzeit weiterhin. Geprüft wird derzeit, ob der Suizid Kellermayrs etwas an den Zuständigkeiten ändert. Aufgrund vergangener Höchstgerichtsurteile sind zumindest im Fall von gefährlichen Drohungen – nicht aber bei Beschimpfungen – die Behörden im Herkunftsort der Täter zuständig. Zumindest einer davon sitzt in Deutschland.

Fachathaler sieht das Problem allgemein im Mangel an digitalen Kompetenzen bei Behörden. Diese sollten "in spezialisierten Staatsanwälten für Internetkriminalität gebündelt und gestärkt werden", findet sie. "Die Behörden brauchen ein Update, um zeitgemäß mit Internetgefährdungslagen umgehen zu können."

Grenze Strafrecht

Aus Sicht der Zara-Beratungsstelle bietet das Strafrecht eine Grenze, ist aber nicht die einzige Lösung: Ein rechtliches Verfahren sei für Opfer häufig eine zusätzliche emotionale und teils finanzielle Belastung. Die Polizei, die Staatsanwaltschaft und die Gerichte müssten verstärkt zu Hass im Netz sensibilisiert werden. Sie müssten Hass bekämpfen, aber auch "Betroffene begleiten können". Gerade eine psychologische Unterstützung sei wichtig.

Seit vergangenem Jahr können Betroffene derartige Beiträge beim jeweiligen sozialen Medium direkt melden, diese müssen innerhalb von 24 Stunden entfernt werden. Die Gesetzeslage erlaubt Opfern zudem, um eine juristische und psychosoziale Prozessbegleitung anzusuchen.

US-Konzerne reagieren meist rasch, Probleme bereiten Plattformen wie Telegram. Diese entflieht durch einen undurchsichtigen Firmensitz einer Rechtsdurchsetzung. Auf EU-Ebene wird derzeit die E-Evidence-Verordnung verhandelt, die schnellere Ermittlungen ermöglichen soll. Firmen müssen künftig einer EU-Behörde auch Auskunft geben, wenn ihr Sitz in einem anderen EU-Mitgliedsland ist. (Muzayen Al-Youssef, 1.8.2022)