Chinesische Militärübungen um Taiwan am Sonntag.

Foto: Li Bingyu/Xinhua via AP

Einige Tage nach dem umstrittenen Besuch von Nancy Pelosi auf Taiwan zeichnet sich ab, wie das neue Normal aussehen könnte. Die chinesische Armee hat die massiven Militärmanöver rund um Taiwan, die eine direkte Antwort auf den Besuch der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses waren, nicht beendet. Sie scheinen der Dauerzustand zu werden.

Allein am Sonntag hat die chinesische Volksbefreiungsarmee 66 Flugzeuge und 14 Kriegsschiffe eingesetzt. Das Manöver hätte eigentlich am Sonntag enden sollen, geht nun aber weiter. Außerdem verhängte Peking Sanktionen gegen Pelosi und ihre Familie.

Gewohnte Provokationen

Die Regierung von Taiwan hat nun ihrerseits ein Militärmanöver angekündigt. "China hat die tagelange Kritik und Sorge der internationalen Gemeinschaft missachtet. Nun hat es zudem langfristig angelegte Militärübungen im Chinesischen Meer angekündigt und damit absichtlich die Spannungen in der Region erhöht", hieß es aus dem taiwanischen Außenministerium. Gleichzeitig aber herrscht in Taiwan eine gewisse Gelassenheit gegenüber dem Säbelrasseln vom Festland. Die direkte Gefahr eines militärischen Angriffs ist vorerst abgewendet. Und Provokationen aus Peking ist man gewöhnt. Seit Monaten dringen chinesische Kampfjets in die Luftverteidigungszone von Taiwan ein. Auch der aggressive Lärm der chinesischen Staatspresse ist nichts Neues.

Dort ist seit Tagen von einer unsäglichen Provokation die Rede, die zum Krieg führen könne. "Das Ein-China-Prinzip ist die politische Grundlage der Beziehungen zwischen China und den USA. Wenn das Fundament gebrochen ist, wird die Erde erzittern und werden die Berge schwanken", schrieb die "Global Times" am Montag bedeutungsschwanger.

Inoffizielle Beistandsgarantie

Tatsächlich hatten die USA und China die Taiwan-Frage jahrzehntelang "vertagt", um die wirtschaftlichen Beziehungen nicht zu gefährden. Die USA erkennen die Insel zwar nicht offiziell als souveränen Staat an, geben aber inoffiziell eine Beistandsgarantie für Taipeh ab. Peking wiederum pocht darauf, dass Taiwan ein Teil Chinas sei, der früher oder später auch wieder politisch in den Machtbereich der Kommunistischen Partei Chinas gehören müsse. Nach Ende des Bürgerkriegs 1949 war dorthin die Partei KMT geflüchtet. Bis 1971 erkannten die meisten Staaten Taiwan deswegen als offizielle Vertretung Chinas an. Durch einen außenpolitischen Schwenk der USA und Druck aus Peking änderte sich das: Heute wird Taiwan nur noch von knapp einem Dutzend Staaten anerkannt, darunter dem Vatikan.

Der Besuch der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses war der erste seiner Art seit Mitte der Neunziger. Damals gab es anlässlich der ersten freien Präsidentschaftswahlen in Taiwan im März 1996 massive Militärmanöver Pekings. Die USA entsandten Flugzeugträger und Kampfverbände in die Region. Seitdem aber hat sich vieles verändert: Das chinesische Militär ist wesentlich schlagkräftiger als noch vor 25 Jahren. Gleichzeitig ist die Bedeutung Taiwans für die Weltwirtschaft gewachsen: Rund 60 Prozent aller Halbleiter kommen aus Taiwan. (Philipp Mattheis, 8.8.2022)