Wie kann das Problem der Hassrede im Internet eingedämmt werden?

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Es ist eine jahrealte Diskussion, die anlässlich des Todes von Lisa-Maria Kellermayr erneut entfachen könnte: Braucht es eine Klarnamenpflicht für Onlineforen, um Straftaten wie Hassrede einfacher nachverfolgen zu können? Zuletzt wurde diese Frage von der türkis-blauen Regierung unter Altkanzler Sebastian Kurz mit Ja beantwortet. Im fertigen Maßnahmenpaket gegen Hass im Netz unter Justizministerin Alma Zadić (Grüne) war der Vorschlag dann vom Tisch.

Die Idee, mit einer Ausweispflicht für den digitalen Raum effektiv gegen Hass und Hetze vorgehen zu können, basiert auf der Annahme, dass diese wegen der Anonymität des Internets ausarten. Dass Täter dadurch hemmungsloser vorgehen, in der Hoffnung, dass ein Pseudonym sie vor der Strafverfolgung bewahren könne.

Alte Frage, neue Diskussion

Auch die Drohmails an Kellermayr wurden unter einem Pseudonym – besser gesagt unter dem Namen eines unbeteiligten Dritten – und über einen anonymisierten E-Mail-Anbieter verschickt. Wer der eigentliche Absender ist, kann deshalb auf direktem Weg nicht herausgefunden werden. Grund genug dafür, dass im "ZiB 2"-Interview mit dem Rechtswissenschafter Nikolaus Forgó am Donnerstag erneut die Frage aufkam, ob die Anonymität nicht zwangsweise aufgehoben werden sollte.

Eine solche Maßnahme würde allerdings am Ziel vorbeischießen, ist sich Datenschützer Thomas Lohninger von der Grundrechtsorganisation Epicenter Works sicher. Die Umsetzung eines solchen Systems wäre "sehr kostspielig und schlecht für die Meinungsfreiheit", sagt er im STANDARD-Gespräch. Etwa die Hälfte aller von Online-Belästigung betroffenen Personen kennt die wahre Identität der Verantwortlichen, besagt auch eine Pew-Research-Studie von 2014.

Keine Sorge vor echten Namen

Rassistische Postings gegen Spieler der britischen Fußballnationalmannschaft während der Europameisterschaft 2020 sollen laut einer Twitter-Analyse sogar zu 99 Prozent von Accounts veröffentlicht worden sein, deren Namen eindeutig identifizierbar sind. Eine Tatsache, die damals auch die Strafverfolgung vereinfachte.

Die Bedenken sind jedoch vielfältiger. Zum Beispiel warnt Epicenter Works in einem Blogbeitrag vor dem sogenannten Chilling-Effekt. Aus Angst vor politischer Verfolgung würden sich laut diesem im Falle einer Klarnamenpflicht vor allem marginalisierte Gruppen und Regierungskritikerinnen aus dem öffentlichen Diskurs zurückziehen. Eine Gefahr, die in totalitär geführten Staaten wie China aufgrund von Online-Überwachung bereits Realität ist.

Das Vorhaben der türkis-blauen Regierung wurde aber auch aus rechtlicher Perspektive kritisiert. "Es gab Bedenken, ob es aufgrund der Datenschutzgrundverordnung ein Recht auf Pseudonymisierung gibt", sagt Axel Anderl, Anwalt für Internet- und Medienrecht bei Dorda, im STANDARD-Gespräch. Dass eine Klarnamenpflicht tatsächlich rechtswidrig wäre, glaubt er aber nicht. In Wirklichkeit handle es sich um eine Interessenabwägung. Die Frage sei laut ihm: "Wo liegt das schutzwürdige Interesse eines Online-Trolls, seine Identität nicht offenlegen zu müssen?" Im Lichte aktueller Geschehnisse solle man das Thema auch auf europäischer Ebene nochmals diskutieren, um herauszufinden, ob man zu einem anderen Ergebnis kommen würde.

Wie groß ist der Nutzen wirklich?

Gerade im Fall der Drohungen gegen Lisa-Maria Kellermayr hätte eine Klarnamenpflicht die Ausforschung der Täter aber nicht einfacher gemacht. Besagte E-Mails wurden über einen auf Anonymisierung spezialisierten Anbieter und das Tor-Netzwerk geschickt, was die Verschleierung des wahren Absenders ermöglichte. Die Nutzung solcher Dienste ist per se nicht illegal. Allerdings dürfte es für österreichische Behörden kaum möglich sein, die Betreiber zu einer Kooperation zu bewegen – falls entsprechende Angebote überhaupt Teil einer solchen Regulierung wären.

Ähnliches sieht man bereits beim Messengerdienst Telegram, der im Laufe der Pandemie zum Drehkreuz für rechtsextreme und verschwörungsideologische Desinformation wurde. Bis heute beschäftigt das Unternehmen keinen Rechtsvertreter oder Ansprechpartner in der Europäischen Union, der Hauptsitz liegt in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) – und ist für Anliegen der Regulierungsbehörden unerreichbar. Dass der Messenger bereits dem hiesigen Kommunikationsplattformengesetz (KoPl-G) unterliegt, ändert also nichts.

Dass es Luft nach oben gibt, zeigt ein Blick nach Deutschland. Die dortige Innenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte im Februar an, Kontakt zur Konzernspitze hergestellt zu haben. Mittlerweile soll es eine eigene E-Mail-Adresse für die Anliegen der Bundesregierung geben. Der wachsende Druck vonseiten der Politik zeigte sich außerdem seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs. Telegram hält sich an die EU-Sanktionen und sperrte für User innerhalb der Union den Zugang zu den Kanälen des russischen Propagandasenders Russia Today.

In Wirklichkeit handelt es sich hierbei aber um besonders schwerwiegende Einzelfälle, während ein Großteil aller problematischen Inhalte unkommentiert stehen gelassen wird. Ob die Betreiber auf eine von Österreich verhängte Klarnamenpflicht reagieren würden, kann also bezweifelt werden. Falls doch, stellt sich weiters die Frage der Umsetzung: Wer wäre also für die Identitätsfeststellung verantwortlich? Läge diese in den Händen der Plattformbetreiber, könnten diese möglicherweise Zugang zu hochsensiblen Ausweisdaten erlangen.

Abwägung

Glaubt man also den eingangs beschriebenen Untersuchungen und Analysen, laut denen die meisten Übergriffe unter echtem Namen passieren, scheint eine Klarnamenpflicht keine zielführende Lösung des Problems zu sein. Dem gegenüber steht die von Anderl aufgeworfene Frage, ob die Interessen der Täter wirklich schützenswert sind – und der Fokus nicht stärker auf den Opfern liegen sollte. Immerhin würden mit einer Ausweispflicht teils auch anonyme Äußerungen leichter nachverfolgbar, wenn auch nicht immer.

Die Abwägung scheint schwierig, auch wegen der Gefahr für die freie Meinungsäußerung marginalisierter Gruppen. Wenn ein Großteil aller Täter wirklich unter echtem Namen agiert, würde ein entsprechendes Gesetz für mehr Schaden als Vorteile sorgen. Gerade beim Fall Lisa-Maria Kellermayr hätten die rechtlichen Mittel laut Thomas Lohninger jedenfalls ausgereicht. (Mickey Manakas, 5.8.2022)