Gottesdienste durften Ende November und Anfang Dezember 2021 – anders als Kultureinrichtungen – sehr wohl besucht werden. Zu Unrecht, wie der Verfassungsgerichtshof nun erkannte.

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Wien – Geschlossene Theater, Kinos und Museen: Die Kultur hatte es nicht nur im Herbst 2021 alles andere als leicht, als deren Einrichtungen Corona-bedingt schließen mussten. Doch das beanstandet der Verfassungsgerichtshof (VfGH) in seiner am Dienstag veröffentlichten Entscheidung nicht; dass jedoch gleichzeitig das gemeinsame Beten in Kirchen und religiösen Einrichtungen erlaubt war, schon. Das war laut VfGH "gleichheitswidrig".

Konkret betraf die 5. Covid-19-Notmaßnahmenverordnung den Zeitraum vom 22. November bis 11. Dezember 2021, in dem ein bundesweiter Lockdown verhängt wurde. Das Betreten des Kundenbereichs von Kultureinrichtungen war in diesem Zeitraum ausnahmslos untersagt. Hingegen waren Zusammenkünfte zur gemeinsamen Religionsausübung vom Geltungsbereich der Verordnung ausgenommen.

VfGH sah keine sachliche Rechtfertigung

Obwohl Kirchen und Religionsgemeinschaften damals eigene Regeln aufstellten, sieht der VfGH keine "sachliche Rechtfertigung für eine derartige Ungleichbehandlung von Religion und Kunst". In beiden Fällen komme "bestimmten Grundrechtsausübungen gemeinsam mit oder vor anderen Menschen wesentliche Bedeutung zu", heißt es in der Begründung.

Auslöser für die aktuelle Entscheidung des VfGH war ein Antrag mehrerer Kulturschaffender gegen das Betretungsverbot für Kultureinrichtungen. "Gegen das Betretungsverbot für Kultureinrichtungen bestehen an sich keine verfassungsrechtlichen Bedenken", meinten die Verfassungsrichter. Diese Maßnahme sei nämlich geeignet gewesen, der Verbreitung von Covid-19 entgegenzuwirken.

Frage der Zeit bei Beschränkung

Auch eine weitere Bestimmung in einer Covid-19-Verordnung hat der VfGH als gesetzwidrig aufgehoben. Diese betraf eine Regelung im zweiten Lockdown für Ungeimpfte. Zwar bestätigte der Gerichtshof erneut die Zulässigkeit der Unterscheidung zwischen Personen mit und ohne 2G-Nachweis und damit den Lockdown für Ungeimpfte an und für sich. Allerdings sah das Covid-19-Maßnahmengesetz Ausnahmen vor, die das Verlassen des eigenen privaten Wohnbereichs trotz Ausgangsbeschränkung jedenfalls erlauben – darunter die "Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens".

Was zu diesen Grundbedürfnissen zählt, hänge aber auch von der Dauer der Beschränkung ab, argumentiert der VfGH. Die Verordnungen waren jeweils auf zehn Tage angelegt und wurden mehrfach verlängert, sodass am Schluss eine elfwöchige Ausgangsbeschränkung galt. Konkret sahen sie unter anderem vor, dass Personen ohne 2G-Nachweis zwar Lebensmittel einkaufen oder eine Bank betreten, aber keine Friseurdienstleistungen in Anspruch nehmen durften.

Friseurbesuche auch Grundbedürfnis

Genau das widerspricht laut den Richtern dem Covid-19-Maßnahmengesetz und ist daher gesetzeswidrig. "Wenn der Verordnungsgeber durch die Aneinanderreihung solcher Verordnungen im Ergebnis eine wochen- oder gar monatelange Ausgangsbeschränkung anordnet (...), kommt der gesetzlich vorgesehenen Ausnahme der Grundbedürfnisse des 'täglichen' Lebens jedoch eine andere Bedeutung zu als bei einer bloß auf wenige, höchstens zehn Tage angelegten Ausgangsregelung." In diesem Licht würden auch Friseurbesuche zu diesen Grundbedürfnissen zählen.

Und noch eine Entscheidung wurde getroffen: Das vom Gesundheitsminister verordnete Betretungsverbot für Sportplätze während des ersten Lockdowns im März und April 2020 war ebenfalls gesetzeswidrig. Die Verordnung sei unzureichend nur mit dem allgemeinen Hinweis auf die Bekämpfung der Pandemie begründet worden, erklärte der VfGH zu einer Beschwerde gegen Strafzahlungen zweier Brüder aus Vorarlberg. Es fehle an dokumentierten Entscheidungsgrundlagen, um die Einschränkung des Grundrechts auf persönliche Freiheit nachvollziehbar zu machen, zitierten die "Neuen Vorarlberger Nachrichten" am Dienstag.

Der VfGH habe der Regierung eine "weitere schallende Ohrfeige für ihre Einsperr-Corona-Politik" verpasst, befand FPÖ-Chef Herbert Kickl. Für ihn sind die Urteile "Wasser auf die Mühlen all jener, die sich – so wie die FPÖ – von Beginn an gegen die Lockdown-Politik der Bundesregierung gestellt und dagegen auch auf der Straße ein lautstarkes Zeichen gesetzt haben". (red, APA, 2.8.2022)