Der Bioreaktor, in dem die synthetischen Embryos herangezüchtet werden.

Jacob Hanna Lab, Weizmann-Institut

Es klingt ein wenig nach Frankenstein 2.0, worüber Wissenschafterinnen und Wissenschafter aus Israel dieser Tage berichten: Mehr als 200 Jahre nach Erscheinen des Romans von Mary Shelley, in dem die Erschaffung eines künstlichen Menschen beschrieben wird, hat der Stammzellbiologe Jacob Hanna (Weizmann-Institut in Israel) mit seinem Team nämlich synthetische Mäuseembryos ("Embryoide") aus Stammzellen hergestellt – ohne Spermien und ohne Eizellen. Zudem verwendeten die Forschenden einen innovativen Bioreaktor und keine Mäuseweibchen, um ihre Kreationen reifen zu lassen.

Die künstlichen Embryos wiesen eine Anatomie auf, die der natürlichen entsprach, und hatten Ansätze von mehreren Organen: einen Darmtrakt, Frühstadien eines Gehirns und eines bereits schlagenden Herzens. Hanna, der Leiter des Teams, stelle allerdings auch klar, dass die synthetischen Embryos nicht alle Eigenschaften von "echten" Embryos hätten – und auch nicht das Potenzial, sich zu lebenden Tieren zu entwickeln. Das sei auch nicht gelungen, als die Gebilde in die Gebärmütter von Mäuseweibchen transplantiert wurden.

Zwei mögliche Anwendungen

Diese dennoch bahnbrechende Leistung, die Anfang der Woche in der renommierten Fachzeitschrift "Cell" publiziert wurde, soll laut Hanna zum einen zu einem besseren Verständnis der frühen Embryonalentwicklung und des Entstehens von Organen und Geweben natürlicher Embryos beitragen, um Fehlentwicklungen in dieser Phase zu vermeiden. Zum anderen erhoffen sich die Forschenden, dass ihre Entwicklung die Zahl der Tierversuche verringern und letztlich den Weg für neue Quellen von Zellen und Geweben für die Transplantation beim Menschen ebnen könnte.

Diesem Durchbruch gingen intensive Vorarbeiten voraus: Bereits im Vorjahr beschrieb das Team um Jacob Hanna den Bau einer künstlichen mechanischen Gebärmutter, in der natürliche Mäuseembryos elf Tage lang außerhalb der Gebärmutter wachsen konnten. Das entspricht rund der Hälfte der natürlichen Tragezeit von rund 20 Tagen. Für die neue Studie wurde die gleiche Vorrichtung verwendet, um Mäusestammzellen über eine Woche lang heranwachsen zu lassen.

So wurden synthetische Maus-Embryomodelle außerhalb des Mutterleibs gezüchtet.
Weizmann Institute of Science

Viel Aufwand, geringe Erfolgsquote

Besonders bemerkenswert an der neuen Methode von Hanna und seinen Kolleginnen ist, dass es ihnen gelang, allein aus embryonalen Stammzellen ganze synthetische Embryos zu erzeugen – inklusive Plazenta und Dottersack, die den Embryo umgeben. Dazu mussten freilich einige der Zellen mit Chemikalien vorbehandelt werden, die genetische Programme für die Entwicklung der Plazenta und des Dottersacks einschalteten. Andere Zellen hingegen entwickelten sich ohne weiteren Eingriff zu Organen und anderen Geweben.

Grafischer Überblick über den Herstellungsprozess der synthetischen Embryos.
Foto: Hanna et al., Weizmann-Institut

Die Erfolgsquote war dabei aber relativ gering: Nur etwa 0,5 Prozent der embryonalen Stammzellen schlossen sich zu kleinen Kugeln zusammen, aus denen verschiedene Gewebe und Organe wuchsen. Im Vergleich zu natürlichen Mäuseembryos waren diese synthetischen Embryos hinsichtlich ihrer inneren Struktur und ihrer genetischen Zellprofile dann allerdings zu 95 Prozent identisch. So weit die Wissenschafter feststellen konnten, dürften die ausgebildeten Organe funktionsfähig sein.

Status nach acht Tagen

Konkret waren die Embryoide am achten Tag sehr ähnlich entwickelt wie 8,5 Tage alte natürliche Embryos und wiesen ein schlagendes Herz, ausgeprägte Kopf- und Schwanzenden, Segmente, die zu Skelettmuskeln werden, ein sich entwickelndes Gehirn und Rückenmark sowie andere Organe in Frühstadien auf.

Ein acht Tage alter synthetischer Embryo (oben) im Vergleich zu einem 8,5 Tage alten natürlicher Embryo (unten).
Foto: Hanna et al., Weizmann-Institut

Die Forscher maßen auch die Genaktivität in mehr als 40.000 embryonalen Zellen und fanden alle erwarteten Zelltypen an den richtigen Stellen, sagt Hanna. Aus unbekannten Gründen kamen die künstlichen Embryos am achten Tag ihrer Entwicklung allerdings zum Stillstand. Hanna und sein Team hoffen, dieses Hindernis zu überwinden.

Die Forschenden aus Israel kamen allem Anschein nach einem Team um die polnisch-britische Entwicklungbiologin Magdalena Zernicka-Goetz knapp zuvor, die an der Uni Cambridge und am Caltech in Kalifornien seit Jahren an ähnlichen Fragestellungen arbeitet und darüber 2020 auch ein Buch geschrieben hat ("The Dance of Life"). Die vielfach ausgezeichnete Forscherin gab am Tag nach der "Cell"-Veröffentlichung auf Twitter bekannt, dass sie zwei neue Aufsätze auf Biorxiv mit zumindest ähnlich spektakulären Ergebnissen hochgeladen habe.

in diesen noch nicht fachbegutachteten Artikeln beschreibt sie mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, wie sie auf zwei verschiedenen Wegen zu ähnlich spektakulären Durchbrüchen wie Hanna gelangte – also zu ebenfalls synthetischen Mäuseembryos aus Stammzellen und mit funktionierenden Organen.

Welche Absichten verbinden die Forschenden mit diesen Studien – neben grundlegenden Einsichten in die frühe Embryonalentwicklung? Die aus Stammzellen gewonnenen synthetischen Embryos haben für die Forschung einen wichtigen Vorteil gegenüber normalen Mäuseembryos, erklärt Nicolas Rivron vom IMBA in Wien im Fachblatt "Science": Zellen würden in größerer Zahl zur Verfügung stehen, und Wissenschafter könnten sie leichter manipulieren, sagt der Stammzellbiologe. An seinem Institut waren vor knapp zehn Jahren wichtige Durchbrüche bei der Herstellung von Organoiden aus Stammzellen gelungen.

Nächster Schritt: Menschliche Embryoide

Jacob Hanna will es aber nicht bei synthetischen Mäuseembryos belassen: Er hat ein Unternehmen namens Renewal Bio gegründet, dessen Ziel es ist, menschliche synthetische Embryos zu züchten, um Gewebe und Zellen für medizinische Zwecke zu gewinnen. In Israel und vielen anderen Ländern sei das legal. "Wir haben die Genehmigung, das mit menschlichen induzierten pluripotenten Stammzellen zu tun. Dies stellt eine ethische und technische Alternative zur Verwendung von Embryos dar", sagte Hanna.

Forscherinnen und Forscher, die in verschiedenen internationalen Medien zur neuen Studie befragt wurden, äußern sich einerseits angetan vom Erreichten. Sie gaben aber auch zu bedenken, dass die Arbeit an menschlichen Embryoiden noch einmal ein Qualitätssprung sei. Angesichts der nur sehr geringen Erfolgsquote bei den Mäuseembryos seien hier noch technische, aber auch ethische Herausforderungen zu bewältigen.

"Die Maus ist ein guter Ausgangspunkt, um darüber nachzudenken, wie man dies beim Menschen angehen will", sagte der deutsche Stammzellbiologe Alex Meissner als Reaktion auf die Studie in der "Washington Post". Der Forscher am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin hält es zwar "nicht für nötig, alarmiert zu sein oder Panik zu schüren. Aber während wir mehr dazulernen, ist es wichtig, parallel dazu die Diskussion zu führen: Wie weit wollen wir dabei gehen?" (Klaus Taschwer, 4.8.2022)

Anm. d. Red.: Der Text wurde um 22:00 um die neuen Preprints von Magdalena Zernicka-Goetz ergänzt.