Dieser schwarze Obelisk steht einsam in den australischen Bergen. Er stammt aus dem Erdorbit.
Foto: Brad Tucker

Die beiden Schafbauern aus dem kleinen Städtchen Dalgety dürften ihren Augen nicht getraut haben. Mick Miners und Jock Wallace stießen letzten Donnerstag in den Snowy Mountains, einem Gebirge im Süden der australischen Hauptstadt Canberra, auf ein seltsames Objekt: Schräg aus dem Boden, zwischen den gelben, vertrockneten Gräsern, ragt dort ein schwarzer Obelisk in den Himmel. Der übermannsgroße, dreieckige Zeiger schien den beiden Findern seinen Herkunftsort zu weisen – das All.

Einigen werden jetzt die ersten Takte von Richard Strauss Stück "Also sprach Zarathustra" in den Sinn kommen, zurecht, läuten diese Klänge doch Stanley Kubricks Weltraumepos "2001: Odyssee im Weltraum" ein. Dort begibt sich ein wackeres Team aus Raumfahrern zum Jupiter, wo ein ähnlicher schwarzer Monolith unklarer Provenienz auf sie wartet. Leider ist die Herkunft des australischen Obelisken aber wohl weit weniger exotisch: In seiner Nähe fanden die Farmer ein kleineres Fragment mit einer sehr irdischen Seriennummer.

Seltener Fund

Brad Tucker, Astrophysiker an der australischen Nationaluniversität in Canberra, konnte das Rätsel schließlich lösen: Bei dem schwarzen Obelisken handelt es sich um Weltraumschrott. Der Wissenschafter wurde von den beiden Findern gerufen, den sie von seinen Auftritten im örtlichen Radio kannten. Tucker erhält viele solcher Anrufe, wie er gegenüber dem "Guardian" sagt. Meistens gebe es irdische Erklärungen für den angeblichen Weltraumschrott, doch diesmal nicht: "Diesmal war es anders", sagt Tucker.

Brad Tucker hielt die Entdeckung in einem Youtube-Video fest.
Dr Brad Tucker

Der Obelisk habe demnach eindeutig eine verkohlte Oberfläche, die durch die enorme Hitze beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre entsteht. Von Weitem wirkt er daher wie ein verbrannter Baum, doch ein genauerer Blick zeigt, dass es sich um ein menschgemachtes Objekt handeln muss. Gut ist die wabenförmige Struktur des Hitzeschilds erkennbar, an den Kanten treten ausgefranste Kohlenstofffasern hervor. Wie Tucker angibt, sind die Teile wohl Fragmente des Rumpfes der "Dragon Crew-1"-Kapsel des privaten Raumfahrtunternehmens Space X.

Abstürzender Weltraumschrott

Die meisten Raketen stoßen auf ihrem Weg in den Orbit ausgebrannte Raketenstufen ab. Die tonnenschweren Teile fallen dann rasch zurück zur Erde oder, falls das Raumschiff bereits hoch genug war, verbleiben im Orbit. Dort können sie als Weltraumschrott jahrelang kreisen und die Sicherheit der Raumfahrt gefährden. Denn einerseits kann Weltraumschrott mit Satelliten kollidieren und sie zerstören, wobei unzählige neue Schrottpartikel in verschiedenster Größe entstehen. Diese Teile jagen mit großer Geschwindigkeit um die Erde und können bemannte sowie unbemannte Missionen gefährden.

Diese Grafik zeigt mit stark vergrößerten Symbolen, wie vermüllt die niedrigeren Erdumlaufbahnen bereits sind.
Grafik: AFP

Andererseits sorgt die Reibung mit der Erdatmosphäre dafür, dass Weltraumschrott abstürzt. Nicht immer verglüht dabei die gesamte Masse, wie der Fund in Australien eindrucksvoll beweist. In diesem Fall ist der Übeltäter bekannt, da es sich um katalogisierten Weltraumschrott handelte, dessen Orbit nachverfolgt wurde. Demnach sollte der Rumpf der im November 2020 gestarteten Kapsel am neunten Juli über dem australischen Bundesstaat New South Wales niedergehen.

Gefahr aus dem Orbit

Allerdings hat Space X bisher nicht bestätigt, dass diese Teile von einem Raumschiff des Unternehmens stammen. Dabei sollte das leicht fallen, immerhin gibt es die Seriennummer. "Es wäre einfach für Space X, den Fund zu bestätigen, denn da ist ein Etikett dran", erklärt Tucker. Doch vielleicht zeigt man sich beim US-amerikanischen Raumfahrtkonzern von Elon Musk zögerlich, da die Teile über Festland abgegangen sind. Das sollte eigentlich nicht passieren.

In diesem Fall ging der Absturz glimpflich aus, doch ein Stück dieser Größe hätte in einer Stadt großen Schaden angerichtet – und womöglich Menschen getötet. Doch wie groß ist das Risiko, das von abstürzendem Weltraumschrott ausgeht? Kanadische Forscherinnen und Forscher um Michael Byers von der Universität Vancouver sind dieser Frage nachgegangen. In ihrem kürzlich in der Fachzeitschrift "Nature Astronomy" veröffentlichten Bericht berechnen die Fachleute, wie wahrscheinlich es ist, von Weltraumschrott getötet zu werden.

Das kleinere Fragment des Weltraumschrotts trägt eine Seriennummer. So konnte die Herkunft der Trümmer eindeutig bestimmt werden.
Foto: Brad Tucker

Um abschätzen zu können, wie groß die Gefahr ist, verglichen die Fachleute die Absturzwahrscheinlichkeit abhängig vom Breitengrad mit der jeweiligen Bevölkerungsdichte. Ihren Berechnungen zufolge ist das Risiko für mindestens einen Todesfall in den nächsten zehn Jahren zehn Prozent.

Das wirkt zunächst einmal sehr gering. Doch wie die Forscher warnen, ist in dieser Abschätzung nur Weltraumschrott berücksichtigt, der bereits vorhanden ist und länger im Erdorbit war. In den nächsten Jahren wird die Anzahl an abgestoßenen Raketenstufen stark zunehmen, und damit auch die Gefahr, von Trümmern aus dem All erschlagen zu werden.

Ungleiches Risiko

Doch damit nicht genug: Das Team um Byers konnte zusätzlich nachweisen, dass das Sterberisiko nicht gleichmäßig verteilt ist. Im globalen Süden ist die Chance höher, von Weltraumschrott getroffen zu werden. Davon können die Einwohner der Elfenbeinküste ein Lied singen. Dort trafen im Mai 2020 tonnenschwere Trümmer einer chinesischen "Langer Marsch"-Rakete zwei Dörfer – glücklicherweise ohne jemanden zu verletzen.

Ende Juli startete eine chinesische "Langer Marsch"-Rakete. Das Verglühen ihrer Raketenstufen am malaysischen Himmel wurde von vielen festgehalten.
Foto: AP

Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis jemand von Weltraumschrott verletzt oder getötet wird, und wenn es passiert, dann wohl in Ländern, die selbst keine Raumfahrt betreiben. Wie die kanadischen Fachleute schreiben, exportieren die raumfahrenden Nationen der Nordhalbkugel das Risiko nach Süden. Dabei ist es technisch möglich, Raketenteile kontrolliert abstürzen zu lassen oder sie gleich wiederzuverwenden, wie es etwa Space X mit seinen Falcon-Modellen demonstriert. Doch klar ist auch: Noch sind solche Raketen aufwändiger, und damit teurer. Das geringe Risiko, auf der Südhalbkugel Menschen zu töten, wird daher in Kauf genommen.

So ein Denken wirkt kurzsichtig, ist doch Weltraumschrott für die Raumfahrt insgesamt eine Gefahr. Byers und sein Team fordern insbesondere die Staaten des globalen Südens auf, Druck auf raumfahrende Nationen auszuüben, damit kontrollierte Wiedereintritte von Raketen zum Standard werden. So wäre die Raumfahrt ein Stück sicherer, und zwar für uns alle. (Dorian Schiffer, 2.8.2022)