China hat am Donnerstag ein Militärmannöver nahe Taiwan gestartet.

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Die taiwanesischen Sicherheitskräfte sind seit Tagen in erhöhter Alarmbereitschaft.

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Taipeh/Peking – China verschärft nach dem umstrittenen Besuch der US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi in Taiwan weiter die Gangart. Am Donnerstag startete laut Staatsmedien ein geplantes, mehrtägiges Militärmanöver nahe des kleinen, östlich von China gelegenen Inselstaats. Sechs Gebiete rund um Taiwan seien für die "Kampfübung" ausgewählt worden, "relevante Schiffe und Flugzeuge" sollten die davon betroffenen Gewässer und den entsprechenden Flugraum meiden, vermeldete der staatliche chinesische Fernsehsender CCTV am Donnerstag. Die Manöver in den Gewässern um Taiwan sollen demnach bis Sonntagmittag laufen.

Das Verteidigungsministerium Taiwans erklärte, die Lage genau zu beobachten. Die Streitkräfte des Inselstaates würden gemäß dem Prinzip handeln, sich "auf einen Krieg vorzubereiten, ohne einen Krieg zu wollen". Es werde auch keine "Eskalation des Konflikts" gesucht.

Vergleich mit Nordkorea

Am Donnerstag sollen jedenfalls bereits chinesische Präzisionsraketen als Teil der Übung im östlichen Bereich der Meeresstraße abgefeuert worden sein. Das englischsprachige, direkt der kommunistischen Führung unterstehende News-Outlet "The Global Times" publizierte bislang nicht verifizierte Videos, die Raketenstarts zeigen. Diese seien demnach vom chinesischen Festland gestartet und über Taiwan hinweggeflogen, wo sie östlich von Taiwan im Meer einschlugen. AFP-Videos sowie zahlreiche Videos in sozialen Medien scheinen die Raketenüberflüge zu bestätigen. Das taiwanesische Verteidigungsministerium sprach später von insgesamt elf chinesischen Raketen. Mehrere chinesische Schiffe und Flugzeuge hätten zudem die Medianlinie, die die seerechtlichen Hoheitsbereiche definiert, kurzzeitig überschritten.

Auch Taiwans Außenministerium bestätigte die Starts in einem Statement und sprach von einer Bedrohung der nationalen Sicherheit. Man "verurteile die chinesische Regierung scharf, dass sie dem Beispiel Nordkoreas folgen und absichtlich Raketen in die Gewässer anderer Länder testabschießen".

Raketen in Japans Wirtschaftszone

Japanischen Angaben zufolge sind fünf chinesische Raketengeschosse während Pekings Manövern in Japans ausschließlicher Wirtschaftszone (AWZ) niedergegangen. "Dies ist eine ernste Angelegenheit, die die nationale Sicherheit unseres Landes und die Sicherheit der Menschen betrifft", sagte Verteidigungsminister Nobuo Kishi am Donnerstag. Japan habe daraufhin bei der chinesischen Seite protestiert. Es sei das erste Mal, dass eine Rakete der chinesischen Volksbefreiungsarmee in japanischen AWZ-Gewässern niedergegangen sei.

Japan hatte bereits am Mittwoch während des Besuchs der Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in Taiwan darauf hingewiesen, dass Chinas Manöver in einem Gebiet stattfinden, das sich mit Japans Wirtschaftszone überschneide. Pelosi will am Freitag in Tokio Gespräche mit der Regierung führen. Japan ist ein wichtiger Verbündeter Washingtons. Die USA sind zugleich Japans Schutzmacht.

Chinesische Drohnen vertrieben

In der Nacht zuvor hat das taiwanesische Verteidigungsministerium zwei nicht identifizierte chinesische Flugkörper – vermutlich Drohnen – über den Kinmen-Inseln mit Leuchtraketen vertrieben. Sie seien gegen 21 Uhr und 22 Uhr (Ortszeit) eingedrungen, sagte Generalmajor Chang Zone-sung vom Kinmen-Verteidigungskommando. Die Website des taiwanesischen Verteidigungsministeriums war zudem mit Cyberattacken konfrontiert.

"Wir haben sofort Leuchtraketen gezündet, um sie zu warnen und zu vertreiben. Danach kehrten sie um. Sie kamen in unsere Sicherheitszone, und deshalb haben wir sie vertrieben", hieß es zum Drohnenbesuch. Der Generalmajor geht davon aus, dass die Drohnen dazu dienten, Informationen über Taiwans Sicherheitsmaßnahmen zu sammeln. Die stark befestigten Kinmen-Inseln gehören politisch zu Taiwan, liegen aber nahe vor der südöstlichen Küste Chinas bei der Stadt Xiamen.

Alarmbereitschaft

Die Angst ist groß, dass das chinesische Militär so nah wie nie zuvor an Taiwan heranrückt. Im Gegensatz zu vergangenen geopolitischen Krisen will China auch im Osten der Insel seine Kampffähigkeit testen und vermutlich eine vollständige Blockade proben. Zahlreiche Analysten warnen davor, dass das aktuelle Manöver jedenfalls einen Testlauf für eine Invasion der Insel darstellen könnte.

Die US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi hat Taiwan inzwischen wieder verlassen, die Spannungen nehmen aber weiter an Fahrt auf.
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Die Außenminister des südostasiatischen Staatenbündnisses Asean warnten am Donnerstag vor Beginn der Militärmanöver, dass die derzeitige Situation zu "Fehlkalkulationen, ernsthafter Konfrontation, offenen Konflikten und unvorhersehbaren Konsequenzen zwischen Großmächten führen" könne. Es müsse daher auf jede "provokative Aktion" verzichtet werden, erklärten die Minister bei einem Asean-Treffen in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh. Vor allem die Sorge vor einer fehlgeleiteten Rakete ist groß. Das chinesische Außenministerium bestätigte dabei auch die Absage des bilateralen Treffens von Minister Wang Yi mit seinem japanischen Kollegen Yoshimasa Hayashi, das am Rande des Treffens geplant war.

USA haben Kriegsschiffe in Position

Bereits am Mittwoch hatten die G7-Staaten Chinas Reaktion auf Pelosis Besuch kritisiert. "Es gibt keine Rechtfertigung dafür, einen Besuch als Vorwand für aggressive Militäraktionen in der Taiwanstraße zu nutzen", erklärten die G7-Außenminister. "Wir sind besorgt über die jüngsten und angekündigten Drohgebärden der Volksrepublik China (...), die eine unnötige Eskalation riskiert." Die größten Industrienationen der Welt treibt dabei auch die Sorge um eine weitere Unterbrechung der Handels- und Lieferketten an, die durch den Ukraine-Krieg schon mächtig ins Stocken geraten sind. Pelosi, die nach ihrem Taiwan-Besuch nach Südkorea weitergereist war, kündigte indes an, auch in die Joint Security Area zwischen Nord- und Südkorea reisen zu wollen.

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Die USA haben ihrerseits einige Kriegsschiffe in der Region rund um Taiwan als abschreckende Maßnahme stationiert. Pelosi hatte bei ihrem Besuch auch erklärt, ihre Anwesenheit mache "unmissverständlich klar", dass die USA einen demokratischen Verbündeten wie Taiwan nicht alleinließen. Chinas Staatschef Xi Jinping hatte in der Vergangenheit zwar immer wieder die friedliche Einverleibung Taiwans ins Auge gefasst, wie seine Vorgänger jedoch auch Gewalt nicht ausgeschlossen. (APA, faso, 4.8.2022)