Wenn man an einem Julitag über den backofenwarmen Hauptplatz von Mistelbach streift und nach dem Michael-Jackson-Denkmal fragt, kann man Zeuge der österreichischen Gleichgültigkeit werden. Gleichgültigkeit, allerdings mit einem Schuss Sympathie. Die Statue, die unweit vom Bahnhof steht, sei "eh nett", "ganz gut" oder "eigentlich eh gut", lauten die Antworten. Eine Schülerin sagt: "Ich find's schön, dass sich Leute darum kümmern." Eine Google-Rezension fasst die Meinungen in Mistelbach über das Denkmal recht gut zusammen: "Seltsam, aber cool."

Im eher abgelegenen Landesbahnpark steht seit 2013 die leuchtend weiße Statue Jacksons. Sie misst 2,10 Meter, ruht auf einem Sockel und wiegt angeblich 300 Kilogramm. Martina Kainz, die Initiatorin des ungewöhnlichen Monuments, ist für den STANDARD in den Park gekommen, um noch einmal dessen wechselhafte Geschichte zu erzählen. Vor dem Gespräch kehrt die 51-Jährige noch schnell ein paar Blätter vom Beton zu Jacksons Füßen. Zumindest einmal im Monat kommt die gebürtige Slowakin vorbei, um nach dem Rechten zu sehen.

Martina Kainz und ihr Jackson-Denkmal in Mistelbach.
Foto: Christian Fischer

Als sie im Jahr 2011 per E-Mail bei der Gemeinde fragte, ob sie drei Quadratmeter für ein Jackson-Denkmal bekomme, "habe ich gar nicht damit gerechnet, dass es geht", sagt Kainz. Dabei habe sie sich erst nach Jacksons Tod im Juni 2009 so richtig mit ihm beschäftigt, sagt die Frau, die als Tierheilerin und Malerin arbeitet. Damals habe sie öfter den Auftrag bekommen, ihn zu malen. In ihrem Haus hingen aber weder Bilder des Sängers, noch höre sie täglich dessen Musik, versichert Kainz.

Seltsamer Glamour

Umrahmt wird der Weinviertler Michael Jackson heute von Plastikblumen, Grabkerzen, zwei Infotafeln und einem Zaun. Die Bezirksblätter beschrieben das exotische Denkmal einmal mit den Worten: "Keiner versteht es, aber vielen gefällt es." Der Landesbahnpark, dem Frau Kainz zu diesem seltsamen Glamour verholfen hat, liegt an der vielbefahrenen Josef-Dunkl-Straße, in Nachbarschaft eines Sägewerks, eines Wirtshauses und eines Supermarkts. Die Lage lässt ahnen, dass die Stadtverwaltung das Denkmal mehr duldet als liebt.

Ex-Bürgermeister Alfred Pohl (ÖVP) ermöglichte das Denkmal zwar, man sei schließlich "weltoffen". Zugleich betonte er damals, "die Initiatoren tragen die Kosten". In einer Gemeinderatssitzung im Oktober 2011 stimmten ÖVP und SPÖ dafür, die FPÖ und die "Liste aktiver Bürger" dagegen. "Ich habe der Gemeinde gesagt, wenn nur ein Einziger wegen Michael Jackson nach Mistelbach kommt und einen Kaffee bestellt, habt ihr schon einen Gewinn", erinnert sich Kainz.

Die Statue, die eine tschechische Bildhauerin aus Acrylharz geformt hat, zeigt einen Michael Jackson, den es so nie gab. Der Zopf und der Hut erinnern an das Musikvideo von "Smooth Criminal" (1987), die Pose mit dem ausgestreckten Arm an die Plakate für die Konzerttour "This Is It" (2009), zu der es nicht mehr kam, weil der Sänger mit nur 50 Jahren gestorben war. Das Image des "King of Pop" war zu dieser Zeit wegen Vorwürfen des Kindesmissbrauchs schon arg ramponiert.

Der Zaun rund um das Denkmal wurde wegen zahlreicher Vandalenakte nötig.
Foto: Christian Fischer

Auch in Mistelbach regte sich Widerstand gegen die öffentliche Huldigung. Ein paar Bürgerinnen und Bürger kritisierten, der US-Superstar habe keinen Bezug zur Bezirkshauptstadt. Der Verdacht des Kindesmissbrauchs wurde schon 2011 ins Treffen geführt. An Kainz' Entschluss, das erste Michael-Jackson-Denkmal auf europäischem Festland in Mistelbach zu errichten, änderte das nichts. Am 11. Mai 2013 war es schließlich so weit. Kainz feierte die Enthüllung im Park mit Familie, Freunden und mehreren Jackson-Imitatoren. Die Stadtkapelle spielte ein Jackson-Medley, und sogar ein evangelischer Pfarrer spendete seinen Segen.

8.000 Euro an Spenden hatte Kainz damals für das Denkmal gesammelt. 5.000 Euro davon seien für das Kunstwerk bezahlt worden, danach seien immer wieder Renovierungen nötig geworden. Denn wie schon zu Lebzeiten muss Michael Jackson auch als Denkmal einiges ertragen. Am Gedenkort in Mistelbach wurden bereits Grabkerzen und von Fans aufgestellte Engel zertreten, ja sogar mit Hakenkreuzen und einem Hitlerbart wurde Jackson schon beschmiert. Und der Zeigefinger wurde ihm immer wieder abgebrochen, so auch derzeit. Im Jänner 2021 ließ Frau Kainz einen Zaun um Michael Jackson hochziehen, um die Vandalenakte zu stoppen. Der Zaun wurde von einer Wiener Firma gespendet, auch lokale Bauunternehmen halfen ihr immer wieder.

Risse im Andenken

Jacksons Andenken hat freilich Risse bekommen, und damit ist nicht nur das weiße Acrylharz gemeint. Anders als die Statue im Landesbahnpark stand das Leben von Michael Jackson auf keinem soliden Fundament. Der Vater Joseph Jackson peitschte ihn und seine Brüder als Jackson Five buchstäblich zu frühen Erfolgen und nahm ihnen die Kindheit. Michael Jackson erzählte später, sein Vater habe ihn mit einem Gürtel geschlagen. Seine Karriere war geprägt von musikalischen Superlativen und privaten Sackgassen. Ab 1988 lebte er auf einer Ranch im Bezirk Santa Barbara, das Anwesen nannte er "Neverland", nach der Insel von Peter Pan, der nicht erwachsen werden wollte.

Foto: Christian Fischer

Michael Jackson war bestimmt ein Opfer, aber wohl auch ein Täter, wie man seit der TV-Dokumentation "Leaving Neverland" von 2019 weiß, wenn man es denn wissen will. Darin berichten zwei Opfer, Wade Robson und James Safechuck, wie Jackson sie als Buben systematisch zu sexuellen Handlungen zwang. "Für die meisten, die sich die vier Stunden Interview mit Safechuck und Robson ansehen, dürfte danach kein Zweifel an der Wahrheit ihrer Aussagen bestehen. Zu präzise, zu übereinstimmend ist es, was sie erzählen, und zu klar sind die Muster von Jacksons Verhalten zu erkennen", schrieb der deutsche Spiegel.

Das Cover von Martina Kainz' Buch, in dem sie die Geschichte des Denkmals erzählt.
Foto: Martina Kainz

Damals begann eine Debatte über das Nachleben des düsteren Pop-Königs und warf Fragen wie diese auf: Soll Michael Jackson noch verehrt werden? Darf man seine Lieder hören? Für Martina Kainz erübrigen sich die Fragen, die Vorwürfe seien falsch, gibt sie sich überzeugt. "Er ist ja in allen Anklagepunkten freigesprochen worden", erinnert sie an einen Gerichtsprozess von 2005. "Bei den Vorwürfen ist es ums Geld gegangen." Kainz ist ein herzlicher Mensch, sie sammelt Spenden für Obdachlose, doch bei Michael Jackson wirkt ihr Urteil von Bewunderung vernebelt. Auch auf den zwei Infotafeln, die das Denkmal flankieren, verschwinden alle Anschuldigungen unter Heldenmythen.

Die jüngste Debatte scheint auch sonst nicht ganz in Mistelbach angekommen zu sein. Auf dem Hauptplatz sagt eine Schülerin: "Er war eine Pop-Ikone und ein guter Mensch." Eine andere Passantin glaubt "nicht, dass an den Gerüchten etwas dran ist".

Martina Kainz will ihren Michael Jackson jedenfalls weiter putzen und pflegen. "Die Stadt hat es mir erlaubt, jetzt ziehe ich es durch", sagt sie. "Man muss konsequent sein." Michael Jackson ist gekommen, um zu bleiben. (Lukas Kapeller, 14.8.2022)