Seit Jahren werden Strände wie hier in Cancun zwischen April und August von besonders vielen Algen bedeckt. Das schadet auch dem Tourismus.

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Sargassum heißen die großen Braunalgen im tropischen Atlantik. Sie wachsen meist fest am Meeresboden, werden zwischen zehn Zentimeter und mehr als zwei Meter hoch und sind eine Oase des Lebens. Kleine Krabben, Würmer, Schildkröten und andere Meerestiere finden in den Algenwäldern Nährstoffe und Unterschlupf. Zudem speichern sie große Mengen an CO2, was die Klimaerwärmung in Schach hält.

Doch diese Oase des Lebens wächst sich seit einigen Jahren zu einem regelrechten Fluch für die Karibik aus. Dort sind die Strände in diesem Sommer vielerorts von einer rekordverdächtigen Menge an Braunalgen bedeckt. Mehr als 24 Millionen Tonnen Algen trieben wie ein Teppich im Juni dieses Jahres über den Atlantik – so viele wie noch nie zuvor seit Messbeginn, heißt es in einem Bericht. Werden die Algen an die Küsten und Strände gespült, verrotten sie und setzen dabei Schwefelwasserstoff frei, der nicht nur stinkt, sondern auch der Umwelt, Tieren und Menschen schaden kann.

Von der Plage zur Chance

Besonders die Aufräumarbeiten an den Stränden und am Meer sind arbeitsintensiv und teuer. Am Ende landen die Algen meist auf einer Mülldeponie, wo sie anschließend verrotten. Doch einige Forscher schlagen vor, die Algen für die Energie- und Düngemittelerzeugung zu verwenden. Könnte die Plage damit doch noch zur Chance für die Inselstaaten werden?

Auf Barbados ist der Algenteppich in diesem Jahr viele Kilometer lang.
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Noch ist von so einer Chance wenig zu erkennen. Kilometerlang türmen sich derzeit Braunalgen auf Stränden in Barbados, Puerto Rico oder Jamaika. Das schreckt vor allem Touristen ab, die in Erwartung weichen Sandes und türkisblauen Wassers ihren Urlaub in der Karibik gebucht haben. Bereits in den vergangenen Jahren sind die Touristenzahlen vielerorts zurückgegangen, was die Wirtschaft der Länder meist hart trifft. In Barbados macht der Tourismus rund ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts aus, in Jamaika mehr als ein Drittel.

Weniger Fische

Auch die Fischerei ist in den vielen kleinen Inselstaaten von der Algenplage betroffen. Denn die Fischer haben durch die Algen eine schlechtere Sicht, die Algen verfangen sich häufig in ihren Netzen, reduzieren die Anzahl an gefangenen Fischen und beschädigen zudem die Boote.

Das Einsammeln der Algen ist arbeitsintensiv und kostet viel Geld.
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Draußen auf hoher See sind die Braunalgen meist eine Bereicherung für die Meereswelt. Sie reinigen das Wasser und schaffen einen Lebensraum für Tiere, die es beinahe nirgendwo sonst auf der Welt gibt. Wachsen die Algen jedoch in derart riesigen Mengen und werden an die Küste und den Strand gespült, schaden sie der Umwelt. Am Strand hindern die Algen Schildkröten daran, ihre Eier zu legen und zurück ins Meer zu gelangen. An der Küste wiederum kann eine zu große Menge an Algen dazu führen, dass Korallenriffe und die damit verbundene Fischwelt absterben, da sie diesen das Licht wegnehmen, warnen Forscherinnen.

Klimawandel als Ursache

Wissenschafter sehen die Ursachen für das starke Algenwachstum einerseits in dem Anstieg der Wassertemperatur der Meere als Folge des Klimawandels. Andererseits in den stickstoffreichen Düngemitteln und Abwässern, die in großem Still und insbesondere vom Amazonas in Brasilien in die Meere geleitet werden.

Ganz neu ist die Krise nicht. Seit mehr als zehn Jahren haben karibische Länder immer wieder mit der Algenplage zu kämpfen. Laut einigen Wissenschaftern habe sich seither ein knapp 9.000 Kilometer langer Algengürtel im westlichen Zentralatlantik gebildet. In manchen Jahren werden durch den Wind und Strömungen mehr Algen, dann wieder weniger an die Strände vieler karibischer Staaten gespült. Als "Sargassum-Saison" wird jene Zeit zwischen April und August bezeichnet, in denen das Algenwachstum normalerweise seinen Höhepunkt erreicht. 2018 war ein Rekordjahr, in dem einige Inseln bereits den Notstand ausriefen. 2022 könnte sich laut Experten in eine ähnliche Richtung entwickeln.

Biogas und Biodünger

Dabei könnten die Algen auch für viele nützliche Dinge genutzt werden, sagen Experten – etwa für die Herstellung von Düngemitteln und Biogas. Ein Team von Wissenschaftern in Neuseeland und Dänemark schlug kürzlich vor, die Braunalgen zuerst 30 Minuten lang in 140 Grad heißem Wasser vorzubehandeln und sie dann gemeinsam mit Lebensmittelabfällen bei Sauerstoffentzug gären zu lassen. Das dadurch gewonnene Biogas könnte dann die Inselstaaten mit Energie versorgen. Die Substanz, die zurückbleibt, könnte wiederum als organischer Biodünger verwendet werden, sagen die Forscher.

Auch per Boot werden die Algen aus dem Meer gefischt.
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Eine Bioraffinerie in Barbados könnte laut den Wissenschaftern jedes Jahr knapp 16.000 Tonnen an Braunalgen zu Biogas und Dünger verarbeiten, dabei 0,69 Gigawattstunden Strom, 1,04 Gigawattstunden Hitze und 15.000 Tonnen Biodünger erzeugen. In jenen Monaten, in denen keine Braunalgen an die Strände gespült werden, soll die Anlage allein mit Lebensmittel- und anderen organischen Abfällen arbeiten. Das soll nicht nur Arbeitsplätze schaffen, sondern auch verhindern, dass mehr Algen und andere Abfälle einfach auf Mülldeponien landen. Der Biodünger könnte zur Hälfte an lokale Landwirte und zur anderen Hälfte am Weltmarkt verkauft werden, so die Forscher.

Eine andere mögliche Verwendung der Braunalgen besteht darin, daraus sogenanntes Algin zu extrahieren. Dieses wird als Verdickungs- und Geliermittel in der Lebensmittel- und Kosmetikindustrie eingesetzt. Auch als Baumaterial könnten die Algen künftig zum Einsatz kommen, glauben manche. "Sargassum-Ziegel" werden in der Sonne getrocknet und sollen laut Befürwortern die Baukosten um mehr als die Hälfte reduzieren. Und sogar als Bestandteile von Cocktails nutzte ein Hotel in Cancun in Mexiko die Algen bereits.

Es fehlt an Geld

Das Problem: Vielen Inselstaaten fehlt es an Geld – nicht nur für die Errichtung einer Bioraffinerie oder anderer Anlagen zur Weiterverarbeitung, sondern schon allein, um die Algen überhaupt von den Stränden und der Küste zu entfernen. Die Cayman Islands, die zuletzt von einem großen Sargassum-Teppich heimgesucht wurden, haben an einigen Orten begonnen, die Algen aus dem Wasser zu pumpen. Doch die Algen kommen derzeit schneller nach, als sie entfernt werden können. Laut dem dortigen Umweltministerium sei es deshalb oftmals die einfachste und günstigste Lösung, die Braunalgen auf den Stränden zu belassen und darauf zu hoffen, dass sie irgendwann wieder weggespült oder unter dem Sand begraben werden und der Regen den Gestank reduziert.

Andernorts versuchen Staaten, die Algen mit Baggern, Traktoren und anderen Maschinen vom Strand zu entfernen. Wissenschafter warnen jedoch, dass es dadurch zu Erosionen kommen kann. Zudem könnten die Eier von bereits gefährdeten Meeresschildkröten zerstört werden. In Mexiko wiederum ließen Behörden Netze und andere Barrieren im Meer errichten, in denen die Algen aufgefangen werden sollen, bevor sie die Strände erreichen. Die dortige Marine sammelt die Algen anschließend in Booten ein.

Die Aufräumarbeiten mit dem Traktor können zu Erosionen beitragen, wenn mit den Algen auch zu viel Sand abgetragen wird.
Foto: REUTERS/Paola Chiomante

Ursachen bekämpfen

Wirklich nachhaltig wird man gegen die Algenflut jedoch nur ankommen, wenn man die Ursachen für deren Wachstum bekämpft, sagen einige Forschende. Das bedeutet, die Menge an Düngemitteln, die in die Flüsse und von dort ins Meer gelangen, zu reduzieren, die Abholzung des Regenwaldes zu verhindern und nicht zuletzt den Klimawandel zu stoppen.

Viele Wissenschafter sehen die jährliche Algenflut ohnehin bereits als neue Normalität für viele karibische Staaten. Und solange es keine längerfristigen staatlichen Pläne und ausreichend finanzielle Unterstützung gibt, werden auch die Ideen zur Wiederverwertung der Algen Nischenlösungen bleiben, befürchten viele Entwicklerinnen. (Jakob Pallinger, 9.8.2022)