Die Wissenschafterin Meret Siemen zeigt im Gastblog, wie feministische Inhalte im Zuge der Coronapandemie mit Verschwörungstheorien verbunden werden. 

Die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie haben politisch polarisiert. Während die Coronademos in Wien mit rechtsoffenen bis rechtsextremen Inhalten auffielen, formiert sich eine linke Querfront, die überraschend viel Zuspruch aus dem feministischen Spektrum erhält.

Autonome Feministinnen rufen im Dezember 2021 zur Teilnahme an Corona-Kundgebungen der Plattform Demokratie & Grundrechte auf. Die beworbene Kundgebung "Gegen den Impfzwang und digitale Überwachung – Selbstbestimmung statt Elitenherrschaft" wird zum wüsten Sammelbecken eines Milieus, dessen Minimalkonsens die Berufung auf die Generalbegriffe "Freiheit, Grundrechte, Demokratie" ist, unter denen sich alle vorstellen können, was ihnen eben passt.

Besucht werden die Wiener Kundgebungen von einem politischen Blumenstrauß: Zu dem Zusammenschluss des Bündnisses "Anti-Imperialistischen Koordination" mit der Partei MFG, deren Kürzel für "Menschen, Freiheit, Grundrechte" stehen, gesellen sich Maskenverweigerer und Aufruf-Unterzeichnerinnen, die die "Impfung als Verletzung des Nürnberger Kodex" verstehen. Auf Schildern ist zu lesen: "Impfzwang-Diktatur" und "Willkommen im faschistoid-hysterischen Hygienestaat". Bejubelt und beklatscht werden neben Roland Düringer und Andreas Sönnichsen, der an der Seite Kickls FPÖ-Pressekonferenzen abhält, auch die ehemalige Bundessprecherin der Grünen, Madeleine Petrovic, die sich unter Gleichgesinnten wähnt, wo niemand von "Pfizer oder der Bill & Melinda Gates Stiftung bezahlt" werde.

Beim Blick auf die Website der Kundgebung wird klar, dass sie zu einem obskuren Bündnis einlädt, das Verschwörungstheorien und esoterischen Strömungen anhängt. Mitveranstalter sind der Blog keinzustand.at sowie Hannes Hofbauer und Stefan Kraft, ihres Zeichens Verleger des Wiener Promedia Verlags.

Besucht werden die Wiener Kundgebungen von einem politischen Blumenstrauß.
Foto: imago images/SKATA

Sinnstiftende Verschwörung

Neu ist hingegen die hohe Zustimmung aus dem feministischen Spektrum. Mitautorin des im Jahre 2021 im Promedia Verlag erschienenen Sammelbands "Herrschaft der Angst. Von der Bedrohung zum Ausnahmezustand" ist die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz. Die mit dem Wiener Frauenpreis Ausgezeichnete zog im STANDARD eine Parallele zwischen den Corona-Maßnahmen des "Hygienestaats" Österreich und den sogenannten Nürnberger Rassegesetzen.

Maria Wölflingseder, Redakteurin der kapitalismuskritischen Zeitschrift "Streifzüge" und ebenfalls Autorin von keinzustand.at, schreibt im genannten Band von einer "kollektiven Amnesie" der Linken, der angesichts der Gefahren einer sogenannten Pharmaindustrialisierung "jegliches Verständnis für historische Kontinuität" fehle. Sie selbst hatte Ende der 1990er in einem Band zur "Kritik der Esoterik-Bewegung" noch davor gewarnt, dass Alternativerzählungen wie Spiritualität, Ganzheitlichkeit und Naturnähe zu sinnstiftenden Phänomenen für Linke würden. Wölflingseder ist sich nicht zu schade, von der "Verfolgung" Ungeimpfter zu sprechen und damit das Motiv zuzuspitzen, das impfkritische Feministinnen, Querfront und Coronaleugnerinnen teilen: Die Berufung auf die vermeintliche Betroffenheit von Ausgrenzung und Stigmatisierung.

Stigmatisiert und diffamiert fühlt sich auch die Soziologin Claudia von Werlhof. Die 2011 emeritierte Vertreterin des differenzfeministischen Bielefelder Ansatzes hatte ab 1988 in Innsbruck den ersten Frauenforschungslehrstuhl Österreichs inne. Im einem Interview mit dem STANDARD brachte sie die HAARP-Verschwörungstheorie ins Spiel, nach der die USA mittels elektromagnetischer Strahlen ein schweres Erdbeben in Haiti verursacht hätten. Auch von Werlhof ist als Autorin auf keinzustand.at gelistet. Dort beschwört sie die Apokalypse: Einem "von 'Oben' durchgesetzten Kollaps der Moderne" folge die "totalitäre Neuordnung der Welt" – das Szenario enthält vom rechten Verschwörungsmythos des "Great Reset", bis zum "patriarchal-alchemistischen Traum" von "Maschinenmenschen" allerlei technikfeindliches und völkisches Gedankengut.

Verschwörungsideologien spalten. Nicht Viren

Die Slogans der selbsternannten feministischen Impfkritikerinnen decken sich teils wörtlich mit den endlosen Artikelserien der einschlägigen Verschwörungsmedien von KenFM über Rubikon bis Compact. Ebenjene intransparenten und "alternativen Medien" sind in der Szene beliebt, um sich eine "eigene Meinung zu bilden" – in anderen Worten: antisemitische und antifeministische Narrative nachzuplappern. Die Top Drei Verschwörungsmythen "Corona-Diktatur", "Bill-Gates-Komplott" und "Pharmalobby" bescheren den rechtsnationalen Infokanälen seit 2020 viele Klicks, Reichweite und Einnahmen. Angeklagt werden "diktatorische“ Regierungen und herrschende Eliten.

Eine beliebte Erzählung, die sich auch auf keinzustand.at findet, erklärt WHO und Bill Gates zu gleichzeitig Profiteuren und Verursachern der Coronapandemie. Größen der Verschwörungsszene wie Ken Jebsen oder Daniele Ganser verdienen ihr Brot damit, vorhandenes Unbehagen zu anhaltenden Bauchschmerzen zu machen, indem sie in Krisenzeiten ein Identifikationsangebot liefern. Über konkurrierende ideologische Grenzen und den Verlust jedes staatskritischen Vernunftvermögens hinweg lässt sich so vermeintlicher Widerstand leisten gegen wirkliche oder imaginäre Bedrohungen.

Selbstbestimmung als Ablenkungsmanöver

Es ist die Ahnung der Vergangenheit, die die aufgezählten Feministinnen von Coronaleugnerinnen trennt: Die Verweise auf vergangene Kämpfe der Frauenbewegung gegen Gentechnik oder die Identifikation mit dem "Natürlichen" und das Unbehagen gegenüber allem "Künstlichen", das gerne essentialistisch und binär zugespitzt wird. Auf Biegen und Brechen will der Kampf gegen patriarchale Gewalt durch angeeignete Slogans wie "my body, my choice" mit dem Kampf gegen die vermeintliche Diskriminierung Ungeimpfter verbunden werden.

Progressive Forderungen nach reproduktiven Rechten oder die Kritik patriarchaler Backlashs während der Pandemie, werden so im Sinne der Querfronttaktik verkürzt, aufgeweicht und Rechten nutzbar. In den Worten des italienischen Wu Ming Kollektivs: "Energien, die in reale Kämpfe für soziale Veränderungen investiert werden könnten, [werden] an Orte gelenkt, an denen diese Energien zur Förderung reaktionärer Projekte verwendet werden. Deshalb verteidigen Verschwörungsphantasien das System […]. Sie sind 'Ablenkungsmanöver'."

Friede, Freiheit, Volksgesundheit

Es herrscht feministischer Konsens darüber, dass Misstrauen gegenüber dem Gesundheitssystem grundsätzlich angebracht ist. Dieses Misstrauen ist der strukturellen Missachtung der Verfassung sowie Versehrbarkeit nicht cis-männlicher Körper geschuldet.¹ Die strukturelle Benachteiligung durch vergeschlechtlichte medizinische Praxis und Wissenschaft ist Ursache vielen konkreten Leidens. Im Schatten dieser Kritik fallen jedoch bis heute Spiritualität, Naturnähe und Esoterik auf fruchtbaren Boden. Als Welterklärungsmodelle bieten sie ihren Anhängerinnen einen Zufluchtsort vor der "rational-männlich und künstlichen Medizintechnik", in dem sie das Gefühl vermitteln, als Frau wahrgenommen und anerkannt zu werden.

Jenseits patriarchaler Sphären und ihrer menschenfeindlichen Konsequenzen – darunter Atomkraft, Kriege, Imperialismus und Gentechnologien – räumten die frühen Frauenbewegungen der Selbstfindung und Suche nach einer unbeschädigten "weiblichen Identität" viel Platz ein. Frieden, Fürsorge und Naturbewahrung hießen verbreitete Grundsätze, die ökofeministische, aber auch esoterische Kämpfe verbanden. Die Vorstellung einer Gemeinschaft von "natürlich immunen" und "gesunden" Gleichgesinnten, gerät dabei ins Fahrwasser der Vorstellung einer "reinen" sowie "wehrhaften" Volksgemeinschaft.

Zurück zur gesunden Normalität?

Dieser verschwörungstheoretische Sumpf hat feministische Positionen in der Geschichte nie trockengelassen. Auch lässt er sich mit keinem einfachen Rechts-Links Schema auflösen. Dem vereinfachten Feindbild "die da oben" steht die imaginierte Gemeinschaft eines "wir hier unten" einend entgegen. Die feministische Autorin Sibylle Klefinghaus beschrieb in den 1980ern, wohin der Abwehrreflex führt, den Feministinnen der frühen Frauen- und Ökologiebewegung empfunden haben: "Die Revitalisierung von Mythologie und Magie […] ist auch eine Reaktion auf männliche Rationalität und Technokratie, auf deren lebensbedrohliche Folgen. Das scheinbar Nicht-Rationale, Nicht-Systematisierte ist offensichtlich das Gute Andere, das dem Bösen Einen entgegengehalten werden muß."

Zwischen 1976 und 1987 wetterte die Schwarze Botin gegen die latenten völkischen Weiblichkeitsfantasien der Friedens- sowie Anti-AKW-Bewegung, Grünen und Ökofeministinnen. Schon damals formulierte die Zeitschrift, dass der emanzipatorische Feminismus für den Sturz der phallozentrischen Ordnung auf den Kern gesellschaftlicher Unterdrückung zielen müsse. Dabei wird es nie harmonisch zugehen, sondern konfliktreich und divers. Der Individualismus der Impfkritikerinnen hingegen weiß einer neoliberalen Gesellschaft, die auf ihm beruht, wenig Neues entgegenzusetzen. Und beim genaueren Hinsehen beschränken sich die konkreten Antworten auf die Covid-Pandemie aus diesem Spektrum auf die Rücknahme der Maßnahmen und die Rückkehr zur Normalität. Progressiv wäre es dahingegen, einer Pandemie im globalen Ausmaß und den folgenden Krisen kollektive feministische Antworten entgegenzusetzen, die Verletzbarkeit in den Vordergrund rücken und aushandeln. Von einer "Rückkehr zum gesunden Normalzustand", wie Madeleine Petrovic ihn auf der Kundgebung fordert, kann keine Rede sein. (Meret Siemen, 11.8.2022)

Meret Siemen studierte Philosophie und Kunstgeschichte in München und Wien. Sie forscht zu materialistischer Kritik, Emotionalität von Protest und linker, feministischer Bewegungsgeschichte im deutschsprachigen Raum.

Fußnoten

¹ Ein Artikel, der Ansätze der Impfkritik vieler Frauen untersucht.

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