Vor der Staatsanwaltschaft Wels wurden Kerzen für die oberösterreichische Ärztin aufgestellt. Nach ihrem Suizid sei die "inländische Gerichtsbarkeit" wieder gegeben.

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Seewalchen am Attersee / Wels / München– Im Fall der aus der Impfgegnerszene bedrohten Ärztin Lisa-Maria Kellermayr, die in der Vorwoche Suizid begangen hat, kommen die Ermittlungen nun ganz offensichtlich doch voran: Die Generalstaatsanwaltschaft München meldete am Freitag eine Razzia bei einem 59-jährigen Verdächtigen in Bayern. Und die Staatsanwaltschaft Wels hat ihre eingestellten Ermittlungen wegen geänderter Voraussetzungen doch wieder aufgenommen.

Die Hausdurchsuchung sei am frühen Freitagmorgen von der Kriminalpolizeiinspektion Fürstenfeldbruck am Wohnort des Beschuldigten durchgeführt worden, so die für Extremismus zuständige Generalstaatsanwaltschaft München. Es wurden Datenträger sichergestellt, die nun ausgewertet werden.

Der Beschuldigte aus dem Landkreis Starnberg habe sich kooperativ gezeigt. Die Landespolizeidirektion Oberösterreich betonte, dass es sich bei dem Verdächtigen um jene Person handle, die sie im Februar ausgeforscht hatte und gegen die die Staatsanwaltschaft Wels die Ermittlungen zunächst wegen mangender inländischer Gerichtsbarkeit eingestellt und die Ergebnisse nach Deutschland gemeldet habe.

Gegenstand der Ermittlungen seien im Wesentlichen die Tatvorwürfe der Bedrohung und der Nachstellung, hieß es in einer Aussendung der Generalstaatsanwaltschaft München. Es gehe um Äußerungen des Beschuldigten im Internet und in sozialen Medien, in denen er an die Adresse Kellermayrs beispielsweise geschrieben haben soll "(...) wir beobachten Sie, und, wir werden solche Kreaturen vor die in Zukunft einzurichtenden Volkstribunale bringen!". Nähere Details zum Ermittlungsstand wollte die Behörde vorerst nicht preisgeben.

Ermittlungen abgetreten

Die Staatsanwaltschaft Wels hatte zuvor ihre Ermittlungen gegen konkrete Verdächtige eingestellt und nach Berlin und München abgetreten. Nachdem sich Tatort und Verdächtige in Deutschland befinden, sei die territoriale Zuständigkeit ursprünglich nicht mehr gegeben gewesen, erklärte der Leitende Staatsanwalt Christian Hubmer.

Mit dem Suizid der 36-jährigen Hausärztin in Oberösterreich haben sich die Zuständigkeiten geändert, weshalb seit Donnerstag die Staatsanwaltschaft Wels die Ermittlungen gegen namentlich bekannte Verdächtige wieder aufgenommen habe, bestätigte er einen Bericht der Oberösterreichischen Nachrichten (Paywall). Die "inländische Gerichtsbarkeit" sei wieder gegeben, man arbeite nun mit den neuen deutschen Anklagebehörden zusammen.

Strafrechtlerin kritisiert Behörden

Die Wiener Strafrechtsprofessorin Ingeborg Zerbes übte am Freitag scharfe Kritik an den oberösterreichischen Strafverfolgungsbehörden. Aus ihrer Sicht war schon mit dem Suizid der Medizinerin am vergangenen Freitag evident, dass eine Zuständigkeit der österreichischen Justiz für Ermittlungen wegen gefährlicher Drohung mit Selbstmordfolge im Sinne des § 107 Abs 3 StGB gegeben ist. Und wenn Kellermayr seit vergangenem Herbst von einem deutschen Verdächtigen im Weg der Telekommunikation massiv bedroht worden sei, hätte auch das nach ihrem Dafürhalten bereits ausreichen müssen, um im Inland ein Verfahren wegen beharrlicher Verfolgung nach § 107a StGB einzuleiten.

Sollte es in Österreich zu einem Strafprozess gegen den Verdächtigen wegen §107 Abs 3 StGB kommen, müsste er mit einer empfindlichen Sanktion rechnen. Für eine gefährliche Drohung, die zum Selbstmord führt, ist eine Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren vorgesehen.

Mückstein berichtet von Drohungen

Der frühere Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) beklagte am Freitag im Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin Profil, dass in der Gesellschaft immer noch das Bewusstsein fehle, "dass anonyme Drohungen genauso große Ängste auslösen können wie direkte Beschimpfungen oder Drohungen auf der Straße. Das dürfen wir nicht mehr länger als reines Dampfablassen am virtuellen Stammtisch bagatellisieren".

Auch auf staatlicher Ebene entwickle sich dieses Bewusstsein erst. Er berichtete von Drohungen, aber auch von massiven Sicherheitsmaßnahmen in seiner Amtszeit. "Letztlich kann man nicht einschätzen, wie groß diese Bedrohung wirklich ist, selbst wenn man – wie ich damals – auf die Experten des Staatsschutzes vertrauen konnte. Dieser Restunsicherheit, ob der eigenen Familie etwas passiert, das war für mich ein zu hoher Preis."

Der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser kritisierte in einer Aussendung, dass viele Frauen in Österreich von Behörden "völlig in Stich gelassen, nicht ernst genommen, abgewiesen, falsch informiert oder sogar angeschrien, wenn sie eine polizeiliche Anzeige erstatten wollen. Zu viele Anzeigen werden von der Staatsanwaltschaft eingestellt, gefährliche Täter werden noch viel zu wenig in U-Haft genommen, die Verfahren dauern lange", heißt es darin. Behörden, die eigentlich verpflichtet wären, Gewalt zu stoppen, stattdessen würde das Martyrium der Betroffenen "durch permanentes, unerträgliches Victim Blaming und Opfer-Täter-Umkehr, die täglich stattfindet" noch verlängert. (APA, 5.8.2022)