Liegt es an der Unzugänglichkeit oder doch an einer Ungleichheit der Forschungsbudgets? Faktum ist, dass Mond und Mars intensiver erforscht werden als die Tiefsee auf unserem eigenen Planeten. Und dabei gäbe es hier noch enorm viel zu entdecken, wie die "Voyage to the Ridge 2022" zeigte, die diesen Sonntag mit dem vorläufig letzten Tauchgang abgeschlossen wurde.

Diese Expeditionen der US-amerikanischen National Oceanic and Atmospheric Administration (die US-Wetter- und -Ozeanografiebehörde NOAA) erforschten den vulkanischen Rücken im Atlantik und förderten dabei allerhand neue Erkenntnisse zutage – und auch ein bislang ungelöstes Rätsel.

Bei zwei Tauchgängen mit dem ferngesteuerten Unterseeboot beobachteten die Forscherinnen und Forscher Ende Juli mehrere rätselhafte "Lochreihen" im Sediment des Meeresbodens nördlich der Azoren in einer Tiefe von etwa 2.540 Metern. Während die Löcher fast wie von Menschenhand gemacht aussehen, lassen die kleinen Sedimenthaufen um sie herum darauf schließen, dass sie von unten gegraben wurden.

Diese Löcher im Meeresgrund wurden während der zweiten Expedition "Voyage to the Ridge 2022" entdeckt. Die kleinen roten Laserpunkte in der Bildmitte sind zehn Zentimeter voneinander entfernt und vermitteln ein Gefühl für die Größe und die Abstände der Löcher.
Foto: NOAA Ocean Exploration, Voyage to the Ridge 2022

Zwei Tauchgänge mit viel Abstand

Etwa eine Woche nach der Entdeckung der ersten Lochreihen wurden vier weitere auf dem Azorenplateau gesichtet, einem Unterwassergebiet, in dem drei tektonische Platten aufeinandertreffen. Diese Löcher waren etwa 500 Kilometer vom Ort der ersten Entdeckung der Expedition entfernt.

Der Ursprung dieser Löcher ist vorläufig rätselhaft. Weder Detailaufnahmen noch Absaugungen waren vorerst aufschlussreich. Zudem ließ sich nicht klären, ob und wie die Löcher unterirdisch miteinander verbunden sind. Aus diesen Gründen – und nicht zuletzt als Teil der Öffentlichkeitsarbeit – hat das verantwortliche Expeditionsteam der NOAA auf Social-Media-Plattformen wie Twitter und Facebook auch die interessierte Öffentlichkeit um Hypothesen gebeten:

Wie nicht weiter verwunderlich, gab es eine Vielzahl von Antworten zur möglichen Entstehung: von Außerirdischen über eine unbekannte Krabbenart bis hin zu Gas, das aus dem Meeresboden aufsteigt.

Das war freilich nicht das erste Mal, dass die Wissenschaft auf diese mysteriösen Löcher gestoßen ist. Im Juli 2004 hatten Forschende während einer Expedition entlang des nördlichen Mittelatlantischen Rückens in einer Tiefe von 2.082 Metern mehrere dieser Löcher entdeckt. Ein erst Anfang dieses Jahres veröffentlichter Fachartikel über die damalige Entdeckung nahm bereits einige der in den sozialen Medien geäußerten Vorschläge vorweg.

Verdächtige Spuren

Die beiden Autoren, Michael Vecchione und Odd Aksel Bergstad, gehen in ihrem Text im Fachblatt "Frontiers in Marine Science" davon aus, dass die Sedimenthaufen auf einen am Meeresgrund lebenden Organismus zurückgehen. Zur Beschreibung der Löcher verwendeten sie übrigens den Begriff "Lebensspuren" – im Original auf Deutsch. Diese "Lebensspuren" würden an Ichnofossilien (als Fossilien erhaltene Spuren) erinnern, die aus Tiefseegestein bekannt sind.

Die Lochreihen im Detail mit den Sedimenthaufen.
Foto: NOAA Ocean Exploration, Voyage to the Ridge 2022

In dem Papier gehen die beiden Wissenschafter auf einige der erst nach Veröffentlichung des Artikels in den sozialen Medien geteilten Hypothesen ein.

In einer auf Video abrufbaren Zoom-Präsentation, die letzte Woche gegen Ende der aktuellen Expeditionen mit involvierten Wissenschafterinnen und Wissenschaftern abgehalten wurde, gingen die Forschenden auch darauf ein, was hinter den Löchern stecken könnte (ab Minute 41:12):

oceanexplorergov

Als plausibelste Lösung werden Meeresschnecken angesehen. Einen besseren Aufschluss könnte sogenannte eDNA liefern, also Umwelt-DNA, die an Ort und Stelle eingesammelt wurde. Diese Proben müssen allerdings erst noch ausgearbeitet werden.

Was der NOAA auf jeden Fall schon gelungen ist: mit dem Rätsel der Löcher am Meeresgrund ein weiteres Mal darauf hinzuweisen, dass die Tiefsee schlechter erforscht ist als Mond und Mars. (Klaus Taschwer, 9.8.2022)