Daniela Sereinig verabschiedet sich gerade von Dentsu, nach 17 Jahren und zehn Positionen und 134 Trainees, rechnet sie vor. Es war nun wirklich Zeit für etwas Neues, sagt sie. Ein Ziel gibt es nur recht grundsätzlich; "Ich will wieder ein Unternehmen von innen aufbauen." Und es gibt klare Markierungen für den Weg dorthin.

Diese Wegmarke ist nicht neu: Bei Dentsu war sie als Personalchefin gleichgestellt mit dem Finanzchef der Agenturgruppe, immerhin die Nummer zwei unter den Mediaagenturen in Österreich, in einem hoch konzentrierten Markt. Das ist ihre Bedingung für alles Neue: "Ich würde nie für eine Firma arbeiten, wo der Finanzer und der HR-Mensch nicht auf einer Ebene sind. Das muss gleichwertig sein."

Geradezu "abstrus" findet sie, wenn Finanzchefs die Bewerbungsgespräche mit Bewerbern für das HR-Management führen. "Das sind zwei vollkommen unterschiedliche Aufgaben. Ich habe die Verpflichtung, mit denen zu streiten, das steht ja quasi in der Job-Description", sagt Sereinig,

Den Begriff Human Resources findet Daniela Sereinig abwertend. "Der Mensch ist keine Ressource", sagt sie.
Foto: Christoph H. Breneis

STANDARD: Warum sollen Human Resources und Finanzen denn auf einem Level im Organigramm stehen?

Sereinig: Das ist sehr schnell gesagt: Internationale Managementverträge sind zu 100 Prozent an den Finanzen orientiert. Da geht es um Budgeteinhaltung, Umsatzziele, Margen – was immer. Das geht quer durch alle Branchen, mit Umsatzzielen, Verkaufszielen ...

STANDARD: Das ist in der Betriebswirtschaft doch nicht so überraschend.

Sereinig: Natürlich braucht es betriebswirtschaftliche Maßzahlen. Betriebe denken natürlich betriebswirtschaftlich. Aber ohne Menschen kann ich nichts bewegen. Sie sind das Backbone der Firma, die Substanz.

STANDARD: Die Ressource Mensch.

Sereinig: Der Begriff Human Resources ist eigentlich abwertend. Der Mensch ist keine Ressource. Human Potential wäre ein akzeptabler Begriff.

STANDARD: Was wäre eine Zielvorgabe dafür?

Sereinig: Was fehlt, sind vereinbarte Kennzahlen und Ziele, die sich am Personal orientieren. Zum Beispiel die Abwanderungsquote. Wie häufig dreht sich das Personal in einem Unternehmen? Man kann etwa für Führungskräfte das Ziel definieren, dass der Personalwechsel in ihrem Bereich in einem Zeitraum nicht höher als 20 Prozent sein soll.

STANDARD: Man könnte pragmatisch sagen: Junge, die nachrücken, kosten weniger.

Sereinig: Das Problem häufiger Abgänge ist: Ich vernichte historisches Wissen – Kundenbeziehungen, Know-how, Bonding ans Unternehmen, Loyalität. Darauf müssen Firmen achten, und es gibt viele positive Beispiele. Mir haben die Eigentümer eines kleinen Speditionsunternehmens gesagt: Das Wichtigste ist, dass es Ihren Mitarbeitern gut geht.

STANDARD: Muss man das nicht sagen und sagt das deshalb nur so?

Sereinig: Nein. Dieses Familienunternehmen hat zum Beispiel eine hoch dekorierte Architektin geholt, um das Büro im Sinne der Mitarbeiter und mit ihnen neu zu gestalten. Und nach zwei Jahren Pandemie ist die Einrichtung von Büros extrem wichtig: Die Menschen sind entwöhnt vom direkten Umgang mit Menschen. Jetzt kommen diese Menschen zurück und bekommen ein Shared-Space-Konzept, fühlen sich nicht zu Hause, wissen nicht, wo sie sitzen. Natürlich ist Shared Space sinnvoll, insbesondere, wenn es auch Tage für Homeoffice gibt. Aber die Menschen brauchen ihren Bereich, ihre Bezüge. Und es ist offensichtlich, dass nach langer Zeit im Homeoffice, in ihrer analogen Blase, Input von Zufallsbegegnungen im Büro wichtig ist. Trainees oder neue Kollegen kann ich nicht im Homeoffice onboarden oder entwickeln, die brauchen direkten, persönlichen Bezug.

STANDARD: Es soll schon jetzt recht schwierig sein, qualifizierten Nachwuchs zu finden. Wie gewinnt man die Generation Z und bald die Generation Alpha?

Sereinig: Das ist ein vielschichtiges Problem. Weniger junge Menschen. Ein Bildungssystem, das trennt, statt zu fördern, vor allem Menschen, die neu sind in unserem Land und weniger vertraut mit der Sprache. Gut ausgebildete Menschen aus dem oberen Quartil im urbanen Raum, die können es sich aussuchen. Das hat sich rasch gedreht vom Käufer- zum Verkäufermarkt.

STANDARD: Wie gewinnt man diese Generation?

Sereinig: Aus meiner Erfahrung: Indem man tut, was man sagt. Wir können der Generation danken, dass sie ihren Zugang, ihre Ideen auf den Tisch gebracht haben. Ressourcen schonend zu handeln heißt doch, dass man auch verantwortungsvoll mit den eigenen Ressourcen umgeht. Wenn junge Menschen in eine Führungsrolle hineingehen, wenn sie erste Projekte entwickeln, brauchen sie einfach einen Buddy, der einem auch zur Seite stehen kann. Leadership-Entwicklung ist immer eine evolutionäre Entwicklung: Wie ist es, ein Projekt abzuwickeln? Wie ist es, zu scheitern und daraus zu lernen? Wie ist es, wenn ich plötzlich ein Team übernehmen soll? Wie gehe ich mit Druck um? Vertrauen kommt durch Routine, Regelmäßigkeit, Handschlagqualität. Leadership per Videokonferenz funktioniert nicht. Mir haben Trainees gesagt, ich bin die Mama des Unternehmens. Das ist ein großes Kompliment, weil ich versuche, alle Seiten zu verstehen und eine gute Lösung für ein Problem zu finden. Es braucht einfach jemanden, der sich kümmert oder mal für Ordnung sorgt. Man muss auch Führungskräften sagen können, wenn sie zu weit gehen – und sich etwa bei einem Mitarbeiter entschuldigen sollten.

STANDARD: Was macht also einen guten HR-Chef, der in der Praxis ja recht häufig eine HR-Chefin ist, aus?

Sereinig: HR ist nicht mehr nur Lohnverrechnung und Verträge schreiben, das ist ein – natürlich sehr wichtiger – administrativer Teilbereich des Personalwesens. Talente erkennen, fördern und fordern, Leadership-Entwicklung, Mitarbeiterbefragungen, Sounding-Boards, On- und Offboarding, Feedbackgespräche, Entwicklungspläne etc. Natürlich sind Volldigitalisierung und Automatisierung in einer zukunftsorientierten HR nicht mehr wegzudenken. Das schafft Zeit für die Mitarbeiter und etwa für das Aufgreifen von aktuellen Themen und Trends. Ein guter HRler kümmert sich intensiv um "seine" Ressource Mensch – und zwar live, in Farbe. Ein guter HRler zeichnet sich nicht durch Power-Point-Präsentationen aus, sondern dadurch, dass er für die Leute da ist. Und zwar für alle. (Harald Fidler, 4.8.2022)