Beleidigungen, die sich nur zwischen Täter und Opfer abspielen, sind in Österreich derzeit nicht strafbar.

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Die verstorbene Ärztin Lisa-Maria Kellermayr wurde in privaten und öffentlichen Chats aufs Übelste bedroht – mit Nachrichten, die jedenfalls strafbar sind. Nicht alle bösartigen Chats sind derzeit aber vom gerichtlichen Strafrecht erfasst. Das betrifft etwa Beleidigungen, die sich nur zwischen Täter und Opfer abspielen, zum Beispiel in Privatnachrichten auf Facebook.

Ingrid Brodnig, Journalistin und Expertin für Hass im Netz, forderte daher kürzlich eine Verschärfung des Beleidigungsparagrafen. Der Staat solle zudem eigene, auf Hass im Netz spezialisierte Staatsanwaltschaften einrichten. Aber würde das in der Praxis tatsächlich etwas ändern?

Laut Brodnig sind Drohungen oder Todeswünsche oft nicht konkret genug, um sie juristisch als gefährliche Drohung zu werten. Als Beleidigung könne man vieles nicht anzeigen, weil rein private Beleidigungen, die sich nur zwischen Täter und Opfer abspielen, nicht strafbar sind. In Deutschland ist das anders: Beleidigungen sind dort auch dann verboten, wenn sie der Täter zum Beispiel an eine private E-Mail-Adresse schickt. "In meinen Augen könnte man da nachschärfen", schrieb Brodnig auf Twitter.

Denkbar, aber umstritten

Mehrere Juristinnen und Juristen, die DER STANDARD kontaktiert hat, sehen das eher kritisch. "Ich glaube, die Rechtslage ist in Österreich einigermaßen ausgewogen", sagt etwa Michael Rami, Medienrechtler und Richter am Verfassungsgerichtshof. Eine Verschärfung wäre zwar denkbar, aber "es stellt sich die Frage, ob sie auch sinnvoll wäre".

Drohungen sind ohnehin verboten, dasselbe gelte für Beleidigungen in Anwesenheit mehrerer Personen. In einigen Bundesländern seien rein private Ehrenkränkungen zudem schon jetzt verwaltungsrechtlich strafbar, erklärt Rami. Das ist in Niederösterreich, Salzburg, der Steiermark, Tirol, Vorarlberg und in Wien der Fall.

Sowohl die bestehenden Verwaltungsdelikte als auch der gerichtliche Straftatbestand dürften in der Praxis bislang wenig Bedeutung haben, sagt Rechtsanwältin Alexia Stuefer. Beleidigung ist ein Privatanklagedelikt, Betroffene müssen sich also aktiv ans Gericht wenden, taten das in der Vergangenheit allerdings oft nicht, weil sie Angst hatten, das Verfahren zu verlieren und dann auf den Kosten sitzen zu bleiben.

Das "Hass im Netz"-Gesetz schafft hier mittlerweile Abhilfe: Das Kostenrisiko im Fall eines Freispruches oder einer Einstellung liegt nun nicht mehr bei den Opfern. Zudem forschen die Behörden die Täter aus, sofern dies beantragt wird. Von einer Verschärfung des Strafrechts hält auch Stuefer wenig. "Ich glaube, da gäbe es andere Wege, die effektiver sind, zum Beispiel mehr Verantwortung für die jeweiligen Plattformen."

Probleme in der Praxis

Olaf Radtke, Anwalt für Medienrecht in Köln, berichtet von ähnlichen Problemen in Deutschland. Pro Jahr werden über 200.000 Beleidigungsdelikte von der Polizei aufgenommen. In den meisten Fällen wird von den Behörden aber kein öffentliches Interesse an der Verfolgung des Delikts angenommen, weshalb viele Verfahren eingestellt werden. Betroffene können in diesen Fällen zwar selbst Klage erheben, tun das aber meist nicht, weil es im Internet oft nicht einfach ist, die Täter ausfindig zu machen.

Aus Sicht von Rechtsanwalt Michael Lanzinger ist der Kampf gegen Hass im Netz auch deshalb schwierig, weil Polizei und Staatsanwaltschaften wenig Erfahrung haben. Dem Vorschlag Brodnigs, spezialisierte Behörden einzurichten, kann der Anwalt daher viel abgewinnen. In Deutschland gibt es bei Staatsanwaltschaften mittlerweile eigene Cybercrime-Stellen. "Die sind uns um Jahre voraus", sagt Lanzinger. "Es gibt eine Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Es wäre an der Zeit, auch eine für Cybercrime einzuführen." (Jakob Pflügl, 2.8.2022)