Es ist wie Öl ins Feuer der FPÖ und rechter Plattformen: "Mediale Hetze", "absoluter Tiefpunkt des Journalismus in Österreich", "unfassbare Entgleisung". So lauteten die Kommentare zu Meldungen über den mutmaßlichen Suizidversuch des ehemaligen FPÖ-Abgeordneten Hans-Jörg Jenewein. Medien ergingen sich dazu in detailreichen Beschreibungen über Methode und Ablauf. Die FPÖ-Politikerin Dagmar Belakowitsch, Schwester Jeneweins, dementierte diese Details per Aussendung.

Wie reagieren Medien? Mehrheitlich mit Stillschweigen. Anfragen des STANDARD etwa bei Krone und Kurier blieben unbeantwortet. Eine interne Aufarbeitung findet – zumindest nach außen sichtbar – weitgehend nicht statt. "Man kann ihn nicht totschweigen", kommentierte zwar der geschäftsführende Krone-Chefredakteur Klaus Herrmann im Newsletter den Suizid der oberösterreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr und den Suizidversuch Jeneweins. "Ein Suizidversuch, über den zu berichten ist, weil er einen hochpolitischen Hintergrund hat." Ein Wort zur eigenen Rolle gibt es allerdings nicht.

Selbstkritik übt Andreas Koller von den Salzburger Nachrichten: Wie die meisten Medien – auch DER STANDARD – hätten auch die SN eine umstrittene Schlagzeile online "längst gelöscht". Es sei ein Fehler passiert, "für den wir uns bei den Betroffenen entschuldigen müssen".

Strittige Auskunft

Rechtsanwalt Niki Haas vertritt Jeneweins Schwester Belakowitsch. Er forderte Medien – darunter auch den STANDARD – dazu auf, generell von Berichterstattung über Jeneweins Suizidversuch Abstand zu nehmen. Eine solche verletze "die höchstpersönlichen Rechte mehrerer beteiligter Personen" stark.

Über Suizide und Suizidversuche zu berichten hält Presserat-Geschäftsführer Alexander Warzilek hingegen generell für richtig, sogar wichtig: "Wie genau oder wie detailliert, ist allerdings das große Thema", sagt Warzilek. "Der Fall Jenewein hat eine politische Dimension. Wenn es um politische Themen wie Korruption und Intrigen der FPÖ geht, gibt es ein öffentliches Interesse."

Strittig war in dem Zusammenhang auch eine Auskunft des Wiener Gesundheitsverbunds. Laut Medienberichten gab die Organisation die Info weiter, Jenewein liege in keinem ihrer Krankenhäuser.

Dürften sie das? Immerhin ist davon auszugehen, dass auch eine Negativauskunft eine Datenverarbeitung beim Gesundheitsverbund intern voraussetzt und sensible Gesundheitsdaten betrifft. "Meines Erachtens wären derartige Auskünfte unzulässig", sagt etwa der Medienanwalt und Richter des Verfassungsgerichtshofs Michael Rami.

Einen rechtlichen "Graubereich" ortet Medienanwältin Maria Windhager, die auch den STANDARD vertritt. Wer anruft und wie ein Informationsinteresse begründet wird, sei zumindest bei der Negativantwort im Einzelfall abzuwägen. Anders, wenn Jenewein aufgenommen wurde: "Wenn darüber Auskunft an Medien gegeben wird, wäre das jedenfalls unzulässig", sagt Windhager. Weder noch, informiert der Gesundheitsverbund: Datenschutz der Patientinnen und Patienten "ist uns sehr wichtig. Aus diesem Grund geben wir aus der Pressestelle keine Informationen an Dritte weiter." Im Fall Jeneweins "standen Falschinformationen im Raum. Diese hat der diensthabende Kollege der APA gegenüber dementiert."

Medienethisch sieht Warzilek aber nicht alles verloren: "In den letzten Jahren hat es bei der Berichterstattung über Suizid eine Verbesserung gegeben." Früher seien im Boulevard Suizide auch von nicht bekannten Persönlichkeiten aus Sensationsinteresse ausgeschlachtet worden. "Das ist besser geworden", sagt Warzilek. "Man soll das Thema nicht tabuisieren."

Was darf man, was darf man nicht?

Ethische Fehltritte erlaubten sich Medien auch nach dem Suizid Lisa-Maria Kellermayrs mit Zitaten aus Abschiedsbriefen und Nennung der Suizidmethode. Wo sind die Grenzen für die Berichterstattung? Laut Ehrenkodex des österreichischen Journalismus gilt die Grundregel "Weniger ist mehr": Berichterstattung über Suizide gebiete "große Zurückhaltung. Verantwortungsvoller Journalismus wägt – auch wegen der Gefahr der Nachahmung – ab, ob ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht, und verzichtet auf überschießende Berichterstattung."

Journalistinnen und Medienarbeiter sollten zudem nicht Begriffe wie "Selbstmord" oder "Freitod" verwenden. Ersterer sei negativ konnotiert, Letzterer überhöhe. Der angemessene neutrale Begriff laute "Suizid". "Es ist nicht so schwierig", sagt Warzilek. "Im Journalismus ist das ungewöhnlich, weil man auf viele Details verzichten muss."

Besondere Sorgfalt müsse den Foren zukommen, sagt Warzilek. "Beim Suizidfall sollte man überhaupt überlegen, ob man auf ein Forum nicht ganz verzichtet." Wenn nicht, müsse das Medium "besonders aufpassen". Weiters empfiehlt Warzilek das Nennen von Hilfseinrichtungen am Ende des Artikels, wo suizidgefährdete Personen Hilfe bekommen. Hier ist er mit der Entwicklung zufrieden: "Mittlerweile machen das alle." (Doris Priesching, 8.8.2022)

"Kurier"-Stellungnahme

"Ich wüsste nicht, was für Falschmeldungen wird gehabt haben. Wir haben nur das berichtet, was wir erfahren und hinterfragt hatten. Und was letztlich nach zahlreichen Telefonaten auch bestätigt worden ist", heißt es in einer Stellungnahme des "Kurier". "So taucht in unserer Geschichte auch der vermeintliche Abschiedsbrief nicht auf. Die Informationen stammen – wie bei jedem Medium – von Informanten und wurden danach ausführlich recherchiert und auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Deshalb gibt es auch nach aktueller Kenntnislage keinen Grund für ein Erratum." (red, 9.8.2022)