Michael Ludwig nahm die Ukraine-Fahne auf Aufforderung des falschen Klitschko kurz in die Hand; damit herumwedeln wollte er aber nicht.

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Es war eine merkwürdige Geschichte, die Ende Juni aufpoppte: Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) soll lang mit seinem Kiewer Amtskollegen Witali Klitschko telefoniert haben – was Letzterer aber dementierte. Auch der Berliner Oberbürgermeisterin Franziska Giffey war das kurz davor passiert. Nach einigem Rätselraten bekannte sich dann das russische Comedy-Duo Wowan und Lexus – bürgerlich Wladimir Kusnezow und Alexej Stoljarow – zu der Aktion.

Jetzt ist das Video zu dem "Streich" online gegangen – und sein "persönliches Ibiza", wie manche vor allem in der FPÖ mutmaßen, erlebt Ludwig nicht. Der falsche Klitschko versuchte zwar, den Wiener Bürgermeister auf peinliche Fährten zu locken, Ludwig wich da aber weitgehend aus. So wollte der Fake-Klitschko ein Bekenntnis dazu, dass Wien reiche Russen enteignet – da verwies Ludwig auf die EU-Ebene, wo Sanktionen ausgearbeitet würden. Das sei nicht Aufgabe eines Bürgermeisters.

Ludwig wollte nicht hüpfen

Ob man nicht zu Ehren der Ukraine ein Fest für den Partisanenführer und NS-Kollaborateur Stepan Bandera in der Wiener Staatsoper ausrichten könne? Den Namen schien Ludwig nicht zu kennen; er sprach dann jedenfalls von vielen Events ukrainischer Künstlerinnen und Künstler, die man in Wien abgehalten habe. Waffenlieferungen an die Ukraine? Nein, man spende etwa Medikamente, so Ludwig.

Die Aufforderung, auf der Stelle zu springen und "Hoch lebe die Ukraine" zu rufen, ignorierte Ludwig ebenso wie die Bitte, mit der ukrainischen Fahne in der Hand zu sprechen – da war schon erkennbar, dass der Bürgermeister und sein Team diese Klitschko-Version sehr eigenartig fanden.

Fragen gibt es weiterhin dazu, wie der Termin überhaupt zustande kommen konnte. "Ich will nicht verraten, wie wir es angestellt haben, aber es war leicht", sagte einer der Komiker der ARD. Das Image der Lausbuben, die mit ihren Streichen einfach Spaß haben wollen, kultivierten die beiden lange Zeit. Wowan, der eigentlich Wladimir Kusnezow heißt, macht seine Telefonstreiche schon seit 2007, einige Jahre später kam dann Lexus, bürgerlich Aleksej Stoljarow, dazu. "Vor 10 Jahren war das eine richtige Underground-Strömung, in der ziemlich viele Leute aktiv waren", erzählten die beiden im April im Interview mit "360tv.ru". "Meistens haben wir irgendwelche verrückten Show-Bizz-Leute angerufen, Freaks eben. Darin war kein sozialer Gedanke verborgen, das kam erst später."

"Später", das ist konkret im Jahr 2014, nach der Annexion der Krim. Seitdem kommen die Streiche der beiden immer Kreml-näher daher. Erst wurden ukrainische Politiker zum Ziel, später gaben sich die beiden, wie nun gegenüber Ludwig, in Telefonaten oder Videoschalten mit europäischen oder nordamerikanischen Politikern als ukrainische Regierungsangehörige oder russische Oppositionelle aus.

Im Mai 2021 gelang es Ihnen auf diese Weise, dem außenpolitischen Kommittee des niederländischen Parlaments ein angebliches Treffen mit Leonid Wolkow, dem Stabschef des inhaftierten Kreml-Kritikers Aleksej Nawalnij, vorzugaukeln. Der falsche Wolkow trat unrasiert, unhöflich und im Bademantel auf und zog die Veranstaltung immer weiter ins Lächerliche. Bis er am Ende des Gesprächs direkte Finanzierung der Opposition forderte ein rosa Sparschwein in die Kamera hielt. "Sagt Hallo zu Mr. Pig", schlossen die Prankster ihr Plädoyer. "Und überweist mir etwas auf mein Bitcoin-Wallet."

Zuletzt gingen ihnen vor allem auch Prominente auf den Leim: J.K. Rowling, Stephen King und David Lynch dürften für Ludwig eine gute Gesellschaft sein.

Strategie der moralischen Entleerung

Was als grotesker Humor auftritt, passt perfekt zur zynischen Rhetorik der Russischen Regierung. Denn deren Propaganda funktioniert nicht nur über die ewige Wiederholung der gleichen ideologischen Floskeln, sondern auch über das Abwerten der Seriösität des politischen Gegenübers. Parlamentarier, die auch die gröbste Lächerlichkeit mitmachen in dem Glauben, einen russischen Oppositionellen zu unterstützen, passen perfekt in diese Strategie der moralischen Entleerung.

Ob Wowan und Lexus in direktem Verhältnis zur russischen Regierung stehen, war lange Gegenstand von Spekulation. Mittlerweile besteht daran aber kein Zweifel mehr. Vor allem mit der in Russland medial omnipräsenten Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa, stehen die Komiker in regem Austausch. Anfang Juni hatte Sacharowa ihnen einen Preis für Internet-Medien in der eindeutig benannten Kategorie "Das muss die Welt wissen" verliehen. "Ruft an, wir freuen uns auf neue Enthüllungen", pries Sacharowa die Komiker bei der Verleihung Anfang Juni und ließ keinen Zweifel am Enthusiasmus der Regierung für das Bloßstellen westlicher Politker:innen.

Kreml-Propaganda

Auf den Wortlaut einer Laudatio mögen Geehrte zwar wenig Einfluss haben. Kurze Zeit später zeichneten Wowan und Lexus aber eine Folge ihrer Sendung "Show WiL" direkt im repräsentativen Moskauer Hauptgebäude des Außenministeriums auf. Als Gast dabei: Sacharowa, die sich genüsslich über einen kürzlichen Anruf der Beiden bei Ex-US-Präsident George W. Bush amüsierte.

Seitdem nimmt auch die Show der Komiker einen klaren Kurs: keine Folge vergeht, in der nicht Neo-imperiale Losungen ausgesprochen und die Propaganda des Kreml verbreitet wird. Mittlerweile war sogar das defacto-diktatorische Oberhaupt der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, zu Gast, um in einem Sketch persönlich Wolodymyr Selenskyj die Kapitulation abzunehmen.

Als angebliche "Enthüller" des Oportunismus oder gar angeblicher wahrer Absichten westlicher Politiker passen Wowan und Lexus perfekt in die Propaganda der russischen Regierung. Was mit Lausbuben-Streichen angefangen hat, ist mittlerweile eine klar auf Regierungslinie liegende Gag-Offensive. Denn die russische Propaganda funktioniert eben nicht nur über Nachrichten, Plakate und Politiker-Reden. Sie ist darauf ausgelegt, jeden Bereich der medialen Öffentlichkeit zu durchdringen. (Thomas Maier, Fabian Schmid, 9.8.2022)