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Joe Biden verübelt Nancy Pelosi, dass sie ihm mit ihrer Taiwan-Reise ausgerechnet jetzt in die Quere kommt.

Foto: APA/AFP/GETTY IMAGES/Drew Angere

Der US-Präsident lässt sich öffentlich nicht anmerken, was er von der Reise der Sprecherin des Repräsentantenhauses nach Taiwan hält. Doch innerlich kocht Biden vor Wut über das unglückliche Timing von Nancy Pelosis Besuch der von China beanspruchten Insel. Seine Parteifreundin provoziert damit eine Krise in der Straße von Taiwan, die er nicht gebrauchen kann – zumal es zuletzt endlich einmal rund für ihn lief.

Im US-Kongress steht der Präsident vor einem Durchbruch bei seinem Klima-, Gesundheits- und Steuerpaket im Senat, die Benzinpreise sinken seit Wochen, und kurz vor dem Jahrestag des 11. September konnte er den erfolgreichen Schlag gegen den meistgesuchten Terroristen, Ayman al-Zawahiri, verkünden.

Respekt

Dass ihm Pelosi ausgerechnet jetzt in die Quere kommt, verübelt Biden der 82-Jährigen. Wie sehr, das gibt der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, zu erkennen: Auf die Frage, ob Biden den Besuch Pelosis unterstütze, reagierte er mit einem Pokerface: "Er respektiert ihre Entscheidung."

Kirby bemühte sich nach Kräften, so zu tun, als sei eigentlich nichts passiert. Es komme immer wieder vor, dass US-Kongressabgeordnete nach Taiwan reisen, spielte er den Besuch herunter. Überhaupt sei die ganze Angelegenheit klar der chinesischen Führung kommuniziert worden. "Nichts ändert sich an unserer China-Politik. Wir unterstützen die Unabhängigkeit Taiwans nicht. Wir sind dagegen, dass es einseitig Versuche gibt, den Status quo zu ändern." Das hatte Biden auch dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping versichert, der ihn bei einem fast zweieinhalbstündigen Telefonat in der vergangenen Woche davor warnte, "mit dem Feuer zu spielen".

Protest vor 30 Jahren

Der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan verteidigte Pelosis Recht, nach Taiwan zu reisen. Intern hatte er zuvor vergeblich nach Wegen gesucht, die einflussreiche Demokratin von der Reise abzubringen. In einem Gastkommentar, den die Washington Post zeitgleich zu Pelosis Besuch veröffentlichte, erinnerte sie an ihren spektakulären Protest vor 30 Jahren auf dem Tian’anmen-Platz. Damals rollte sie während des Besuchs einer Kongressdelegation ein Banner aus, das an die Toten der Demokratiebewegung erinnerte.

Seitdem habe sich die Menschenrechtssituation nur verschlechtert, schreibt Pelosi. Sie erinnert an den Versuch der chinesischen Führung, die Kultur der Tibeter "auszulöschen", den "Völkermord" an den Uiguren, das "brutale Vorgehen gegen Hongkongs politische Freiheiten und Menschenrechte" und die Festnahme von Dissidenten, die sich "dem Regime" widersetzten. "Der Besuch unserer Delegation soll als unmissverständliches Zeichen dafür angesehen werden, dass Amerika an der Seite Taiwans steht."

Der Kolumnist Thomas Friedman macht in der New York Times kein Hehl aus seinem Unverständnis für das Verhalten der Speakerin: Angesichts des ungelösten Konflikts mit Russland um die Ukraine sei es "unverantwortlich", ohne Not eine weitere Front mit einer anderen Großmacht zu eröffnen. (Thomas Spang aus Washington, 3.8.2022)