Die Frage, wann genau der moderne Menschen erstmals amerikanischen Boden betreten hat, ist in der Geschichtsforschung ein heißes Eisen. Hitzige Debatten werden in der Fachwelt darüber ausgefochten, häufig geht es um die Interpretation von menschlichen Überresten oder Artefakten. Nach aktuellem Stand der Forschung, der sich hauptsächlich an unbestrittenen archäologischen Funden orientiert, begann die Besiedelung Amerikas am Ende der letzten Eiszeit, wahrscheinlich nicht vor mehr als 15.000 Jahren.

Lange Zeit galt die Clovis-Kultur als Wurzel aller späteren indigenen Völker auf dem amerikanischen Kontinent. Ihre unmittelbaren Vorfahren sollen die Ersten gewesen sein, die sich vor über 13.000 Jahren aus der nordasiatischen Mammutsteppe am Rande der Landbrücke Beringia zwischen Nordostsibirien und Westalaska in das neue Land vorgewagt haben. Viele Entdeckungen der vergangenen 25 Jahre machten den Expertinnen und Experten dieses Forschungsfelds allerdings klar, dass die Besiedelung des Doppelkontinents doch etwas komplizierter abgelaufen ist.

Dieser Haufen aus Rippen, gebrochenen Schädelknochen, einem Backenzahn, Knochenfragmenten und Steinbrocken könnte die bisherige Timeline der Besiedelung Amerikas infrage stellen.
Foto: Timothy Rowe / University of Texas at Austin

Pfeilspitzen und Fußspuren

So deuten manche Funde – vor allem Werkzeuge, Waffen und Fußabdrücke – darauf hin, dass es schon vor über 20.000 Jahren Menschen in Amerika gegeben haben könnte. Pfeilspitzen, die man in der Chiquihuite-Höhle im Norden Mexikos freigelegt hatte, würden sogar auf ein Alter von 30.000 Jahren datieren. Damit wären sie gut doppelt so alt wie die ältesten allgemein anerkannten Menschenspuren in Amerika.

Nun wollen Wissenschafter Hinweise auf menschliche Aktivitäten gefunden haben, die noch einmal 7.000 Jahre älter sein könnten, als die steinernen Pfeilspitzen aus Mexiko. Konkret geht es um Mammutknochen, auf denen sich Spuren abzeichnen, die nach Ansicht eines Teams um Timothy Rowe von der University of Texas, Austin, von Werkzeugen stammen. Entdeckt wurden die Gebeine in einer Schlucht des Rio Puerco in New Mexico.

Einige verdächtige Scharten und Kerben weisen auf menschliche Aktivität hin.
Foto: Rowe et al.

Messer aus Mammutknochen?

Die C-14-Datierung von Kollagen mithilfe der Massenbeschleunigungsspektrometrie (AMS) ergab ein Alter von 36.250 bis 38.900 Jahren. "Was wir hier haben, ist erstaunlich", sagte Rowe. Seiner Ansicht nach erwecken einige Mammutknochen den Eindruck, als seien sie damals zu Werkzeugen wie Knochenmessern verarbeitet worden. Auch die Art und Weise, wie die größeren Knochen einst zu Bruch gegangen seien, weise eher auf eine bewusste Zertrümmerung als auf Zufall hin.

An drei Vierteln der untersuchten Stellen seien überdies Knochensplitter geborgen worden, die aussehen, als seien sie bewusst abgeschabt oder abgeschlagen worden, als Nebenprodukt bei der Werkzeugherstellung. Die Knochenabschläge würden jedenfalls nicht mit der Form von Knochenpartikeln übereinstimmen, die bei der Bearbeitung durch tierische Aasfresser oder durch Verwitterungskräfte entstehen, das würden CT-Scans und rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen nahelegen. Hinzu kommt, dass keine Bissspuren von Tieren auf den größeren Mammutknochenfragmenten zu finden waren, berichten die Forschenden im Fachjournal "Frontiers in Ecology and Evolution".

Fische und Lagerfeuer

Und noch etwas deutet auf die Anwesenheit von Menschen im unmittelbaren Umfeld der Mammutknochen hin: Untersuchungen der Sedimente zeigten, dass es hier zumindest lokal gebrannt haben muss, und zwar über einen längeren Zeitraum hinweg – so als wäre ein Feuer zum Kochen oder als Wärmequelle am Leben gehalten worden.

Die Überreste von Fischen weit weg vom nächsten Flussufer und einer Reihe von Kadavern anderer kleiner Tiere untermauern die Theorie, dass hier vor 37.000 Jahren Menschen ihr Lager aufgeschlagen hatten. Ob das tatsächlich der Fall war, wird die Forschungsgemeinschaft wohl noch einige Jahre diskutieren. (tberg, 4.8.2022)