Gelsen aus wärmeren Regionen kommen immer häufiger auch in Zentraleuropa vor – hier eine Ägyptische Tigermücke, die Gelbfieber und andere Krankheiten hervorrufen kann.
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Gelsen werden nicht nur am lauen Sommerabend lästig – manche Arten sind selbst bei strahlendem Sonnenschein aktiv, etwa die Asiatische Tigermücke. Sie kommt zunehmend auch in Österreich vor, was Infektionsbiologen und Medizinerinnen aufhorchen lässt. Immerhin handelt es sich dabei um eine Spezies, die Krankheiten wie das Chikungunya-, Zika- oder Dengue-Fieber auslösen kann. Ist eine Stechmücke mit den entsprechenden Viren infiziert, überträgt sie sie bei einem Stich an den Wirt – nur die Weibchen saugen Blut, um Eier bilden zu können.

Dass Insekten aus tropischen und subtropischen Regionen häufiger in Gefilden jenseits ihres ursprünglichen Verbreitungsraums auftauchen, hängt freilich mit Reisen und Handel zusammen. Doch hinzu kommen die klimawandelbedingt steigenden Temperaturen: Sie ermöglichen es eingewanderten wärmeliebenden Arten, sich längerfristig anzusiedeln.

Neu zugewanderte Arten, sogenannte Neobiota, können nicht nur das Gleichgewicht von Ökosystemen herausfordern und hohe Schäden anrichten. Als Überträgerinnen von Krankheitserregern spielen sie auch für die Gesundheit von Mensch und Tier eine wichtige Rolle. In einer umfassenden Metaanalyse wertete ein Forschungsteam nun 830 Studien aus. Das Ergebnis: 58 Prozent der Leiden, die auf Pathogene – also Krankheitserreger – zurückgehen, werden durch die Klimakrise verschlimmert.

Häufigere Naturkatastrophen

Dabei geht es nicht nur um die Erwärmung, die in vielen Regionen die Ausbreitung von Erregern fördert – unter anderem auch, weil sich viele Bakterienarten bei höheren Temperaturen schneller vermehren. Denn daneben beeinflussen beispielsweise Überflutungen, Stürme und Dürren das Infektionsgeschehen.

Folgen der Klimakrise wie vermehrt auftretende Naturkatastrophen und der steigende Meeresspiegel zwingen immer mehr Menschen, ihren Wohnort zu verlassen und in dicht besiedelte Gegenden zu ziehen – oder in andere Zonen, die sie verstärkt mit gewissen Bakterien und Viren in Kontakt bringen. Und Trockenheit verleitet wildlebende Tiere dazu, sich in die Nähe von bewohnten Regionen zu wagen. So steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Erreger von Tieren auf Menschen überspringen und sich solche Zoonosen verbreiten. In Afrika steigt das Risiko hierfür besonders stark an, wie die Weltgesundheitsorganisation WHO zuletzt warnte.

Insgesamt sind die Möglichkeiten, wie die Klimakrise sich auf die Verbreitung von Keimen auswirken kann, mannigfaltig, wie die im Fachjournal "Nature Climate Change" veröffentlichte Studie darlegt. Das Forschungsteam um Erstautor Camilo Mora von der Universität Hawaii setzte zehn Klimagefahren in Zusammenhang mit Pathogenen und ihrem Übertragungsweg.

Untersucht wurden 286 Krankheiten, die mit klimawandelbedingten Veränderungen in Verbindung stehen. 223 davon dürften sich dadurch ausschließlich verschlimmern, nur bei neun Krankheiten sorgen die Klimawandelrisiken für eine schwächere Verbreitung. Bei 54 Erkrankungen gibt es verbessernde und verschlechternde Zusammenhänge.
Grafik: Mora et al. 2022, Nature Climate Change

Schwierige bis unmögliche Anpassung

Die Definition eines Krankheitserregers ist dabei sehr breit angelegt, sagt Renke Lühken vom Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, der nicht an der Studie beteiligt war. Es werden etwa nicht nur Erreger wie das Denguevirus in Betracht gezogen, das von Gelbfiebermücken übertragen werden kann, sondern auch das eine oder andere Pflanzenallergen, das Asthma und ähnliche Krankheiten hervorrufen kann. Die mehr als 1.000 Zusammenhänge stellt das Forschungsteam in einer umfangreichen Grafik dar.

Daraus lässt sich etwa ablesen, dass die Erwärmung der Atmosphäre in diesem Kontext die Ausbreitung von 174 verschiedenen Krankheiten antreiben kann. Dahinter folgen Überflutungen, die 121 Erkrankungen beeinflussen, und Veränderungen des Niederschlags mit 128 Krankheiten.

Die unterschiedlichen Übertragungswege stellen eine Herausforderung für Menschen mit politischer und wirtschaftlicher Entscheidungsmacht dar. "Diese Vielschichtigkeit macht eine gesellschaftliche Anpassung sehr schwierig, sodass die Reduzierung der Treibhausgasemissionen als wichtigste Gegenmaßnahme weiter im Fokus stehen muss", sagt Lühken. Auch das Team hinter der neuen Studie schätzt, dass es aufgrund der schieren Anzahl der Erreger schwierig bis unmöglich sei, diese Entwicklung zu verhindern oder sich gut anzupassen.

Ausgedehnter Lebensraum von Gelsen und Zecken

Ein besonders hohes Risiko geht dem Ökologen Lühken zufolge von Stechmücken und Zecken aus. Durch höhere Temperaturen und veränderte Regenmuster steigt die Gefahr, auf diese Weise mit transportierten Krankheitserregern in Berührung zu kommen. "Dies ist besorgniserregend, da nur für wenige diese Erreger zugelassene Impfstoffe existieren", sagt Lühken. Während man sich etwa gegen die Hirnhautentzündung FSME impfen lassen kann, gibt es noch keinen Schutz gegen Borreliose. Die Erreger beider Krankheiten können durch Zeckenstiche in den menschlichen Körper gelangen.

Dass aus den Tropen bekannte Erkrankungen auch mitten in Europa vorkommen, zeigte sich in den vergangenen Jahren immer wieder. Auch einheimische Gelsen können beispielsweise das West-Nil-Virus übertragen, 2018 schnellte in Deutschland und Österreich die Anzahl der Betroffenen in die Höhe. Aktuell warnt auch der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, vor einer Rückkehr von Malaria und anderen Krankheiten: "Der Klimawandel führt in Deutschland zu einer Ausdehnung der Lebensräume für Mücken und Zecken."

Vom Globalen Süden lernen

Um dagegen anzukämpfen, gelte es nicht nur, die Ursachen der globalen Erwärmung einzudämmen und den Treibhausgas-Ausstoß "aggressiv" zu vermindern, sagt Lühken. Es gelte auch, gute Überwachungssysteme zu etablieren. In Österreich ist etwa die Ages mit dem Monitoring von Gelsen betraut.

"Außerdem müssen schon jetzt Szenarien zur Prävention entwickelt werden – beispielsweise zur Stechmückenbekämpfung", sagt der Ökologe. "In Zentraleuropa können wir dabei insbesondere von den Ländern im Mittelmeerraum oder des Globalen Südens lernen, die schon viele Jahre mit den sich aktuell ausbreitenden Krankheitserregern konfrontiert sind." (Julia Sica, 8.8.2022)