Die Anziehungskraft des FC Barcelona ist trotz aller Probleme ungebrochen, auch diesen Sommer entschieden sich Stars wie Raphinha und Robert Lewandowski gegen andere Topklubs.

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Eines der ersten Opfer der Misswirtschaft des FC Barcelona hieß Yusuf Demir. Vergangenes Jahr verlieh Rapid den damals 18-Jährigen an Barça, nach neun Partien wurde er aus dem Kader gestrichen. Das zehnte Pflichtspiel hätte eine Kaufpflicht aktiviert – und die fälligen zehn Millionen Euro, die andere Spitzenklubs aus der Portokasse nehmen, wollten die Katalanen nicht stemmen.

"Mes que un club", mehr als ein Klub, heißt der Leitspruch der Blaugrana. Barça ist das Identifikationsobjekt Kataloniens – noch. 2021 hatte der Klub mehr als eine Milliarde Euro Schulden, 2016 waren es noch 362 Millionen Euro gewesen. In diesen fünf Jahren hat weltweit nur Juventus Turin mehr Geld für Transfers ausgegeben, noch extremer war die Schieflage bei den Spielergehältern: Am Gipfel 2019 sollen Barças Kicker insgesamt eine halbe Milliarde Euro pro Jahr kassiert haben – ein Drittel mehr als bei der Nummer zwei dieses Rankings, Manchester United.

Misserfolg und Einkaufstour

Gleichzeitig blieben große Erfolge aus, die gut bezahlte Mannschaft schaffte es seit 2011 nur einmal in ein Champions-League-Finale. Covid-19 tat das seinige. Auch dank der Gehaltsverzichte mehrerer Spieler wurde vergangene Saison im Camp Nou noch Profifußball gespielt; die fälligen Verbindlichkeiten konnten nur dank eines neuen, langfristigen Kredits abbezahlt werden.

In Testspielen darf Robert Lewandowski bereits für den FC Barcelona kicken, in Pflichtspielen noch nicht.
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Sommer 2022: Der FC Barcelona kauft Robert Lewandowski für 45 Millionen, kauft Jules Koundé für 50 Millionen, kauft Raphinha für 58 Millionen, holt Franck Kessié und Andreas Christensen ablösefrei – diese zwei Herren spielen auch nicht für ein Wurstsemmerl mit Cola. Die Verkäufer wie Leeds oder Bayern bestehen auf sofortigen Zahlungen oder vereinbaren für den Verzugsfall Millionenstrafen. Auf Einnahmenseite stehen läppische 20 Millionen, die Aston Villa für Philippe Coutinho überwies. Andere Kicker wurden ablösefrei abgegeben, um wenigstens einen Teil ihrer Gehälter aus dem Budget zu bekommen.

Austria zum Quadrat

Was nach Irrsinn klingt, ist ökonomisches Kalkül. Jetzt noch einmal richtig investieren, mit Erfolgen mehr Einnahmen lukrieren, irgendwann in ferner Zukunft die Schulden abbezahlen. Die spanische Liga spielt da aber nur begrenzt mit. Vereinfacht ausgedrückt: Wenn die Ausgaben – Schuldentilgung ist hier ausdrücklich eingeschlossen – höher sind als die Einkünfte, dürfen Neuzugänge nicht registriert werden, also in keinem Pflichtspiel auflaufen. Und genau das ist beim 26-fachen Meister derzeit der Fall.

Aber gekauft ist gekauft, der Transfermarkt kennt kein Rückgaberecht. Kann Barça seine Neuzugänge nicht registrieren, muss sie der Klub wohl notgedrungen mit schmerzhaften Abschlägen weiterverkaufen. Also müssen die Bücher flott repariert werden. Das neue Lieblingswort von Klubpräsident Juan Laporta heißt "palanca", auf Deutsch Hebel. Er verkauft in der Zukunft liegende Rechte aus dem Klubeigentum und kassiert dafür sofort Cash. 49,9 Prozent des klubeigenen Lizenz- und Merchandise-Betriebs sowie 25 Prozent der TV-Rechte der nächsten 25 Jahre sind schon weg.

Darf sein neuer Klub Franck Kessié nicht registrieren, dürfte er sich wohl einen neuen Verein suchen.
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Im Zuge dieser Hebel schlägt der Traditionsklub buchhalterische Volten, die selbst die Verwaltungsgranden der Hypo Alpe Adria für gewagt befunden hätten. Der Radiosender COPE berichtete am Montag, dass Barça für den Verkauf der TV-Rechte gemeinsam mit der Investmentfirma Sixth Street ein Unternehmen gegründet hätte, das dem Klub dann die Rechte abkaufte. Der Clou: Barça butterte laut dem Bericht selbst 150 Millionen Euro in die Firma, amortisierte das Investment aber über 25 Jahre. Beim Rechte-Kauf wanderte das Geld als sofortige Einnahme zurück – ein Trick, den die Liga offenbar nicht gelten ließ. Die zukünftigen Einnahmen fließen nun trotzdem ab.

Die Causa de Jong

Auch bei der Ausgabenkürzung gehen die Verantwortlichen an und über Grenzen. Mehrere Spieler beklagen sich, dass sie der Klub durch gezielte Leaks in ein schlechtes Licht rückt, um weitere Gehaltsverzichte zu erzwingen. So wird der dänische Stürmer Martin Braithwaite nun von den Fans ausgebuht. Am dringendsten soll Frenkie de Jong versilbert werden, mit Manchester United hat man sich auf eine Ablöse von bis zu 85 Millionen Euro geeinigt. Der FC Barcelona schuldet dem Niederländer aber noch 17 Millionen Euro an zurückgestellten Gehältern, mangels Champions-League-Platz will er offenbar nicht zu United. Laut dem stets bestens informierten Journalisten David Ornstein hat der Klub de Jong nun offiziell mitgeteilt, die 2020 unterzeichnete Vertragsverlängerung annullieren zu wollen. Man habe Beweise für "kriminelle Handlungen" rund um die noch von der vorigen Klubführung verhandelte Unterzeichnung und wolle zurück zu den Konditionen seines vorherigen Vertrags.

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Immerhin: Da Chelsea nun auch Interesse an dem Mittelfeldgenie bekundet hat und offenbar gewillt ist, die ausstehenden Gehaltszahlungen zu übernehmen, dürfte Laporta diese Sorge loswerden. Es bleiben ihm noch genug, wiewohl sein Hasard eine gewisse Logik hat. Ohne die Einnahmen aus dem Spitzenfußball wären die immer noch weit im neunstelligen Bereich liegenden Schulden kaum je zurückzuzahlen, ohne Neuzugänge hätte in der Champions League eine Wiederholung des blamablen Gruppenphasen-Aus der Vorsaison gedroht. Trotzdem entscheidet sich in den kommenden Monaten und Jahren das Schicksal des FC Barcelona – können die neuen Spieler nicht registriert werden, womöglich aber schon früher. (Martin Schauhuber, 10.8.2022)