Demis Hassabis gab dieser Tage die Entschlüsselung von über 200 Millionen Proteinstrukturen bekannt. Das wird der biomedizinischen Forschung einen gehörigen "Booster" geben.

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Über manche Menschen und ihre geistigen Fähigkeiten lässt sich einfach nur staunen. Zum Beispiel über Demis – eigentlich: Demosthenes – Hassabis, den gegenwärtig wohl wichtigsten Forscher im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI). Mit der Firma Deepmind, die der heute 46-Jährige mit zwei Kollegen im Jahr 2010 gründete, revolutionierte er das maschinelle Lernen (oder eigentlich dessen Teilgebiet Deep Learning) und legte damit die Grundsteine für künftige Durchbrüche in vielen Wissenschaftsbereichen und zuletzt in der Biomedizin.

Schach- und Computerwunderkind

Erstmals "auffällig" wurde Hassabis, der 1976 als Sohn eines zypriotischen Vaters und einer Mutter aus Singapur in London geboren wurde, im Alter von vier Jahren als Schachwunderkind. Mit acht brachte er sich bei, wie man einen ZX-Spektrum-Computer programmiert, mit 15 wurde er zum Studium an der Uni Cambridge zugelassen. Vorher legte er aber noch ein Jahr Pause ein, in dem er Computerspiele entwickelte. Mit "Theme Park" schuf er einen Millionenseller, der ihm unter anderem das Informatikstudium finanzierte.

Danach gründete er seine eigene Spielefirma Elexir, war daneben mehrfacher Multi-Spiel-Weltmeister (in Pentamind und Decamentathlon), ehe er noch eine neurowissenschaftliche Dissertation schrieb und unmittelbar danach erste bahnbrechende Arbeiten in diesem Forschungsfeld veröffentlichte.

Von selbstlernender Go-Software ...

In der Firma Deepmind brachte der verheiratete Vater zweier Söhne all seine Talente und bis dahin erworbenen Fähigkeiten zusammen, gemäß seinem Motto "Das Rätsel der Intelligenz lösen, nach den Sternen greifen und sich nicht durch praktische Dinge ablenken lassen".

Mit seinen Mitarbeitern entwickelte er zunächst selbstlernende Algorithmen, die in komplexen Spielen wie Go und in Videospielen die menschlichen Fähigkeiten herausfordern sollten. Ein erster spektakulärer Durchbruch gelang 2016: Die Software Alphago demütigte den Go-Weltmeister Lee Sedol vor 200 Millionen Zusehern. Dieser Sieg war zuvor für unmöglich gehalten worden.

Fast schon im Monatstakt folgten nun weitere Erfolge mit Algorithmen, die immer besser selbst lernen. Die Berichte darüber erschienen in den besten Wissenschaftsmagazinen, weshalb Hassabis auch der KI-Forscher mit den meisten Publikationen in den führenden Wissenschaftsjournalen "Nature" und "Science" ist. Und Hassabis hat in der Zwischenzeit so ziemlich alle Auszeichnungen erhalten, die ein britischer Wissenschafter erhalten kann. Dieses Jahr kam noch der Prinzessin-von-Asturien-Preis dazu, eine Art spanischer Nobelpreis.

... zur Lösung "echter" Probleme

Die Entwicklung von Algorithmen, um in Spielen erfolgreich zu sein, war aber quasi nur eine Art Vorübung zu dem, was Hassabis mit Deepmind in den nächsten Jahren vorhat. Die Firma, die 2014 für kolportierte 500 Millionen Dollar an Google verkauft wurde und heute rund 1.000 Forscher und Technikerinnen beschäftigt, wird sich mit ihren selbstlernenden Algorithmen vermehrt ungelösten Problemen in der Wissenschaft stellen.

Ein erster diesbezüglicher Durchbruch gelang mit Alphafold. Diese Software, die in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) entwickelt wurde, kann die komplexen Faltungsmuster von Proteinen auf Basis der Aminosäuresequenz vorhersagen.

Eine der 200 Millionen von Alphafold entschlüsselten Proteinstrukturen. Diese konkrete Struktur könnte bei der Entwicklung von Malaria-Impfstoffen eine entscheidende Rolle spielen.
Foto: Deepmind

Waren bis vor kurzem nur wenige der komplexen Proteinstrukturen in mühsamer Kleinarbeit ermittelt worden, gab Hassabis dieser Tage bekannt, dass mit Alphafold inzwischen über 200 Millionen verschiedene Proteinstrukturen vorhergesagt wurden. Wie groß dieser Durchbruch insbesondere auch für die Biowissenschaften ist, macht auch der folgende Tweet des US-Mediziners Eric Topol anschaulich:

Forschung fürs Allgemeinwohl

Das Tolle daran: Obwohl Deepmind eigentlich eine kommerzielle Firma ist, sorgte Hassabis dafür, dass Alphafold und seine Ergebnisse für alle Forschenden frei zugänglich sind. Eine halbe Million Wissenschafterinnen und Wissenschafter benützt Alphafold bereits. Deren Begeisterung ist entsprechend groß. Denn egal, ob es nun um die Entwicklung neuer Medikamente geht, um den Kampf gegen die Plastikverschmutzung oder um Antibiotikaresistenz: All diese Probleme und Herausforderungen lassen sich nun dank Alphafold leichter lösen.

Eine der Anwendungen mit praktischem Nutzen von Alphafold: der Kampf gegen resistente Erreger.
DeepMind

Und damit profitieren letztlich wir alle von der Intelligenz jenes Wissenschafters, der in den letzten Jahren wie kein anderer zur Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz beigetragen hat. (Klaus Taschwer, 3.8.2022)