Der Hass sitzt tief – zumindest bei manchen Menschen, wenn sie sich im Internet tummeln. Um das Problem zu erfassen, muss man nur online gehen, "soziale Medien" wie Facebook öffnen, lesen und scrollen. Wie groß die Problematik ist, zeigt die Statistik: Über "BanHate", einer österreichischen App zur Meldung von Hasspostings, gingen im Vorjahr fast 3.000 Beschwerden ein. Die Zahl der angezeigten Straftaten im gesamten Komplex der Cyberkriminalität steigt seit vielen Jahren rasant. Im Jahr 2016 waren es 16.804 Fälle, im Jahr 2021 bereits mehr als 46.000. Geklärt werden die meisten Causen in Österreich allerdings nie: Die Aufklärungsquote liegt bei 36,9 Prozent.

Der Tod der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr hat in ganz Österreich für Bestürzung gesorgt und eine Debatte über Hass im Netz entfacht.
Foto: Heribert Corn

Der erschütternde Fall der oberösterreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr, die über Monate bedroht und beleidigt wurde und die sich vor eineinhalb Wochen das Leben nahm, hat das Thema nun wieder in die politische Diskussion geholt: Wie müssen heimische Behörden arbeiten, um Hass im Netz in den Griff zu bekommen?

Staatsanwälte fordern Ressourcen

Cornelia Koller, Präsidentin der Staatsanwälte-Vereinigung, beschäftigt sich seit langem mit der gesamten Problematik und hat eine klare Forderung: "Polizei und Justiz brauchen mehr Ressourcen dafür", sagt sie im Gespräch mit dem STANDARD. Koller geht davon aus, dass sich in fünf bis zehn Jahren zwischen 80 und 90 Prozent der Kriminalfälle im Bereich der Internetkriminalität abspielen. Mit "Cybercrime" meint sie allerdings nicht ausschließlich Hass im Netz und Drohungen, sondern etwa auch Betrug – "das geht bis hin zu Terrorismus und Menschenhandel", wie die Staatsanwältin erläutert.

Die ÖVP lässt nun mit einem Vorschlag aufhorchen. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) hatte am Wochenende den Gedanken ins Spiel gebracht, eine eigene Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Hass im Netz zu schaffen – ähnlich der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, die eben auch eine klar spezialisierte Behörde ist. Am Sonntag positionierte sich die ÖVP dann eindeutig für die Einrichtung einer solchen Sonderstaatsanwaltschaft. Eine eigene Behörde, in der "renommierte Experten im IT-Recht" und Fachleute für soziale Medien arbeiteten, schaffe Vertrauen und Rechtssicherheit, argumentiert ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner. "Justizministerin Alma Zadić ist gefordert, endlich zu handeln", sagt die ÖVP-Politikerin. Die grüne Justizministerin hatte sich zuvor bereits gegen eine Sonderstaatsanwaltschaft ausgesprochen.

Experten bei Vorstoß skeptisch

Aber wäre eine neue Cyberhass-Behörde zielführend? Koller, die Präsidentin der Staatsanwälte-Vereinigung, spricht sich dagegen aus. Sie halte es für sinnvoller, verstärkt spezialisierte Staatsanwältinnen und Staatsanwälte auf genau diesem Gebiet auszubilden. Bereits vor einem halben Jahr wurden in der Staatsanwaltschaft Wien und der Staatsanwaltschaft Graz Kompetenzzentren für Cybercrime eingerichtet. Derzeit sind sieben darauf spezialisierte Staatsanwälte tätig. "Das Projekt muss nun flächendeckend erweitert werden, damit in jeder Staatsanwaltschaft in ganz Österreich zumindest ein Spezialist sitzt, der sein Wissen weitergeben kann und Kolleginnen und Kollegen anleitet", sagt Koller.

Cornelia Koller, Präsidentin der Staatsanwälte-Vereinigung, fordert mehr Ressourcen.
Foto: APA/HANS PUNZ

Auch Michael Rami, Verfassungsrichter und Medienanwalt, zeigt sich bezüglich einer Staatsanwaltschaft für Hass im Netz skeptisch: "Spezialisierung ist in der Justiz immer eine gute Idee, aber die Schaffung einer eigenen Behörde halte ich für überschießend", sagt er im Gespräch mit dem STANDARD. Letztlich sei das eine politische Frage, erklärt Rami. Jedenfalls sei es aber sinnvoll, auf Cyberhass spezialisierte Leute auszubilden.

Zadić hatte bereits am Samstag angekündigt, mehr Ressourcen für Polizei und bestehende Anklagebehörden schaffen zu wollen: "Jede Staatsanwaltschaft in Österreich hat mit Fällen von Hass im Netz und Cybercrime zu tun, daher ist es notwendig, Kompetenzen flächendeckend aufzubauen." Das "Grundproblem" liege ihrer Ansicht nach bei der mangelhaften Ausforschung der Täter. (Katharina Mittelstaedt, 8.8.2022)