Sonne, Strand, Meer – was will man mehr? In der toskanischen Ortschaft Orbetello am Tyrrhenischen Meer nördlich von Rom ist die Urlaubsfreude seit einigen Wochen jedoch erheblich getrübt. Der Grund: eine Mücken- bzw. Gelsenplage geradezu biblischen Ausmaßes.

Klein und fies – und in Orbetello in großen Schwärmen anzutreffen: die Mücke.
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Schon zum vierten Mal innerhalb von drei Wochen mussten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung mit Spezialgerät ausrücken, um die riesigen Wolken an kleinen Insekten unschädlich zu machen – sprich, sie abzutöten.

Geholfen hat es bisher kaum etwas, berichten dieser Tage die lokalen Medien. Schon kurze Zeit nachdem die toten Insekten schaufel- und kübelweise entsorgt wurden, schlüpfen die neuen Generationen – und die Plage beginnt von Neuem.

Schäden für Tourismus und Gastronomie

Die Menschen in Orbetello, einer hübschen Kleinstadt in der Lagune zwischen dem toskanischen Festland und der nur wenige Kilometer vor der Küste gelegenen Insel Monte Argentario, sind zunehmend verzweifelt. Der Tourismus und die Gastronomie leiden unter diesem Phänomen. Cafés und Restaurants sehen sich gezwungen, am Abend frühzeitig zuzusperren, da der Aufenthalt im Freien unangenehm, mitunter fast unmöglich ist.

"Wir sind gezwungen, zwei Stunden früher zu schließen", erzählt etwa der Besitzer des Caffè sul Corso dem "Corriere della Sera". "Dies ist unsere Saison 2022." Einige Lokale schalten die Außenbeleuchtung ab, das hilft aber auch kaum oder gar nicht. Ein Restaurantbesitzer klagt im britischen "Guardian" über einen Umsatzrückgang von 60 Prozent.

Unterdessen muss sich die lokale Verwaltung Vorwürfe gefallen lassen, nicht rechtzeitig Maßnahmen ergriffen zu haben. Aus Kostengründen wurde heuer die sonst immer im Frühjahr durchgeführte Entseuchung gestrichen.

Ideale Lebensbedingungen

Ob die Entseuchung einen Unterschied gemacht hätte? Nach Ansicht mehrerer Biologen wurde die Mückeninvasion in Orbetello durch die geografischen und klimatischen Bedingungen begünstigt: Zum einen ist das Städtchen von einer seichten Lagune umgeben – das ideale Habitat vieler Insektenarten; zum anderen fördern die seit Wochen vorherrschenden hohen Temperaturen die Vermehrung und das Wachstum der Mücken.

Die Landwirtschaft, die jahrzehntelang auf Insektizide setzte, sorgte außerdem indirekt dafür, dass die Populationen der natürlichen Feinde der Mücken – Fledermäuse, Frösche, größere Insekten und verschiedene Vogelarten – lokal ausgestorben sind oder zumindest erheblich reduziert wurden.

Dramatisch und unumkehrbar

Der Zoologe Andrea Monaco vom Italienischen Institut für Umweltschutz und Umweltforschung (ISPRA) rechnet für die Zukunft mit einer Vermehrung solcher Phänomene: "Es scheint mir wahrscheinlich, dass die Ursache auf besondere klimatische Bedingungen, vor allem auf die Hitze, zurückzuführen ist", sagt er in einer Videoschaltung mit der römischen Zeitung "La Repubblica".

Es sei nicht das erste Mal, dass so etwas passiert: Lokal und zeitlich begrenzte Phänomene dieser Art habe es in den vergangenen Jahren von Mailand bis Bari gegeben, also im Norden ebenso wie im Süden Italiens. "Was uns Sorgen macht, ist die Häufigkeit, mit der das nun passiert", erklärt Monaco. Der Klimawandel habe auch Auswirkungen auf die Tierwelt, die Folgen könnten dramatisch und unumkehrbar sein.

Erst im Juni hatte Florenz – die Hauptstadt der Toskana liegt 150 Kilometer nördlich von Orbetello – eine Kakerlakenplage gemeldet. In der nordwestlichen Region Piemont wurden ebenfalls im Juni plötzlich riesige Populationen des Japankäfers (Popilla japonica) registriert – mit teilweise erheblichen Folgen für die Umwelt: In 86 Gemeinden der Provinz Alessandria kam es Medienberichten zufolge zur teilweisen Entlaubung von Waldbeständen, zur Zerstörung von Orangenkulturen und zu Fruchtschäden an Mais-, Pfirsich-, Apfel-, Wein-, Haselnuss- und Sojakulturen.

Im Rahmen von Notfallmaßnahmen sollen betroffene Betriebe in und um Orbetello nun Entschädigungszahlungen erhalten, doch gelöst ist das Problem auf diese Weise nicht. Der Zoologe Monaco kommt jedenfalls zu dem Schluss: "Die Ausnahme könnte zur neuen Normalität werden." (gian, 11.8.2022)