Im Gastblog erklären die Archäologinnen Karina Grömer, Michaela Binder, Kayleigh Saunderson und Julia Unger, wie ein mit Goldfäden durchwirktes Textil analysiert wird.

Der neueste archäologische Fund, den wir mithilfe unserer sehr aktiven Community entschlüsseln, ist ein 3.100 Jahre alter aus Ebreichsdorf (Niederösterreich): ein Bündel aus Goldfäden. Gewebe, bei denen etwa Golddrähte oder -streifen zur Verzierung eingebracht wurden, finden sich als besondere Funde in der Spätbronzezeit um 1100 bis 1000 v. Chr. in Westungarn und Ostösterreich – obwohl Textilien aus dieser Zeit generell sehr einfach gestaltet sind. Textilfärben und gewisse Musterungsarten waren eben erst erfunden worden. Vergleichsfunde zu dem Objekt aus Ebreichsdorf sind etwa aus Vösendorf bekannt oder auch aus Velem St. Vid. Um welche Gewebe und Verzierungstechniken es sich einst gehandelt hat, ist bisher noch unklar, weil in keinem dieser Fälle das ehemalige Textilmaterial vorhanden ist. Auch frühe literarische Quellen, die zu Beginn des ersten Jahrtausends v. Chr. niedergeschrieben wurden, etwa das Alte Testament (Exodus 39,3) oder die homerischen Epen, sprechen von Goldtextilien. Sie werden immer dann genannt, wenn besonders hochstehende Personen (Könige, Priester oder sogar Götter) kenntlich gemacht werden sollten.

Live-Mikroskopie des Goldtextils beim Workshop.
Foto: Julia Unger

Ebreichsdorf – eine archäologische Fundstelle mit Goldobjekten

2019 und 2020 wurden bei archäologischen Ausgrabungen (Ausführung: Novetus GmbH im Auftrag der ÖBB) im Vorfeld des Ausbaus der Pottendorfer Linie der ÖBB in der spätbronzezeitlichen Siedlung (1300 bis 800 v. Chr.) von Ebreichsdorf ein insgesamt fünf Objekte umfassender Goldschatz entdeckt. Herausragend ist eine fein verzierte goldene Schale, die bisher im mitteleuropäischen Raum einzigartig ist. Schalen dieser Art werden üblicherweise als Kultgegenstände interpretiert. Auch das Dekor unterstreicht den kultischen Charakter der Schale, da es in Verbindung mit einem in der Bronzezeit weit verbreiteten Sonnenkult zu sehen ist. Neben der Goldschale umfasst der Schatz drei Goldspiralen beziehungsweise -spiralenbündel sowie ein Golddrahtkonvolut.

Die Goldobjekte werden derzeit von einem internationalen und interdisziplinären Expertinnen- und Expertenteam untersucht, um Näheres über deren Herstellung, Herkunft und Ursprung des Goldes herauszufinden. Im Anschluss werden die Objekte durch das Bundesdenkmalamt restauriert.

Die auf insgesamt fast 70.000 Quadratmetern archäologisch erfasste Siedlung von Ebreichsdorf ermöglicht uns einzigartige Einblicke in das Leben der Menschen in der Spätbronzezeit, da selten so große Flächen ausgegraben werden. Dies erlaubt es uns auch erstmals, das Umfeld, in dem solche Goldobjekte genutzt wurden, umfassend zu erforschen.

Goldfunde von Ebreichsdorf: Goldschale, Schmuck und ein Bündel Goldfäden.
Foto: ÖBB/Novetus GmbH

Entschlüsselung des "Goldtextil-Codes" mithilfe von Citizen Scientists

Nach ersten Analysen dürfte es sich bei den Goldfäden aus Ebreichsdorf um ein ehemals mit Goldfäden durchwirktes Textil gehandelt haben, dessen textiles Trägermaterial vergangen ist. Erkenntlich ist dies an charakteristischen Elementen wie "umwickelten Fransen", geknickten oder in sich gedrehten und parallelen Fäden.

Nun sind gezielte Experimente gefragt, bei denen die Citizen Scientists zum Einsatz kommen: Ziel der Experimente ist es, Materialproben mit verschiedenen Web-, Flecht- und Musterungstechniken unter Verwendung von Goldfäden zu erarbeiten. Die entstehenden Strukturen an den Goldfäden werden dann mit den charakteristischen Biegungen der bronzezeitlichen Goldfäden verglichen – um einen Hinweis auf die ehemalige Technik des Goldtextils zu erhalten.

Am 22.2.22 fand ein erster großer Workshop mit Citizen Scientists aus Österreich und der Schweiz im Naturhistorischen Museum Wien auf Deck 50 statt und erbrachte erste erfolgversprechende Webversuche. Auch dabei war Sander Kunz, ein Spezialist für Klosterarbeiten und somit Kenner des Arbeitens mit Goldfäden. Ein Highlight war für die Anwesenden das Live-Mikroskopieren des Originalfundes an der großen LED-Wand, um konstant den Fund und die handwerklichen Aktivitäten miteinander diskutieren zu können.

Citizen-Science-Workshop zum Weben mit Goldfäden am Naturhistorischen Museum Wien.
Foto: Rittmansperger, NHM

Experimente mit Studierenden der Universität Wien

Weitere Experimente mit Goldfäden wurden im Rahmen der Universität-Wien-Lehrveranstaltung "Experimentelle Archäologie in der Praxis" im Freilichtmuseum des MAMUZ, Asparn an der Zaya, durchgeführt. Hierbei wurden Studierende mit diversen Textiltechniken vertraut und experimentierten mit Goldfäden, wodurch spannende Ergebnisse entstanden. Als Vorlagen dienten vor allem die genannten Vergleichsfunde von Goldfäden, da der Fund von Ebreichsdorf derzeit noch nicht gänzlich freiliegt. Die charakteristischen Wendungen und Drehungen wurden in diverse Techniken eingebaut und schließlich aufgetrennt, um sie mit den Funden in ihrem Erhaltungszustand zu vergleichen. Einige Ergebnisse entsprachen den Originalen sehr gut, wodurch wir der Frage nach der Herstellungstechnik langsam näherkommen.

Studentin beim Weben während der Lehrveranstaltung.
Foto: Kayleigh Saunderson
Ergebnis eines brettchengewebten Bandes, das mit einer Wickeltechnik durchwirkt wurde.
Foto: Kayleigh Saunderson

Museen als "Experimentierräume"

Der neue Wissensvermittlungsraum Deck 50 im Naturhistorischen Museum Wien, der im Herbst 2021 eröffnet wurde, konnte sich somit nicht nur als Citizen-Science-Infopoint im Museum behaupten, sondern wird auch bereits mit konkreten Aktivitäten bespielt. Doch auch das MAMUZ in Asparn an der Zaya ist nun schon seit geraumer Zeit Schauplatz dieser Art von Forschung. Besonders die Experimentelle Archäologie hat eine lange Tradition in Asparn an der Zaya. Seit nun 40 Jahren beheimatet das Museum die Lehrveranstaltung "Experimentelle Archäologie in der Praxis" der Universität Wien. Museen wie diese bieten somit auch Citizen Scientists die Möglichkeit, aktiv an der Forschung teilzuhaben. (Karina Grömer, Michaela Binder, Kayleigh Saunderson, Julia Unger, 11.8.2022)